Startseite » Im Gespräch mit Anna Aaron

Anna Aaron (Pressebild)

Im Gespräch mit Anna Aaron

Wahrscheinlich unterschätzt man sie schnell, diese Anna Aaron bzw. Cécile Meyer, wie sie bürgerlich heißt. Eine zierliche Frau mit jugendlichen, fast engelhaften Gesichtszügen. Die mit ihrem aktuellen Werk „Neuro“ eines der interessantesten Alben der letzten Zeit geschaffen hat. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass dies das zweite Album ist, also verbunden mit hohen Erwartungen und weniger Freiheiten als beim Erstling. Zudem schlägt „Neuro“ eine andere Richtung als das Debüt „Dogs in Spirit“ ein. Wie es dazu kam, was hinter „Neuro“ steckt und wie sie zur Musik gefunden hat, erläuterte Anna Aaron im Rahmen eines Interviews vor ihrem grandiosen Konzert im Berliner Privatclub.

Nachdem sie als Kind zwar Klavierunterricht bekam, begann Anna Aaron erst im Alter von ca. 17/18 Jahren, Lieder zu machen. Und die Musik langsam für sich selbst zu entdecken. Diese Anfänge beschreibt sie wie folgt.

Es ist so ein blindes sich Hervortasten irgendwie. Man versucht so intuitiv genau hinzuhören, in sich selber reinzuhören und dann halt langsam entwickelt sich das. Mit der Zeit versteht man alles besser, man sieht die Musik klarer. Aber, ja das hat Jahre gedauert bei mir, schon.

Es folgten Jahre des Suchens, u.a. studierte sie Philosophie und Literatur, bis sich nach und nach die Musik als das Ziel ihrer Suche herauskristallisierte.

Ich hatte lange das Gefühl, dass ich nirgens wirklich hingehöre. Und die Musik, das war dann eine Art Erleichterung. Ich hatte das mir niemals gedacht, dass ich mal Musik machen würde, aber irgendwann sind die Schleusen aufgegangen und die Musik ist dann so rausgeströmt. Dann hab ich gedacht, ja okay, dann ist das halt jetzt so in meinem Leben.

Nach den ersten Auftritten, anfangs als Sängerin in einer Band, später allein, war der nächste Schritt ein Plattenvertrag, an dem Sophie Hunger nicht ganz unbeteiligt war.

Am Anfang ist das natürlich sehr lokal. Eben, man spielt vor Freunden, mit Freunden auch zusammen. Also, ich habe dann irgendwann einfach den Plattenvertrag unterschrieben, bei Two Gentleman. Ich habe Sophie Hunger kennengelernt, die hat mich dann ihrem Management vorgestellt. Und dann sind die danach auf mich zugekommen und haben mir den Vertrag angeboten.

Ihr neues Album „Neuro“ ist geprägt von elektronisch erzeugten Klangwelten, die Weite und Raum erzeugen, aber auch mit gezielten Brüchen spielen. Im Gegensatz zum ersten Album „Dogs in Spirit“, dass zwar auch diese Brüche und Räume enthielt, wo der Klang aber handgemacht und analog war.

Ich habe dazumal einen sehr erdigen Bezug zu der Musik gehabt. Ich hatte auch damals das Gefühl, wenn die Musik nicht möglichst handgemacht, ungeschliffen und brachial klingt, dann ist es nicht echt. Ich hatte große Vorurteile gegenüber elektronisch produzierter Musik. Mit der Zeit hatte ich mich aber wieder von dem ein bisschen gelöst. Und ich habe gemerkt, dass man zum Beispiel durch elektronische Manipulierung von Klängen sehr magische Welten erzeugen kann. Dann kommt man auch in außerirdische Dimensionen. Also man hat da auch sehr viele Möglichkeiten, ohne sich in etwas klinisches zu verstricken oder in etwas unechtes.

Obendrein spielt beim ersten Album die Stimme der Anna Aaron eine größere Rolle. Jetzt wird diese in den neuen Klangwelten mehr integriert. Sie selbst erklärt dies durch ihre eigene musikalische Entwicklung seit der Arbeit am Debütalbum.

