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Deichkind im Interview

Zur allround-talented Band Deichkind müssen ja eigentlich nicht mehr viele Worte verloren werden. Sie sind bekannt für die gigantischsten Liveshows inkl. Bierduschen und nicht zuletzt für ihren einzigartigen Sound. Doch als ihre aktuellen Konzerte als „vorerst letzte Tour“ angekündigt wurden, kamen so einige Gerüchte auf. Wir trafen uns mit der Band in Tocotronic’s Büro im Hause Buback, um über den aktuellen Stand der Dinge und über ein wenig Schwachsinn zu reden.

Zunächst einmal eine Frage nach der Split-7″, die ihr anlässlich zur Plattenladenwoche gemeinsam mit Tocotronic herausgebracht habt. Wie kam es dazu?

Phillip: Wir finden das unterstützenswert, diese Woche. Dass Menschen wieder mehr in Plattenläden einkaufen gehen sollen. Und dadurch, dass diese 7″ nur exklusiv in dieser einen Woche in der Hanseplatte zu kaufen sein wird, zieht das vielleicht noch ein paar mehr Leute dahin.

Und warum „Die Toco Die“?

Phono: Das ist eine ganz lange Geschichte… Wie man sieht, sitzen wir hier ja inzwischen schon im Büro von Tocotronic, so weit ist es schon gekommen! Wir wollen jetzt nicht alles im Detail erzählen, aber das etwas damit zu tun, dass wir Tocotronic beklauen wollen. Die sind Geschichte, wir werden den Style übernehmen. Das hat etwas von Wirt und Parasit… Eine Weiterentwicklung brutal erzwingen, etwas Verflossenes zerschlagen.

Ihr habt vor kurzem in Hamburg das erste Mal „The Deichkind Experience“ ausprobiert. Was hatte es damit auf sich?

Phono: Deichkind muss sich unseres Erachtens nach ständig neu erfinden. Unsere Live-Show ist die eine Sache, aber wir haben auch überlegt, in welchem Rahmen wir nochmal neue Ideen einbringen und testen können. Also haben wir diese Party auf die Beine gestellt, die unter dem Namen „The Deichkind Experience“ läuft. Und das haben wir eben nun das erste Mal in Hamburg getestet. Das lief soweit gut, aber es gab auch einige Sachen, die noch ausbaufähig sind. Wir werden uns demnächst nochmal zusammensetzen, ob wir das eventuell weiterführen wollen, also regelmäßig veranstalten, oder ob wir das als einmaliges Erlebnis belassen.

Was war das denn überhaupt genau, ein reguläres Konzert von euch ist das ja nicht?

Phono: Das hat mit unseren Konzerten überhaupt nichts zu tun. Das ist eine Party. Eine interaktive Party, die einem Improvisationstheater gleicht. Wir hatten ein Glücksrad auf der Bühne mit verschiedenen Aktionen drauf. Und daran wurde dann immer gedreht. Das Glücksrad hat also entschieden, wie die Party weitergeht. Also wussten wir auch selbst gar nicht, was als nächstes passiert, das war spannend.
Porky: Eine Party war das, genau. Das war auch das Problem, dass anscheinend viele Leute mit der Erwartung daran gegangen sind, nun ein Deichkind Konzert zu sehen.
Phillip: Es gibt ja auch Leute, die nach Gerüchten leben. Da hat dann einer erzählt, dass Deichkind im Uebel&Gefährlich spielen und schon spricht sich das falsch herum.
Phono: Aber dann gab es auch wiederum Leute, die das Plakat im Vorhinein gut studiert hatten und dann wussten, was auf sie zukommt und das gut fanden. Ein Besucher hat uns sogar gesagt, dass das die Party seines Lebens gewesen wär.
Phillip: Aber das ist der normale Lauf. Bis unsere Konzerte so wurden, wie sie jetzt sind, mussten wir das auch erst bei 400 Shows ausprobieren und nicht anders läuft das mit der Party. Das müsste man das auch erst 300mal veranstalten, bis „The Deichkind Experience“ festen Boden unter den Füßen hat.

Wie steht es eigentlich um euer Umweltbewusstsein, wenn man sich mal die Tonnen an Mülltüten so anschaut, die ihr im Jahr verbratet?

Phono: Ich hab mal ein halbes Jahr lang im Bereich Mülltrennung gearbeitet und von daher hab ich ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, das ich auch in die Band mit einbringe. Wir achten darauf, nicht zu verschwenderisch mit unserem Kram umzugehen und alles ordnungsgemäß zu recyclen.
Phillip: Ihr kennt ja diese Knicklichter, da ist mir letztens eines von durchgebrochen und das Zeug ist mir ins Auge gespritzt. Seit dem Zeitpunkt weiß ich: Das gehört definitiv auf dem Sondermüll!
Porky: Es geht ja auch darum, Ressourcen einzusparen und sorgfältig mit dem umzugehen, was man hat. Früher ist uns das natürlich ab und an passiert, dass da ein Bier umgekippt ist oder ins Publikum gefallen ist, das tut uns ja auch leid.
Phono: Nachhaltigkeit ist ein gutes Stichwort, das kennt man ja aus der Wirtschaft. Das sind natürlich dann die Strategien, die wir auch für Deichkind anwenden.
Phillip: Früher, in den 80ern oder wann war das, haben wir ja auch mit Gaffa-Tape rumgeaast wie die Bescheuerten. Aber da gibt es im Backstage nun auch immer bestimmte Regeln, die jeder sich durchlesen muss, wann wieviel Gaffa verwendet werden muss und darf.
Phono: Im Februar 2010 werden wir übrigens im Hamburger Kampnagel ein Theaterstück aufführen. Das wird auch etwas mit Müll zu tun haben. Stichwort Recycling. Stichwort aus Altem etwas Neues erschaffen. Stichwort Pause.

Ja, es wird ja eine Tour-Pause geben im nächsten Jahr. Was wird denn da genau gemacht, wird weiter an Musik geschraubt?

Phillip: Ich werd mich als nächstes natürlich auf das Theaterstück konzentrieren, damit das kein Reinfall wird. Kampnagel ist ja schon ne große Nummer.
Phono: Und Porky, Ferris und ich gehen ins Studio und machen Musik.
Porky: Das Studio ist in Berlin und da werd ich mir dann für den Zeitraum irgendwie ein WG-Zimmer mieten. Natürlich bleibt meine Wohnung in Hamburg, aber die ganze Zeit im Studio auf dem Sofa zu pennen wär mir zu anstrengend.
Phono: Und dann wird neue Musik gemacht.
Porky: Ja. Viele Leute haben ja gedacht, dass wir uns nach dem Vorfall mit Sebi auflösen, dem ist nicht so. Wir machen nächstes Jahr eine kreative Pause, was ja aber auch heißt, dass wir irgendwann wiederkommen. Aber unsere Live-Show, wie sie jetzt existiert, wird es nicht mehr geben. Von daher kann man jedem nur ans Herz legen, noch ein Konzert im Dezember mitzunehmen, denn so gibt es uns danach nicht mehr. Dann gibt es nur noch die Videos auf Youtube, die an die Zeit erinnern, denn eine Live-DVD haben wir auch ganz sicher nicht geplant.
Phillip: Es kann ja auch sein, dass wir scheitern.
Porky: Das kann auch sein! Wir wissen auch noch gar nicht, in welche Richtung das gehen wird. Heavy Metal fand ich für „Die Toco Die“ jetzt ganz passend, aber das ist sicherlich nicht unsere Zukunft. Das kann man ausschließen.
Phono: Wir fahren sozusagen auf Weltreise nächstes Jahr, das ist ein gutes Bild. Wir fahren einmal um die Welt und das kann schließlich alles bedeuten. Du sagst ja nicht ‚Ich geh jetzt nach Amerika‘, sondern ‚Ich geh die Welt besuchen‘. Und so ist das auch, wenn man ins Studio geht.
Phillip: Wir sind für nahezu alles offen.
Porky: Ich freu mich aber auch schon drauf, da nächstes Jahr in mich gehen zu können und die Ruhe zu haben. Man hatte nie wirklich die Zeit dafür, Musik zu machen. Das wird sich nächstes Jahr dann ändern. In den letzten Jahren standen wir immer sehr unter Beobachtung und man hatte gewisse Anforderungen an das, was Deichkind zu sein haben. Davon wollen wir uns frei machen.

Und habt ihr keine Bedenken, dass, wenn ihr euren Stil so radikal verändert, dass viele der jetzigen Hörer „verärgern“ wird?

Porky: Da verschwendet man ehrlich gesagt nicht einen Gedanken dran. Es ist ein natürlicher Prozess, dass man sich als Band weiterentwickelt. Früher haben wir ja auch Hip Hop gemacht und sind jetzt eher elektronisch geworden und haben trotzdem noch viele Leute hinter uns, die das gut finden. Man muss als Band ja auch authentisch bleiben.
Phono: Wir haben auch keine Lust, nur mit dem Rücken an der Wand zu stehen und nur noch das zu tun, was von uns erwartet wird.

[Phillip läuft durch den Raum und ist auf etwas gestoßen…]

Phillip: Guckt mal, Tocotronic, die benutzen ein Fremdwörterlexikon und machen einen auf intellektuell, ey!

Phono: Ja… Naja, auf jeden Fall wissen wir auch, dass unsere Musik für viele Menschen eine Bedeutung hat und es ist uns auch keinesfalls egal, was diese Menschen dann von dem denken, was wir machen. Aber da kann man eben auch nur bis zu einem gewissen Grad Rücksicht drauf nehmen.
Phillip: Die Leute sollen einfach nicht mehr so verkopft sein. Obwohl wir ja selbst auch nicht alles gut finden von dem, was wir machen.
Porky: „Hört ihr die Signale“ find ich persönlich nicht so gut.
Phono: Ich find „Urlaub vom Urlaub“ ziemlich unangenehm.
Phillip: Ehrlich? Ich find das gar nicht so schlecht das Lied. Das ist so ein Style, den ich Deichkind nicht zugetraut hätte.

Wie betrachtet ihr euch eigentlich selbst? Sind die Personen hinter Deichkind und die Band Deichkind ein und dasselbe?

Phillip: „Das Deichkind“ ist eine eigenständige Person. Und wenn man da selber mit drin steckt, dann ist das wirklich irreal.
Porky: An einem Abend steh ich noch vor tausenden von Leuten auf der Bühne, die alle auf das abgehen, was wir abliefern und am nächsten Abend sitz ich zuhaus in meinem Zimmer und bastel an Playmobil-Flugzeugen herum…
Phono: Es ist auch kein Wunder, dass viele Künstler deswegen so abdrehen.
Phillip: Das sind schon zwei heftig unterschiedliche Welten, die da aufeinandertreffen. Beispiel Michael Jackson, der baut sich da sein eigenes riesiges Kinderparadies, um das zu vergessen. Und wir haben uns zur Beruhigung jetzt eben Tocotronic gesucht, die wir besetzen können. Man braucht sowas.

Was haltet ihr selbst von der Musik, die ihr früher gemacht habt?

Porky: Da waren auch einige gute Sachen bei. Man hat an jede Zeit im Leben irgendwelche guten Erinnerungen, aber das ist für uns jetzt einfach schon lang Vergangenheit. Du denkst ja sich auch nicht mehr drüber nach, was du in der siebten Klasse in einer Mathearbeit geschrieben hast, oder so.
Phillip: Ich weiß nur noch eines ganz genau: Am 11. September damals haben wir grad das Lied „Drogenrausch“ geschrieben… Das war schon ein bisschen bitter.

Und was denkt ihr, wie die Deichkind aus 1997 das betrachten würden, was ihr heute macht?

Phillip: Das ist ne gute Frage. Ich denke, die würden gar nicht glauben, dass das die gleiche Band ist.
Porky: Vor 10 Jahren hat man da auch nicht drüber nachgedacht, was vielleicht mal aus uns werden könnte, oder ob es uns dann überhaupt noch gibt. Die Entwicklung ist ja schon radikal, das würden die Deichkind von damals gar nicht kapieren.
Phono: Das wär für die einfach nicht nachzuvollziehen.
Phillip: Der Erfolg kam ja auch so plötzlich. Erfolg kommt immer dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Da kommen ganz viele Faktoren zusammen. Da sind der richtige Zeitpunkt und ein Haufen Glück nur ein kleiner Bestandteil von.


Hier findet ihr die Tourdaten für Dezember!

4 comments

  1. Hauke says:

    Geniales Interview! Nur das mit dem Tocotonic Bashing hab ich noch nicht so ganz gecheckt.

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