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Hardcore For Life!

Hardcore for life! Jemand, der diese Einstellung wirklich verkörpert, dürfte Lou Keller sein, seines Zeichens Sänger von Sick Of It All und auch schon etwas in die Jahre gekommen, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Vor Ihrem Konzert in Göttingen mit Rise Against, Waterdown und Crowfish trafen wir auf „Onkel Lou“ um ihn kennen und auch schnell schätzen zu lernen. Selten trifft man auf Musiker, die trotz des Erfolges so nett sind, sich ernsthaft mit dir unterhalten und auch wirklich Zeit für dich haben. Lou ist so jemand und er erzählte uns, was er von Straight Edge, Oi-Punk und Gewalt hält. Und wer die Weltmeisterschaft gewinnt.

Was hältst du von Straight Edge in der Hardcore Szene?

Solange es bei dir liegt, eine persönliche Entscheidung ist und nicht von anderen Leuten abhängt, ist das eine großartige Sache! Aber sobald die Leute anfangen, es nur als Statussymbol in der Szene zu erreichen, lehne ich es ab.

Bist du Straight Edge?

Nein, war ich auch nie.

Und der Rest der Band?

Lou und Pete trinken und rauchen nicht, aber sie sind nicht solche Leute, die Xe auf ihren Hände malen oder sowas und umherrennen und versuchen, andere Leute zu beeinflussen. Es muss eine persönliche Entscheidung sein, wenn nicht, tun die Leute es aus den falschen Beweggründen.

Nimmst du deine Familie eigentlich mit auf Tour?

Meine Familie? Oh nein, mit meiner Familie auf Tour, das wär verrückt! Die Kids würden im Bus rauf und runter rennen, das wär zu viel! Meine Frau ist zu Hause mit den Kindern.

Auch nicht bei längeren Touren über mehrere Monate?

Nein, da auch nicht. Es gäbe einfach viel zu viele Dinge, um die man sich kümmern müsste, noch viel mehr, als wenn wir „nur“ die Shows spielen…

Letztes Jahr wart ihr mit 28 Days auf Tour. Naja, 28 Days sind…

…keine Hardcore Band. Das ist etwas, was wir auf dem schmerzlichen Weg erfahren haben. Unser alter Manager – von dem wir uns nach dieser Tour getrennt haben – hat sie aus irgendweinem Grund für unsere Shows geholt. Als wir gesehen haben, was die für Musik spielen, war niemand von uns wirklich begeistert, mit ihnen zusammen zu spielen. Vor allem, weil die Leute kommen und Geld bezahlen, um Sick Of It All zu sehen. Da möchte ich schon, dass die Idee dahinter steckt, gute Bands für uns eröffnen zu lassen. Ich will jetzt nicht behaupten, dass 28 Days schlechte Musik spielen, es ist nur einfach nicht die Musik, die du vor Sick Of it All zu sehen erwartest. Bands wie Waterdown oder Rise Against haben zumindest mehr mit dem zu tun, was wir machen und kommen aus einer ähnlichen Szene. Das funktioniert so wesentlich besser.

Spielt ihr eine andere Setlist, wenn ihr mit Waterdown spielt, als wenn ihr mit 28 Days im Vorprogramm unterwegs seid?

Diese 28 Days-Geschichte war einfach ein krasses Ding, das so sicher nie wieder in unserer Geschichte vorkommen wird. Manchmal überlegen wir uns aber schon, ob wir eher die harten Sachen spielen oder nicht. Das hängt von der Zusammenstellung ab, als wir in Amerika vor den Dropkick Murphys gespielt haben, gab es mehr von unseren Oi-beeinflussten Songs zu hören. Einfach weil das dann mit uns und denn Dropkick Murphys besser funktioniert. Warum sollten wir auf dieser Tour viele härtere Sachen spielen, das würde keinen Sinn machen.

Oi-Songs…. Ihr habt auch was für den „Worldwide Tribute To The Real Oi“ – Sampler gemacht. Wie steht ihr zu Oi- und Punkmusik?