Ja, ich denke das liegt daran, dass ich früher, ich war ja da auch noch jünger, ich hatte noch nicht so einen Überblick. Ich konnte im Studio noch nicht wirklich sagen, ich möchte das und das. Ich konnte auch kaum eine Snare von einer Pauke unterscheiden. Ich war halt wirklich noch sehr am Anfang. Das muss man ja auch alles lernen. Dass man eben auch der Chef sein kann im Studio. Was die Stimme betrifft war ich immer der Chef, weil das konnte ich sehr gut. Aber der Rest, da habe ich ein bisschen die Zügel aus der Hand gegeben. Und jetzt bei „Neuro“ war das ganz anders. Die Demos waren schon sehr ausgearbeitet. Und die Ideen waren sehr klar. Ich konnte das dem Produzenten klar vermitteln, ich möchte das so und so. Aber eben, das muss man alles lernen.

Produziert wurde das neue Album von David Kosten (Bat for Lashes, Everything Everything) in London, wo Anna etwa drei Wochen mit ihm zusammen arbeitet. Beteiligt waren daran auch die Musiker Ben Christophers (Bat For Lashes) und Jason Cooper (The Cure). Zu dieser Arbeit meint Anna:

Es ist noch lustig wie er arbeitet. Er ist sehr nahe an den Demos dran geblieben. Es gibt zum Beispiel ein Lied, das ist mir erst kürzlich wieder aufgefallen, bei „Neurohunger“ da ist das Demo drin. Es ist wirklich im Lied drin. Also wir haben das Demo in sein Programm reingeladen und dann haben wir das Schlagzeug darüber aufgenommen und die Gitarren und so. Aber wenn man das alles weg schälen würde, das Schlagzeug und die Gitarren, dann würde man das Demo unverändert vorfinden.

Auch inhaltlich war es von „Dogs in Spirit“, wo Religion, Spiritualität und biblische Mythologie thematisiert wurden, hin zu „Neuro“ mit seinem Science-Fiction-Bezug ein großer Schritt. Für sie selbst aber eine logische Entwicklung, auf die sie sich nur einlassen musste.

Das war so ein fließender Prozess. Ich hab mich leiten lassen, ich weiß nicht von was.

Ich meine, das Herz der Arbeit ist für mich immer die Zeit, die ich bei mir zuhause am Klavier verbringe. Ganz alleine. Dort geschieht eigentlich alles. Alles was in meiner Arbeit geschieht hat dort ihren Ursprung. Ich hab halt viel Zeit alleine verbracht und hab hingehört und dann sind diese Themen gekommen. So langsam sind sie erschienen und ich hab dann versucht, dem ein bisschen zu folgen.

Bei mir ist das dann auch fast wie Recherche betreiben. Ich überleg mir dann, okay, welche Bücher werde ich jetzt lesen, welche Filme werde ich mir angucken. Meistens spüre ich so intuitiv, welches Material geeignet ist und dann bin ich eben auf dieses Science-Fiction-Thema gekommen und als ich dann „Neuromancer“ gelesen hatte, das war nochmal wie ein Riesenschlüssel. Da ist nochmal so viel passiert.

Also irgendwie, die Türen, durch die man hindurchgehen möchte, die sind klar, aber was dann hinten dran ist, das weiß man nicht. Da lässt man sich dann drauf ein.

Der Roman „Neuromancer“ aus dem Jahr 1984 gilt als geistige Grundlage des Cyberpunk und beschreibt eine düstere, zukünftige Welt.

Das ist wirklich ein sehr großer Weg, den ich zurückgelegt habe mit diesem Buch. Aber ich habe da gar nicht mit gerechnet. Ich wollte mich mit Science-Fiction beschäftigen. Weil ich wollte mich ein bisschen mehr in Richtung große Städte und Technologie bewegen. Ich wollte ein bisschen wegkommen von diesem… Natur, mit der Wüste und dem Berg. Und auch das Rituelle und so. Weil ich habe gedacht, das ist ja eigentlich gar nicht meine natürliche Umgebung.

Und die Auseinandersetzung mit der Welt des Digitalen ist auch der Zusammenhang zum ersten Album, geht aber noch viel weiter, bis zur Evolution des heutigen Menschen.

Es geht eigentlich um das Nicht-Physische. Und ich hab mir sehr überlegt, früher war es ja so, zum Beispiel im Mittelalter, da hatte man das Physische, den Körper, und die Menschen haben gesagt, dass was nicht physisch ist, das ist die Seele. Oder der Geist. Oder Gott. Oder was auch immer. Und jetzt, heute in unserer Zeit, haben wir wie noch was drittes. Was auch nicht physisch ist. Also ich spreche vom Digitalen. Es ist nicht körperlich, es ist sozusagen unsichtbar. Was sind denn diese Daten? Sie sind Realität, es sind reale Daten, sie sind vorhanden, aber man kann sie nicht sehen, man kann sie nicht berühren.

