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BootBooHook-Festival 2010 | 20. – 21.8.2010 | Hannover

Während der Rest der Republik ein verregnetes Wochenende erlebt, feiern 5000 sonnenverwöhnte Besucher beim BootBooHook-Festival im Kulturzentrum Faust die Auftritte von über 30 Bands. Die warmen Nachmittage kulminierten abends in erinnerungswürdigen Darbietungen der Headliner The Notwist und Hot Chip. Doch auch abseits der bekannten Größen gab es Neues zu entdecken und lieben zu lernen.

Ein Festival auf dem Gelände des Kulturzentrums Faust im Hannoveraner Szenestadtteil Linden, das passt einfach. Die Wege zwischen der großen Outdoor-Hauptbühne und den zwei Indoor-Bühnen sind kurz, generell hat die alte Bettfedernfabrik einen morbiden aber sehr gemütlichen Charme.  Nur wenige Minuten vom Gelände entfernt befindet sich die Limmerstraße, quasi die Schlagader Lindens, die mit allem was man zum Leben braucht aufwarten kann. Einfach morgens Brötchen holen gehen oder abends etwas zu Essen, so entspannt und mühelos hat man noch kaum ein Festival erleben dürfen. Ein großer Pluspunkt für das BootBooHook und für Stadtfestivals allgemein.

Am Freitagnachmittag eröffnen mit Tanner eine jazzige Popgruppe aus Hamburg das Festivaltreiben. Die Formation gibt sich zwar größte Mühe das noch versprenge Publikum zu animieren, doch plätschert der Auftritt eher vor sich hin. The Horror The Horror aus Stockholm wissen da schon eher mitzureißen, zumindest kommt der geradlinige Wave-Pop bei den Zuhörern gut an. Und die schon etwas gealterte Band freut sich sichtlich über ihren fünften Auftritt in der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Danach folgte der erste Saunabesuch des Festivals. Gemeint ist das Mephisto, ein clubähnlicher Raum mit Mini-Bühne und festivalkonstant mindestens 30 Gras Celsius bei enormer Luftfeuchtigkeit. Aber was tut man nicht alles für Hundreds: das Hamburger Geschwisterpaar Eva und Philipp ist ein echter Geheimtipp. Es fragt sich nur: wie lange noch? Die atmosphärisch-elektronischen Songs sind voller Klangspielereien, getragen von der wandelbaren Stimme Evas. Trotz merklichen Tourstresses (es geht für die beiden nach dem Konzert direkt weiter nach Basel) und technischer Probleme liefern die Zwei ein wunderschönes Konzert ab. Langsam müssen sich schüchternen Hundreds wohl gewahr werden, dass das Publikum inzwischen ihre Texte mitsingt.

Friska Viljor bieten zu diesem Erlebnis einen sonnigen Kontrast. Die Schweden spielen ihr gewöhnliches Festival-Set und feilen weiter an ihren Ruf als exzellente Festivalband. Nur das Publikum hat man bei Konzerten der Stockholmer schon ekstatischer gesehen. Als es endlich dunkel wird, folgt nun die Band, die man sich im Hellen auch gar nicht vorstellen möchte: The Notwist – eine deutsche Musiklegende, ihr erstes Album erschien 1990, vor nunmehr 20 Jahren. Und die Weilheimer spielen ein großartiges Set, wandeln ihren Songs ab, gestalten sie um und lassen sie regelmäßig in Noiseorgien erster Güte ausufern. Überhaupt definiert diese Band live der wahnsinnige Kontrast von laut und leise. Mal haucht Sänger Markus Acher lediglich begleitet von zarten Gitarrenklängen die Songfragmente ins Mikrofon. Mal verlieren sich die Musiker in verzerrten und ekstatischen Jamorgien, die deutlich machen wie viel Freude am musikalischen Exzess doch in dieser Band steckt. Das Gerüst von The Notwist sind die Gesangsmelodien, ohne viel drum herum. Doch erst das klangopulente Beiwerk aus Beats, Knistern und Klacken machen die Songs unvergesslich, einzigartig. Wenn Michael Gretschmann mit Wii-Fernbedienungen verquere Beats erschafft, zeugt das von Experimentierfreude und davon, dass Stagnation für diese Band ein Fremdwort sein muss. Die Zuhörer in den ersten Reihen nehmen das Konzert mit nahezu ungläubiger Freude auf. Denn wer The Notwist kennt, liebt sie.