Als ich dass erste mal mit dieser Musik konfrontiert wurde, als ich mich das erste Mal mit Hardcore beschäftigt habe, gingen Hardcore, Punk und Oi Hand in Hand. Es gab keine separaten Szenen mit Leuten, die dann nur diese eine Musikrichtung hören. Jeder hatte mit den selben Sachen zu tun, mit allen Sachen, es war nicht so gesondert. Die Sachen, die ich zu dieser Zeit aus England gehört habe, fand ich grossartig und es hat sehr sehr lange gedauert, bis ich mitbekommen habe, dass die Bands untereinander Politik machten. Das war wirklich Jahre später. Am Anfang waren die ganzen Oi-bands einfach harte Bands, die eine starke Message und einen kraftvollen style hatten.

Und was meinst du, wieso diese Szenen jetzt teilweise so separat sind?

Ich habe keine Ahnung, aber das ist echt beschissen! Ich wünschte wirklich, die Leute wären musikalisch viel offener. Sobald du musikalische Unterteilungen vornimmst, schafft das Probleme. Wenn z.B. jemand nur eine bestimmte Musikrichtung hört… Ich höre jede Art von Musik und ich finde das gut, dass unterschiedliche Bands unterschiedliche Musik machen. Wenn mehr Leute diese Einstellung hätten, wären genreübergreifende Shows besser, das Publikum wäre aufnahmefähiger und es wäre einfach eine bessere Atmosphäre. Wenn die Leute zu engstirnig sind, werden die Szenen stagnieren, ohne sich gegenseitig zu inspirieren.

Sind das eher musikalische Unterschiede oder spielen dabei auch die Einstellungen der Leute eine Rolle?

Hauptsächlich geht es um die Musik. Ansonsten vielleicht noch um Lifestylegeschichten wie Straight Edge. Ich kann mir z.B. keine vegane oder Straight Edge-Person vorstellen, die ein Fan von Guttermouth ist, weil die Message von Guttermouth einfach gar nichts damit zu tun hat. Aber musikalisch finde ich es wie gesagt viel besser, wenn man offener eingestellt ist und unterschiedliche Styles akzeptiert.

Macht ihr in eurer Freizeit Sport?

Ich sehe mir viel Fußball über meine Satellitenschüssel an (lacht). Craig boxt, bzw. er versucht es zu lernen. Pete hält sich fit, er macht Jujitsu und sowas, aber ich glaube, er hat das auch schon lange nicht mehr gemacht. Schon eine kleine Verletzung kann manchmal dazu führen, eine Tour nicht mitspielen zu können. Die Band hat Vorrang, andere Aktivitäten müssen wir auf den zweiten Platz unserer Prioritätenliste setzen.

Und was hast du sonst für Hobbies?

Ähhhh… eigentlich keine. Ich habe keine Zeit für Hobbies. In dieser Band zu spielen und Vater zu sein nimmt sehr viel zeit in Anspruch, sodass ich keine Zeit für weitere Hobbies habe. Nur Musik und Vater-sein…

Diese Tour war ja nicht in Zusammenhang mit einem neuen Album. Arbeitet ihr da gerade an etwas?

Im November haben wir ein Livealbum aufgenommen, das wird im Juli rauskommen. Im Moment touren wir noch für „Yours Truly“. Wir sind keine Band, die ständig neue Sachen schreibt, sondern eher viel umhertourt. Danach nehmen wir uns dann die Zeit, etwas neues zu machen. Normalerweise dauert es so 5 Monate, um ein neues Album zu machen.

Was war dann eure Motivation, schon wieder nach Europa zu kommen?

