Startseite » Rocken am Brocken 2011 – Ein Nachbericht

Rocken am Brocken 2011 – Ein Nachbericht

Der mehr als fragwürdige Sommer 2011 bedenkt selbstredend auch Mitteldeutschland Ende Juli mit Witterungsbedingungen, wie sie dem Spätherbst stereotypisch gut zu Gesicht stünden. Dennoch vermag das Rocken am Brocken, als kleines, familiäres Festival, den arktischen Temperaturen und messerscharfen Windböen mit herzerwärmendem Optimusmus entgegen zu treten. Und immerhin, von sintflutartigen Regenfällen bleiben die mehr als 2 000 Festivalbesucher verschont.

Dass am frühen Samstagmorgen einige Regentropfen auf die Zelte hernieder gehen, schlägt dabei nicht weiter ins Kontor. Im Vergleich mit voran gegangenen Großveranstaltungen ist man gar geneigt, das gegenwärtige Wetter als Glücksfall zu bezeichnen, denn während der musikalischen Programmpunkte hält der Himmel seine Schleusen zuverlässig geschlossen. Für den Freitag gilt jenes gleichermaßen.

Die isländischen FM Belfast feuern, mittels ihres bewusst überdrehten Elektro-Pops, die erste musikalische Rakte in den bewölkten Himmel über dem Dörfchen Elend, in dem das Rocken am Brocken seit 2007 eine Heimat gefunden hat. In den Himmel feuern können Schluck den Druck nicht, da ihnen ein Auftritt im Zirkus-Zelt auf der kleinen Bühne zugedacht wird, vor der sich im Laufe ihrer ein-stündigen Darbietung so viele Menschen versammeln, dass die Meute bis außerhalb des Zeltes Posten bezieht, um einen Blick auf die Vagabuntentruppe zu erhaschen. Es wird mit Sekt in die Menge gezielt, auf Balustraden geklettert und ein wunderschöner, alkoholgetränkter Exzess zelebriert, der bereits in den vergangenen Jahren die Festivalbesucher in seinen Bann zu ziehen vermochte.

Auf der Hauptbühne beginnen Good Shoes anschließend mit „Nazanin“, das durch wild zuckende Stroboskope untermalt wird. Die Band wirkt spielfreudig und dennoch ist eindeutig eine gewisse Routine erkennbar, mit der sich das Quartett durch sein perfekt arrangiertes Programm spielt. Ein Umstand, der aufgrund zahlreicher Festival-Auftritte, die die Lads im vergangenen Sommer abgerissen haben, nicht sonderlich verwundert. Der Funke will zu dem nicht so wirklich auf das etwas reserviert wirkende Publikum überspringen und lässt die energetischen Songs der Londoner einfach verpuffen. Einen Nachschlag von drei Songs gibt es trotzdem: „All in my head“, „Morden“ und „Under control“. Ein runder Auftritt, geprägt von hervorragendem instrumetalem Zusammenspiel und stimmlichen Verwirrungen seitens Rhys Jones, der offensichtlich unter Halsschmerzen zu leiden scheint.

Der Sänger der Band Kraftklub ist ebenfalls lädiert, was der Qualtität der Darbietung des Kollektivs keinen Abbruch tut. Ganz im Gegenteil: Sänger Felix trägt seinen Gips fast wie eine Trophäe, die seine wilden Gebärden eher befördert als einschränkt. Während Nebelschwaden durch die Luft wabern, liefern die fünf Chemnitzer den Stoff für einen legendären Auftritt, der einen der frühen Höhepunkte des Festivals markiert und so druckvoll auf das Publikum einwirkt, dass in der ersten Reihe ein junger Festivalbesucher kollabiert, woraufhin Kraftklub verantwortungsbewusst ihre Show unterbrechen. Was danach folgt ist pure Entgrenzung. Milchbärtige, in Röhrenjeans gekleidete Bubis, die wild entschlossen ihre Arme gen Himmel recken und in einen Choral verfallen: „Scheiß Indiedisko!“ Kraftklub-Rufe brechen sich Bahn und holen das Quintett für eine improvisierte Zugabe auf die Bühne, denn das Repertoire der Band ist erschöpft. Die vollmundigen Phrasen der jungen Männer bleiben im Gedächtnis haften:“Wir sind deine neue Lieblingsband!“ Große Klappe und viel dahinter! Es wird weiter getanzt- im Zelt.