Nach diesem Höhepunkt ist für Urlaub in Polen leider kein Platz mehr, denn das Mephisto ist bereits bis zum Bersten gefüllt. Dabei warten vor dem Eingang bestimmt noch genau so viele Besucher, wie sich drinnen bereits befinden. Schade! Dafür ist es später bei Mittekill etwas luftiger. Das Berliner Duo bringt nach eigener Aussage „Emotronic“ auf die Bühne. Diese Musikrichtung stellt sich als ziemlich krude und abgedreht dar. Doch Faszination bleibt nicht aus. Spätestens beim Hit „Wasser und Wodka“ ist auch das Publikum überzeugt, dass diese Band etwas zu sagen hat,  auch wenn es mitunter sehr kryptisch daher kommen mag. Die Beats rumpeln, der Schweiß perlt und nach Mittekill neigt sich die erste Festivalnacht ihrem Ende zu.

Der Sonnabend verwöhnt bereits morgens mit Sonnenschein. Mittags beginnt dann auf der Hauptbühne auch schon wieder das musikalische Geschehen. Francesco Wilking, seines Zeichens Sänger von Tele, springt kurzfristig für Bambi Kino ein und performt einige Songs seiner Soloausflüge. Nur Gitarre und Gesang – das nennt man einen intimen Auftakt. Etwas zünftiger wird es dann mit Bernd Begemann und seiner Band Die Befreiung. Allerdings fängt die Band viel zu spät an, spielt nicht gerade tight und dann kokettiert Begemann auch noch ständig mit seinem „Ich-bin-ein-abgehalfterter-Schlagersänger“-Image und mimt die Laberbacke. Etwas mehr der durchaus guten Rock’n’Roll-Musik hätte es dann doch sein dürfen, so bleibt es dann doch bei der etwas albernen Hintergrundbeschallung für’s Sonnenbad. Für die anstehende Deutschlandtour im Herbst darf man wohl mehr erwarten.

Weiter geht es mit Anajo. Die Augsburger präsentieren unter anderem ihren neuen Song „Mädchenmusik“, das Spiel mit dem eigenen Image gelingt aber leider überhaupt nicht und wirkt eher peinlich. Da erfreuen schon eher die alten Hits wie „Ich hol dich hier raus“ oder „Honigmelone“. Das ist kantenfreier deutscher Pop, so wie  man sich das als guter Mensch vorstellt. Die Band dazu ist sympathisch und freut sich ehrlich über ihren Auftritt, es ist immer mal wieder schön, so etwas zu sehen.

Auch am zweiten und letzten Festivaltag steht die Sauna Mephisto wieder auf dem Programm, denn Norman Palm hat sich angekündigt. Und prompt sorgt der Berliner für das zweite Festivalhighlight. Zusammen mit zwei finnischen Freunden werden Songs zwischen ruhigem Songwriterschick à la Kings Of Convenience und Elektronischem à la James Yuill auf die Bühne gebracht. Zwischen diesen zwei Anhaltspunkten findet Norman Palm jedoch seine eigene Sprache, viele seiner grundmelancholischen Songs kreisen um seine Fernbeziehung zwischen Berlin und Mexiko. Gegen Ende gibt es sogar einen richtig krachenden Jam zu hören – imposant! Diesen etwas verstört wirkenden, aber sympathischen jungen Herren sollte man sich merken, sein aktuelles Album heißt „Shore To Shore“ (die Fernbeziehung!).