Einfach, um zu touren, um die Leute daran zu erinnern, dass wir noch existieren. Ich finde nicht, dass man unbedingt ein neues Album braucht, nur um auf Tour zu gehen. Seit Anfang 2001 haben wir eine Europatour gemacht, nur eine Headlining-Tour, dass hier ist jetzt die zweite. Wenn man sich unsere Geschichte anschaut, war es immer gut, zwei Headlinerturen pro Album zu machen. Wir versuchen, nach jedem Album zwei Mal in Europa zu touren, dass selbe gilt für Amerika, zwei nationale Touren pro Album. Und dann andere Sachen wie Festivals, die sind wichtig, weil du da auch für die Fans von anderen Bands spielst. So kannst du dich bekannter machen.

Wenn wir grade über Fans reden, siehst du da große Unterschiede zwischen Amerika und Europa?

Ich würde sagen, dass die Fans in Europa aus irgend einem Grund die Aggressionen in unserer Musik besser verstehen. In Amerika und in Kanada erwarten die Leute ein bisschen mehr Melodie, aber hier in Europa genießen die Leute die Aggression und das Fehlen von Melodie. Ich habe das Gefühl, dass die Musik, die wir machen, besser auf das europäische Publikum passt. Es sieht so aus, als ob du in Amerika auf MTV sein musst, alle Möglichen Radio- und Videoplays haben musst. Wir sind nun mal keine Band, die das hat. Wir haben keine Maschine hinter uns, die uns pusht. In Amerika brauchst du 100.000e von Dollars hinter dir, um dich groß zu machen. Die Leute wollen einfach mit Musik vollgepumpt werden, nicht wie in Europa, wo die Leute aufwachsen und ihren eigenen Geschmack, ihre eigenen Vorzüge entwickeln. Und das ist der große Unterschied zwischen Europa und Amerika, wie viel besser die Underground-Szene hier ist.

Reden wir über Musik und Aggressionen. Da gibt es etwas aktuelles in Deutschland, ein Schüler hat Lehrer und Mitschüler erschossen und jetzt versuchen viele, die Schuld auf Slipknot zu schieben, weil der Mörder Slipknot gehört hat. Wie seht ihr sowas?

Im Dezember 1992 gab es in Amerika in Massachusets einen Kerl, der mit einem Gewehr drei Leute erschossen und viele verletzt hat. Der hatte ein Sick Of It All T-Shirt an. Alle Bilder, die von ihm gemacht worden, wie er festgenommen wurde und wie er ins Polizeiauto gesteckt wurde, waren mit einem T-Shirt von Sick Of it All. Damit mussten wir dann umgehen können.

Hattet ihr Ärger deswegen?

Nein, keinen Ärger. Du kannst auch keine wirkliche Verbindung zwischen Verhalten und Musik machen. Es gibt so viele Leute, die Gangster-Rap hören und trotzdem nicht rausgehen und etwas verbrechen. Die wahre Ursache liegt in der Erziehung. Meistens sind es die Eltern, die man für so krasse Problemen in den Kindern verantwortlich machen muss, die ein Kind dazu bewegen, eine Waffe zu nehmen und auf Leute zu schiessen. Deswegen schieben die Eltern so schnell die Schuld auf die Musik, weil sie nicht auf sich selber schauen wollen und sich zu fragen „Warum hat unser Kind das getan?“ Die Ursache liegt meistens zu Hause.

Aber hat man als Musiker nicht auch eine gewisse Verantwortung für die Musik, die man macht?

Dann redest du aber gleichzeitig über Zensur und andere Dinge, die einen Künstler wirklich einschränken, sich selbst auszudrücken. Da geht es wirklich um einen riesigen, komplizierten Zusammenhang. Ich bin niemand, der Zensur befürwortet. Ich glaube nicht, dass etwas zensiert werden sollte. Aber ich glaube wirklich, dass die Verantwortung bei den Eltern liegt. Menschen brauchen Liebe, sonst werden sie zu Freaks. Und Liebe kriegst du nicht von einer Slipknot-Platte.

Nein, nicht wirklich… Was hältst du von Musik-Hypes, wie z.B. „Nu-Metal“?

