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Nah am Wasser gebaut: Dockville-Festival 2011

Als Festivalbesucher hat man es dieses Jahr nicht leicht: Der schreckhafte Sommer verwandelte viele Festivalgelände in Sumpfgebiete. Auch das Dockville-Festival hatte mit widrigsten Voraussetzungen zu kämpfen: Doch 20 000 Besucher_innen ließen sich davon nicht abschrecken und feierten drei Tage lang im Hamburger Hafen Acts wie Santigold, Editors oder The Pains Of Being Pure At Heart.

Dreck. Matsch. Schlamm. Modder. Es gibt viele Namen für diese einzigartige Erfahrung, die wohl alle Besucher_innen des Dockville-Festivals 2011 miteinander verbindet. Tagelange Regenfälle hatten das Festivalgelände in Hamburg-Wilhelmsburg bereits bis Freitag in ein prächtiges Feuchtbiotop verwandelt. Wohl dem, der an Gummistiefel gedacht hatte, denn bereits Samstagmittag hieß es in der Hamburger Innenstadt: „Gummistiefel? Sind aus!“

Reichlich chaotisch zeigte sich – auch aufgrund des Schlamms – die Einlasssituation am Freitagabend. Sämtliche Festivalgänger_innen mussten dicht an dicht ein bis zwei Stunden im knöcheltiefen Matsch ausharren, um dann über einen maximal zwei Meter breiten Durchlass über eine rutschige Rampe auf das Gelände zu gelangen – nur um dort weiter zu warten. Hinweisschilder oder Ordner suchte man im großen Gedränge vergeblich. Solche Erlebnisse sollten eigentlich allerspätestens seit der Loveparade endgültig der Vergangenheit angehören. Aufgrund der äußerst dürftigen Organisation verpassten dann auch viele Besucher_innen die ersten größeren Acts. Zudem war eine der drei Hauptbühnen am Freitag aufgrund eines Wassereinbruchs nicht bespielbar, was für einiges Kuddelmuddel im Timetable sorgte. Die resultierenden Verschiebungen hätte man zweifellos besser kommunizieren können als auf einem einzigen handgeschriebenen DIN A4-Zettel.

Nun aber endlich zum musikalischen Festivalgeschehen: Johnossi zeigten auf der Hauptbühne „Großschot“, dass sie eine solide Live-Performance hinlegen können, allerdings war die stimmliche Leistung von Sänger John Engelbert nicht die Beste. Das fällt bei einer Zwei-Mann-Band natürlich doppelt ins Gewicht, am kraftvollsten klangen da noch die Hits vom ersten, selbstbetitelten Album wie „Execution Song“.

Umso druckvoller klangen dafür die Editors – einer der Headliner des Festivals. Und man konnte es bereits nach den ersten Takten hören: ihr Ruf als ausgemachte Liveband kommt nicht von ungefähr. Besonders die Stimme von Sänger Tom Smith begeistert live genau wie auf Platte: klanggewaltig und markerschütternd. Genau wie das gesamte Konzert der Briten. Ob die elektronischen Anklänge des letzten Albums „In This Light And On This Evening“ wirklich zum Bandsound passen sei dahingestellt: Live sind sie eine Macht!

Direkt im Anschluss folgten aufgrund des Ausfalls der Zeltbühne Kollektiv Turmstraße auf dem Großschot. Die nächtlich-reduzierte Lautstärke schmälerte leider das Set der Hamburger Lokalmatadoren erheblich, die elektrountaugliche Atmosphäre der Hauptbühne tat ihr Übriges. So verkam der detailverliebte Minimal, der für gewöhnlich Clubs zum Bersten bringt, zur dahinplätschernden Randnotiz – ein Jammer! Und der Schlusspunkt hinter dem von Verschiebungen und Chaos geplagten ersten Festivaltag.

Am Sonnabend sah die Dockville-Welt schon gleich ganz anders aus: strahlender Sonnenschein bräunte die verschlammte Menge und man war fast versucht zu glauben, die Strahlen könnten die Schlammberge irgendwie austrocknen. Moddi auf dem Vorschot begeisterte mit seinem spielerischen Ensemble, der violinierte Popschmelz des Norwegers kam gut an. Und außerdem klingt der Name des Norwegers so schön schlammig! Auf der wieder bespielbaren Zeltbühne legten dann die Hamburger In Golden Tears ein schnörkelloses Set hin, das vom Publikum ausreichend abgefeiert wurde. Potenzial haben die Jungs auf jeden Fall, eine sorgfältige Beobachtung könnte also in Zukunft nicht schaden.