Der zweite Headliner des BootBooHooks heißt Hot Chip. Die Combo aus „Landen, Inkland“ beehrt Deutschland dieses Jahr lediglich mit zwei Festivalauftritten, dies ist der erste. Man bekommt viel vom neuen Album „One Life Stand“ zu hören, doch auch „Made In The Dark“ und „The Warning“ kommen nicht zu kurz. Bassist Owen Clarke befindet sich leider in der Babypause, doch trotzdem ist er auf der Bühne per LCD-TV dabei und hat seine Gesangsparts vorher per Video aufgenommen. Das ist ganz schön freaky, eben genau wie die Musik dieser Band. Live erhalten die Songs übrigens ein völlig neues Gewand, die Übergänge sind fließend und die Instrumentierung abgeändert. Das macht Spaß und das Konzert zu einem einigermaßen einmaligen Erlebnis. Als letzter Song der Zugabe kommt dann natürlich der Hit „Ready For The Floor“.

Später am Abend zeigen sich die Dänen von Men Among Animals als exzellente Liveband, die mit völlig eigenständig klingender Rockmusik aufwarten kann. Ganz in weiß gekleidet bieten sie eine derart intensive Performance, als wäre es ihr letztes Konzert. Hörenswert! Bei Nom de Guerre wird anschließend klar, dass man um diese Musik zu schätzen schon ein ganz besonderes Faible haben muss. Dann steht noch das Duo aus Bratze und Egotronic an. Allerdings lassen die meterlangen Schlangen vor der 60er-Jahre-Halle und die ultratropische Luft innen drin relativ schnell erkennen: das wird nichts mehr. Damit ist ein Kritikpunkt an der Organisation auch schon angesprochen. Die nächtlichen Schlangen vor den beiden Hallenbühnen sind ein Problem. Wer ein Tagesticket kauft, weil er beide obigen Bands sehen möchte und dann gar nicht erst in die Halle kommt, wird restlos bedient sein. Was tun? Die Hauptbühne darf aus Lärmschutzgrunden nach 23 Uhr nicht mehr bespielt werden, was bei einem Stadtfestival auch verständlich ist. Und Egotronic um drei Uhr nachmittags ist nun auch keine Lösung. Vielleicht sollte man also im nächsten Jahr einfach keine „Partybands“ mehr buchen, die derart viele Besucher anziehen.

Ein zweites Ärgernis waren Diebstähle auf dem Campingplatz. Bei Ankunft wurde eine 24-stündige Bewachung des Geländes versprochen, diese stellte sich aber als Witz heraus. Noch nicht einmal die Campingbändchen wurden bis zum letzten Abend kontrolliert, so waren die Zelte also mitten in einer Großstadt für jedermann zugänglich. Dass dann etwas passiert ist traurig, dürfte aber niemanden wirklich wundern. Dies ist ein ernsthaftes organisatorisches Problem, gerade weil sich der Campingplatz mitten in einer Art Park befindet. Die Abtrennung dieses Bereiches muss also in Zukunft noch deutlicher ausfallen.

Davon abgesehen war der Rest des BootBooHook aber überzeugend gestaltet, eine freundliche Security sowie Infoschilder und Hinweise aller Orten erleichterten die Orientierung um Einiges. Das BootBooHook ist eine runde Sache und in Hannover ganz am richtigen Ort. Der Zuspruch gibt den Veranstaltern von tapete records, dem Kulturzentrum Faust und dem Spandau Projekt recht, 5000 Tickets wurden letzten Endes abgesetzt, das Festival war ausverkauft. Ein stärkeres Argument für das Fortbestehen dieses Neulings in der Festivallandschaft kann es nicht geben. Vielleicht erklären die Veranstalter ja irgendwann auch noch einmal, welchem Wachtraum der Name ihres Festivals entstammt.

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