Ich bin kein grosser Fan von Nu-Metal, aber ich mag Emo sehr gerne und bin schon lange ein großer Fan von solchen Sachen. Als die erste Sensefiel rauskam, war ich schon ein grosser Fan davon und kenne mich in der Szene schon ziemlich lange aus. Was Nu-Metal angeht, hab ich das nie richtig verstanden. Ich mag die Kraft von einer Band, aber Nu-Metal höre ich nicht viel, das ist alles zu technisch für mich und dann die ganzen hip-Hop-Einflüsse… Es ist halt einfach nicht mein Geschmack.

Und was denkst du generell über solche Hypes, wenn Bands ohne Ende gepusht werden?

Das passiert schon seit Jahren. 95 kannte in Amerika noch niemand Korn und noch im selben Jahr haben sie eine Platinplatte verkauft. Das war so en Wendepunkt, wo viele Bands auf einmal groß geworden sind. Wenn die Labels viel Geld in eine Band stecken, werden sie in der Regel groß.

Könnte sowas auch der Hardcore-Szene passieren?

Könnte es, wenn jemand soviel Geld in Hardcore investieren wollen würde, aber Hardcore hat nie soviel Geld gehabt. Wir waren einige Jahre auf einem Majorlabel und wir wurden nicht so gepusht wie eine Band, die potentiell gleich mal die Top 40 gestürmt hätte. Sie wussten, dass wir eine Undergroundband sind und im Radio oder so nicht funktionieren. Es kommt immer darauf an, womit du arbeitest. Wenn du mit etwas arbeitest, wo du weisst, es könnte Kids, Middleages und Erwachsenen gefallen, wie es schöne, melodische Musik würde, dann hättest du etwas, was sich möglicherweise Millionenfach verkaufen würde. Aber wenn du mit Musik arbeitest, die sich nur bei einem ganz bestimmten Publikum verkaufen würde, z.B. hauptsächlich bei Jungs zwischen 15 und 25, die auch aggressivere Sachen hören, dann schmälert das deinen Marktwert so dermasen, dass eine Firma nicht daran interessiert ist, so viel Geld ins Marketing und in die Promotion zu stecken. Es geht halt nur um die Dollars.

Aber mit Fatwreck seid ihr zufrieden?

Fatwreck ist gut, sie machen gute Arbeit.

Werdet ihr eventuell später noch einmal zu einem Majorlabel gehen?

Das weiß ich nicht, kann ich jetzt nicht so genau sagen. Es ist ja nicht so, das wir ständig mit anderen Labels verhandeln würden. Gerade arbeiten wir noch mit Fat, um dieses Livealbum rauszubringen. Wir machen das bei Fat immer Album für Album. Wenn du mit Fat arbeitest, gibt es keinen Vertrag, es bleibt bei einem Händedruck. Fat Mike ist wirklich fair und ein netter Typ, wenn du ein Problem hast oder einfach nur mit ihm reden möchtest, dann ist er da und gibt dir die Zeit die du brauchst, um deine Message rüber zu bringen. Ausserdem ist er wirklich ehrlich, was man von den Majorlabelleuten nicht gerade behaupten kann. Fat Mike ist so ein Typ, der dir sagt „Tut mir ja leid, aber ich kann euch das Geld für die Werbung nicht geben“, nicht wie die Majortypen, die dir versprechen „Na klar, wir machen das und dann das… ihr werdet groß!“, um dann hinterher gar nichts zu tun. Weisst du, was ich meine? Ich bevorzuge wirklich die ehrliche Art und Weise wie bei Fat Wreckords.

Kommen wir zur letzten Frage. Wer wird deiner Meinung nach die Weltmeisterschafft gewinnen?

Ich glaube, dass im Finale letztendlich Frankreich und Argentinien stehen werden. Wer genau gewinnt, kann ich nicht sagen, das hängt davon ab, wer an diesem Tag besser spielt, aber ich wär‘ für Frankreich. Einfach, weil deren Spieler so gut sind.

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