Das finde ich unendlich faszinierend. Das ist ein Riesenmysterium auch für mich. Es ist so seltsam. Ich finde es so unglaublich seltsam. Es kommt so aus dem Menschen raus. Plötzlich fängt er an, sich so etwas zu erfinden wie das Internet. Das ist so seltsam. Und wir sehen das so oft nicht, weil es ist für uns alltäglich. Wir arbeiten damit, es ist völlig integriert in unseren Alltag. Aber für mich ist es komplett unerklärlich. Und eben in diesem Buch von Wilhelm Gibson ist das auch sehr präsent, diese fast schon mystische Dimension von der digitalen Welt, von der Matrix. Diesem geheimnisvollen Netz, das da in der Luft rumschwirrt und wir verbinden uns damit.

Das Digitale ist eher die Wissenschaft. Ich denke auch so Themen wie die Seele und der Geist, das hat auch sehr viel mit Glaube zu tun, vielleicht sogar mit Religion. Das ist ja bei der Technik nicht so, das ist dann eher die Wissenschaft. Aber der Punkt dass es unsichtbar ist, der bleibt mysteriös.

Ich frage mich einfach, wie werde ich mich weiterentwickeln als Mensch. Ich denke ja auch immer, die ganze Menschheit ist enthalten in jedem Menschen. Immer. Wie das Genom. Die Gesamtheit aller Zellen ist in jeder Zelle drin. Ist ja auch unglaublich überwältigend. Ich frag mich auch, wie sich das jetzt weiter ausbaut mit dem menschlichen Verstand, der sich aber mit der Matrix verbindet. Und ich denke das wird vielleicht nochmals unvorstellbare Schritte vollziehen.

Diese Entwicklung hin zur elektronischen Musik verbunden mit dem neuen Themenkomplex erfordert eben auch viel Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und ist mit Risiken verbunden. So erschienen nach ersten Auftritten mit dem neuen Album in der Schweiz Berichte, die Anna und ihrer Band Schwierigkeiten beim Umsetzen der neuen Lieder attestierten.

Ja, klar, ich hab mir viel aufgebürdet. Es ist unterschiedlich. Zum Teil sind die Journalisten in der Schweiz sehr missbilligend, aber zum Teil sind sie auch sehr großzügig. Und es ist klar, ich bin angewiesen auf die Großzügigkeit der Leute, weil ich bin nicht unfehlbar auf der Bühne. Aber das ist auch nicht mein Ziel. Ich möchte lieber etwas mutiges machen und vielleicht etwas, was ich nicht oder noch nicht so gut kann. Als mich immer in einem Bereich zu bewegen, wo ich quasi auf die sichere Karte setze, weil ich weiß, dass ich das kann und es klappt jedes Mal. Ich denke das ist wie so vieles im Leben. Das kann man schon so machen. Oder man steigt aus dem Boot und versucht neue Territorien zu erobern. Es ist klar, dann macht man sich natürlich angreifbar, weil die Leute können dann sagen: „Das ist schlecht.“ oder „Die kann das ja nicht.“. Aber ich ziehe das der Sicherheit vor.

Dieser Mut und Wille ist meiner Meinung nach sehr bewundernswert. Aber er führt auch zur Frage der Ambivalenz des Berufes Musiker/in. Auf der einen Seite möchte man sich ausdrücken, auf der anderen Seite ist es auch die Geldquelle, von der man sein Leben bestreiten muss.

Ich denke, da habe ich auch sehr großes Glück. Ich denke das ist nicht selbstverständlich, aber ich kann das ein bisschen ausschalten. Die Gedanken. Also ich mach das auch sehr bewusst, weil wenn man dann plötzlich diesen Druck hat, das ist ja meine Verdienstquelle, die einzige, dann geht es irgendwann gar nicht mehr. Aber eben, ich hab halt das Glück dass es klappt. Es klappt finanziell. Und es läuft gut genug, dass ich davon leben kann. Das ist auch nicht selbstverständlich.