Die von der englischen Indie-Presse unlängst gehypten Yuck erwiesen sich als legitimer Erbe von Bands wie Yo La Tengo oder Sonic Youth (vor allem aufgrund der kimgordonesken Bassistin). Dass ein Lied dann auch noch „Sunday“ heißt und ein anderes mal eben eine Strophe von „Teen Age Riot“ plagiiert, spricht schon eine deutliche Sprache. Ganz schön 90’s klingt das insgesamt, aber irgendwie auch zeitlos – und gut. Vollmündig angekündigt waren Is Tropical, und die ersten Songs schallten auch krachig und kraftvoll durchs Zelt. Die Spannung konnte die Band aus London allerdings nicht auf voller Länge halten.

Casper ist die Hoffnung des deutschen Hip-Hop, so war und ist es aller Orten zu lesen. Endlich mal jemand authentisches, einer, der was zu sagen hat. Von wegen: So eine derbe, ohrenbeleidigende Proletenmusik hat man auf derartigen Festivals noch nicht oft gehört. An Casper scheiden sich auf jeden Fall die Geister, das bewies zumindest die feiernde Menge vor der Bühne. Aber als der Rapper dann das Publikum auslassend an seinen kürzlichsten Ausscheidungen teilhaben ließ, war die Schmerzgrenze endgültig erreicht. Auch nicht viel besser waren Bodi Bill aufgelegt. Nach einem ewigen Soundcheck beschwerten sich die Berliner gleich nach dem ersten Song, dass sie mit 40 Minuten viel zu kurz spielten und es sonst selbstverständlich gewöhnt wären, volle anderthalb Stunden hinzulegen. Als wäre das nicht unsympathisch genug, legte das Trio dann eine wirklich unterirdische Perfomance auf’s Parkett, ständiges Verspielen und Technikpannen inklusive. Die letzten Worte des Konzerts trafen den Nagel dann auf den Kopf: „Das war Bodi Bill – wir sind scheiße, ihr seid geil!“

Zum Trost präsentierte dann Santigold eine wirklich headlinerwürdige Performance und ließ schonmal einige Songs ihres im Herbst erscheinenden Albums vom Stapel. Die Musikerin aus Brooklyn, NYC, scharte ein Kollektiv von Musiker_innen und Tänzerinnen um sich und ließ es sich auch nicht nehmen, handverlesene Fans aus dem Publikum zum Tanz auf die Bühe zu bitten.

Am Sonntag wurde man auf dem Vorschot Augenzeuge eines wirklich seltsamen Ereignisses: Timber Timbre. Ein wirklich abseitiges, andersartiges Klangkompositum, das man noch hätte mehr genießen können, wenn nicht ständig die Musik vom Elektrofloor Butterland nebenan zu hören gewesen wäre. Vorher hatten Noah & The Whale zu durch dunkle Wolken brechenden Sonnenstrahlen („First Days Of Spring“ galore) für wohlige Gemüter gesorgt, so sympathisch ist die folkig-angehauchte Musik der Londoner.

Ein echtes Schmankerl zum Abschluss waren The Pains Of Being Pure At Heart aus New York. So frisch und unbeschwert war noisiger Pop schon lange nicht mehr. Dazu sprachen die wettertechnischen Durchhalteparolen von Sänger Kip Berman dem geplagten Besucherherz aus der Seele. Und so harrten viele auch im Wolkenbruch aus, um den schwelgerischen Songs bis zum Schluss zu lauschen. Danach waren viele Teile des Festivalgeländes wirklich nur noch als flüssig zu bezeichnen und nach dem Aufwärmen an einem brennenden Holzhaus (Kunst) war es dann genug für 2011.

Man kann nur hoffen, dass der Wettergott das Dockville 2012 verschont! Verdient hätte es das Festival allemal, denn die Freude war aufgrund der Witterung dieses Jahr einigermaßen eingetrübt. Dass die Hallenbühnen des vergangenen Jahres mittlerweile abgerissen wurden, kann man in dem Zusammenhang nur als Ironie des Schicksals bezeichnen. Die vielen Kunstobjekte und Holzkonstruktionen im Freien, die dieses Jahr so besonders waren,  konnten leider aufgrund des Matschs nicht ausreichend gewürdigt werden. Aber genug über das Wetter geeifert: Trotz auch einiger Schwachpunkte konnte die Musik dieses Jahr überzeugen. Und das ist ja Wichtigste.

 

Bilder vom Festival findet ihr demnächst an dieser Stelle.

 

 

 

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