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Jochen Distelmeyer + 206 | 16.11.2009 | Leipzig, Conne Island

Jochen DistelmeyerNachdem im September das voller (medialer) Spannung erwartete Album von Jochen Distelmeyer, ehemals Sänger und Kopf der Jahre lang prägenden Band Blumfeld, unter dem Titel „Heavy“ erschien, ist dieser nun im November und Dezember auf einen ausgedehnten Tour live zu erleben. Wie würden die neuen Lieder beim Publikum angekommen? Hat das Gros des Feuillotons mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Album Recht? Und wie viel Blumfeld steckt noch in diesem Set? Mit diesen und anderen Fragen ging ich an diesem Abend ins Leipziger Conne Island.

Doch zuvor diese geklärt werden sollten, betraten zunächst die drei jungen Herren der Band 206 die Bühne. Wir hatten bereits das Vergnügen vor einigen Zeit mit Sänger Timm zu sprechen und euch aufgrund der Außergewöhnlichkeit eine Demoaufnahme vorzustellen. An diesem Abend spielte die Newcomer-Band aus Halle und Berlin einige bisher unbekannte Songs, die einen guten Vorgeschmack auf ihr Debüt lieferten, dass derzeit aufgenommen und produziert wird. Doch für die meisten Zuschauer_innen waren 206 wohl bis dato gänzlich unbekannt. Spannend war es zu beobachten, wie unterschiedlich die Songs und der Stil der Band vom Publikum angenommen wurden, stellte ihr Sound doch einen ziemlich starken Kontrast zum friedlich-verträumten Distelmeyer-Charme dar. Die Reaktionen gingen dabei von zappelnden Mittanzen bishin zu verwirrt-ablehnden Blicken. Doch genau diese Differenz war gut für diesen Abend! Da waren begrüßende Sätze wie „Ja, so klingt das, wenn man den ganzen Sonntag nur gekotzt hat und dann Montagabend zum Konzert fahren muss“, einmal eine regelrecht angenehme Art des Umgangs mit der Bühnensituation. Der Gitarrensound der wavigen Eighties, Blicke voller Gram und rauhes Singen/Schreien, das von Wut, Verzweiflung und Entsetzen herrührt – ohne dabei rührselig und plakativ zu werden. 206 begeisterten und nahmen mit – definitiv.

206

Insofern war es ein fast nahtloser Übergang als Distelmeyer mit „Wohin mit dem Hass?“ sein Konzert eröffnete. Mit „Einfach so„, einen Non-Album-Track der schneller Gangart, kam ein weiteres Stück dazu, dass uns bedeuten sollte: Hier wird nicht nur fröhlich und einlullend von Wäldern, Wiesen und Delphinen gesungen, wie manch Kritiker_in es etwas zu unreflektiert behaupetet. Distelmeyer, ein wenig kränkelnd an diesem Abend, wirkte anfangs verschlossen und griesgrämig. Interessant zu beobachten war, dass nicht nur das Publikum (natürlich) bei den ersten Blumfeld-Songs so richtig in Stimmung kam, sondern auch bei ihm plötzlich immer wieder ein Lächeln zu sehen war. Natürlich fanden also alte Songs ihren Weg ins Set. Allein der Umstand, dass nur zehn Stücke auf Distelmeyers Solo-Debüt zu hören sind, machte diese Tatsache erwartbar. Als mit „Ich – wie es wirklich war“ als erstes allerdings ein ganz altes Stück heraus geholt wurde, war man schon ein wenig überrascht und erfreut. Es wechselten sich im Kommenden immer ein paar neue mit ein oder zwei bekannten Stücken ab – und das teilweise mit so kongenialen Ansagen wie: „Unser neuer Außenminister heißt Guido Westerwelle. Der nächste Song heißt ‚Eintragung ins Nichts.‘“ Die Single des neuen Albums, „Lass uns Liebe„, dagegen widmete man einem speziellen Liebespaar: Vor dem Konzert wurde – glücklicherweise in ganz unkitschiger Manier – ein Heiratsantrag per Mikrofon verkündet. Der Abend wurde später – und das Konzert immer besser, die Stimmung auf der Bühne und im Publikum immer offener. Das war schön mitzuerleben. Als dann gegen Ende noch der beste Blumfeld-Song überhaupt, „2, 3 Dinge, die ich von dir weiß„, gespielt wurde, war das Set perfekt. „Tics„, „Status Quo Vadis“ – viele bekannte Hits waren ebenfalls dabei. Und auch interessant war es, wie gut „Hiob„, das wohl druckvollste und kryptisch-wütendste der neuen Stücke, live funktioniert. Nach sechs Liedern als Zugabe betrat Distelmeyer ein drittes Mal die Bühne und sang zum Abschied den Song „Regen“ in einer wundervollen Akustik-Version. Mir zumindest wurde hier klar: „Kitschige Naturlyrik“ ist ein unzureichendes Label, mit dem die neuen Songs zuoft versehen werden.

Jochen Distelmeyer

Weitere Bilder vom Konzert findet ihr hier bei uns.

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