Zudem kann es schnell passieren, dass man die Kraft oder die Freude daran verliert, Musik zu machen, wenn der (finanzielle) Druck zu groß wird. Aber das ist bei ihr offenbar kein Thema.

Die Musik ist für mich eine ziemlich unversiegbare Quelle. Es ist auch wieder etwas, wo ich Glück hab. Es ist eine Kraft, es hört nicht auf zu fließen. Da kann ich mich auch darauf verlassen. Ich denke auch oft, ich habe auch nichts anderes zu geben. Irgendwie das ist meine Aufgabe. Aus mir selber raus zu schöpfen. Also, ich bin mein Beruf, sozusagen. Meine Aufgabe auf dieser Welt ist irgendwie das zu sein was ich bin. Ich hab mich ein bisschen damit abgefunden, dass das so ist. Weil es etwas positives ist.

Es ist halt manchmal ein bisschen schwierig, weil man hat wirklich nur sich selber zu geben. Und wenn ich mich dann schwach fühle als Mensch, dann bin ich auch beruflich schwach. Also es gibt da keine Trennung. Es ist wirklich mein Herz.

Durch diese enge Bindung gibt man auch viel von sich preis. Wie man an den Texten von Anna auch ablesen kann. In einem Artikel über Anna Aaron wurde gemutmaßt, dass aus diesem Grund der fiktive Name auch als Schutzschild für die private Person fungieren soll.

Anna Aaron ist der Titel, den ich dem Ganzen geb. Also die Überschrift „Anna Aaron“. Aber es ist keine…Manchmal sagen ja die Leute: „Ja, du hast so eine Kunstfigur erschaffen.“. Ich kann mit dem nicht so viel anfangen.

Ich bin einfach der Meinung, dass das Private irgendwie nicht relevant ist. Ich habe manchmal sogar den Eindruck, das stört eher. Ich möchte eigentlich, dass die Leute möglichst unvoreingenommen und in sich frei meine Musik hören können. Und ich achte darauf, auch in dem was ich sage in der Öffentlichkeit, mich nicht zu verstricken in irgendwelchen privaten Diskursen, weil das ist irgendwie nicht so interessant. Finde ich. Und ich finde man kann auch unterscheiden zwischen privat und persönlich. Die Leute sagen manchmal: „Ja, das ist ja sehr persönlich, du ziehst dich sozusagen seelisch aus auf der Bühne. Wie machst du das? Das ist ja alles so persönlich.“. Das stimmt schon, es ist wirklich, es ist sehr persönlich. Aber es ist nicht privat. Ich hab auch das Gefühl, ich kann sehr weit gehen, ich kann viel persönliches wirklich preisgeben und es ist okay. Ich fühle mich nicht ausgeliefert oder exponiert. Weil ich das Gefühl habe, ich habe diese Dinge auch bekommen, um sie weiterzugeben.

Und diese Gabe und ihre Kraft dahinter, definiert sich unter anderem über ihr Verständnis von der Kunst.

Ich habe das plötzlich so realisiert, dass das für mich eigentlich so ist. Und dass ich die Kunst auch so als ein Gesamtwerk sehe, eigentlich von der ganzen Menschheit. Und wir alle arbeiten daran. Über Jahrhunderte hinweg arbeiten wir an diesem Ding, was auch immer das ist. Und jeder trägt seinen Teil dazu bei, jeder der Lust hat.

Und, irgendwie, es ist eine sehr persönliche Arbeit. Aber es ist auch eine Arbeit, die mit der Öffentlichkeit zu tun hat, weil es betrifft die ganze Menschheit.

Auf die Einstiegsfrage, wie sie sich selbst den Lesern vorstellen würde, antwortete Anna:

Ich denke man sollte vor allem die Musik hören. Es gibt sonst nicht so viel, das man wissen muss. Die Hauptsache ist ja die Musik, eigentlich.

Dass hinter der Musik aber auch eine beeindruckende Person steht, hat sie mir in diesem Gespräch auf jeden Fall bewiesen. Und dass es sich lohnt ihre Musik mit größtmöglicher Aufmerksamkeit zu hören, am besten live, bewies sie an diesem Abend dem Publikum in Berlin.

annaaaron.com | Anna Aaron @ Facebook | Anna Aaron @ Twitter

3 comments

  1. David says:

    Danke für diese reichhaltigen Auszüge aus deinem Gespräch mit dieser großartigen Künstlerin!

Wir freuen uns über deinen Kommentar: