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Arcade Fire – The Suburbs

Seien wir ehrlich: Arcade Fire könnten auch von langweiligem Büroalltag, stinkenden Socken oder im schlimmsten Fall auch von umgefallenen Blumenkübeln singen und es würde bittersüß melancholisch klingen. Ihren langersehnten dritten Streich widmen die Kanadier ganz den Erinnerungen an die Kindheit in gesichtslosen Vororten und zeigen, dass Vergangenheit nicht automatisch Nostalgie anhaften muss. Scheinbar gelassener und reduzierter als die Vorgänger brilliert „The Suburbs“ zwischen kleinen Melodien, großen Gefühlen und Poesie zwischen den Zeilen.

We keep erasing all the streets we grew up in
[…]
Now the music divides us into tribes
You grew your hair so I’ll grew mine
You said the past won’t rest
Until we jump the fence and leave it behind

Oppulente sechzehn Titel versammeln Arcade Fire auf „The Suburbs“, durch ihre inhaltliche Ausrichtung alle als Baustein eines Konzeptalbums erster Güte konstruiert. Das Konzept ist dabei nicht allzu schwer zu erraten und beschäftigen sich mit dem, was man gerne mal abwertend „Speckgürtel“ nennt. Erinnerungen an Orte, Wurzeln, Gefühle, Freund- und Feindschaft, dem Kampf mit Identifikation und Erwachsenwerden, Entfremdung, Vergänglichkeit und dem beständigen Wunsch, alledem zu entrinnen – Themen, die auch schon in der Neighborhood-Tetralogie des Debutalbums „Funeral“ anklangen. Auch das Auto-Motiv, welches durch das mit acht verschiedenen Hintergründen ausgelieferte Cover nur zu deutlich unterstrichen wird, ist auch wieder prominenent vertreten.

First they built the road
Then they built the town
That’s why we’re still driving around
And around and around and around and around
And around and around and around…
2009, 2010
Wanna make a record how I felt then

Vorstadtidylle, die keine ist, wenn Win Butler sich seiner frühen Jahre entsinnt oder konkret seine Rückkehr an die Orte seiner Kindheit und Jugend dokumentiert („Sprawl I (Flatlands)“). Der „Suburban War“ tobt längst auf den Straßen, kurzgemähten Rasen, in den leerstehenden Einkaufzentren und den Köpfen der sich voneinander abgrenzenden Halbstarken. Die melodische Leichtigkeit des Titel- und Rahmenstücks trügt und kann nicht über die Hassliebe, die viele zu ihrem Heimatort pflegen dürften, hinwegtäuschen. Die Suburbia von Arcade Fire hat nichts mit dem makellosen Pop der Pet Shop Boys gemein, auch wenn – wahrscheinlich kalkuliert – ausgerechnet die Songs mit den trostlosesten Texten mit den eingängigsten Melodien bekleidet wurden („City With No Children“).

Das allein von Régine Chassagne gesungene „Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)“ besitzt fast schon ABBA-Disco-Qualitäten und auch verkürzt der Einsatz ihrer Stimme die wenigen Längen der Platte, die insgesamt weniger druckvoll und sparsamer instrumentiert, aber keineswegs weniger durchkomponiert als die bisherigen Produktionen des Septetts klingt. Die kanadischen Vorstadtkrokodile verstecken sich auf „The Suburbs“ nicht hinter überflüssigen Bombast und Pathos, verzichten aber natürlich nicht vollkommen auf ihre stilprägende Folk-Elemente und gelegentliche Streicherarrangements. Getragen von den einzigartigen Stimmen der Eheleute Butler und Chassagne, die man sich an manchen Stellen noch etwas abwechslungsreicher und energischer gewünscht hätte.

So wird ihr Drittwerk vielleicht nicht sofort den Eingang in Ohren und Herzen aller Arcade Fire-Fans finden, zementiert aber definitiv ihren wohlverdienten Status als eine der interessantesten Bands nach der Jahrtausendwende.

But what’s stranger still
Is how something so small can keep you alive

„The Suburbs“ erschien am 30. Juli 2010 bei City Slang/Universal

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