Im Rahmen der Spielwiese rufen die Organistoren des Rocken am Brocken ihre Gäste auf die Bühne. Singer/Songwriter konnten sich vorab via Internet um einen Slot bewerben. Darüber hinaus haben Freunde des runden Leders die Möglichkeit, während des Tuniers um den Rocken am Brocken-Cup ihre fußballerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Ein durchweg interaktiver Samstagmorgen.

Am Nachmittag stehen Flashguns vor einem leider noch nicht allzu zahlreich erschienenen Publikum und das, obwohl der Musik des Trios durchaus massentaugliche Elemente innewohnen. Allem voran der pathosgetänkte Bühnengestus des Sängers Sam Johnston, der seine Gebärden jedoch stets mit einem sympathischen Lächeln untermalt. Musikalisch fahren die drei halbwüchsigen Briten gleichermaßen groß auf und kredenzen eine bestens dosierte Mixtur aus New Wave und Noise. Ärgern darf sich jeder, der diese Band verpasst.

Die bereits in der Musikszene der Insel arivierten Amplifier schalten in puncto Härtegrad zwei Gänge höher. Progressive Klänge sind am heutigen Samstag anscheinend nicht jedermanns Sache und dennoch wird dem Quartett über die Maßen herzlicher Beifall zuteil, da die Engländer eine druckvolle und authentische Show abliefern, die vielleicht schlicht zu deftig für den ein oder anderen zart besaiteten Hörer ausfällt.

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, weswegen es dem britischen Headliner des zweiten Festival-Tags, Art Brut, nahezu eine Pflicht ist, die Klimax des Tages zu einem gebührenden Höhepunkt zu führen. Eine Bürde, so sie denn besteht, die sich das Quintett freudestrahlend auflädt. Eddie Argos erweist sich einmal mehr als gewohnt jovialer Gastgeber. Ein manierlicher Gentleman, der während des eigenen Liedguts gerne Bühnen-Sport treibt. Das Mikrophon-Kabel wird als Springseil genutzt und der Mikro-Ständer beidhändig in die Luft gestemmt, als sei er eine Hantel von beträchtlichem Gewicht. Bei all den großen Gesten gibt es darüber hinaus wohl keinen Zweiten, dem der Dank an das Publikum so charmant über die Lippen kommt, wie dem Musiker-Koloss aus London. Bei „My little brother“ zwingt Argos das bis dato ausgelassen tanzende Publikum auf die Knie, um in Ruhe von seinem Bruder zu erzählen und die hockende Meute kurz darauf zum wilden Aufspringen zu animieren. Während „Modern Art“ berichtet Argos davon, wie er einst in Amsterdam ein Gemälde von Vincent van Gogh berührt und anschließend den herbeieilenden Sicherheitsbeamten durch eine Tanzeinlage beschwichtigt hat. Hierfür schwingt sich der Sänger über die Balustrade und beschreitet den sich vor ihm auftuenden Kreis, um tatsächlich mit den gebannt lauschenden Festival-Besuchern ein wenig zu tanzen oder vielmehr auf eine rustikale Art und Weise zu springen. Seine Band arbeitet dem Hipster dabei brilliant zu. Die klirrende Kälte stört mittlerweile nicht mehr im Geringsten- im Zentrum stehen die bunten Lichter und die genialen Art Brut.

Im gut gefüllten Zelt präsentieren sich die Schweden von Molotov Jive. Nach eigener Aussage am ehesten mit The Who oder The Beatles zu vergleichen, wirkt ihr synthetisch angehauchter Indie eher von Editors und Mando Diao inspiriert. Sänger Anton Annersand inszeniert sich in großer Pose und seine Band steht gewähr bei Fuß.

Schließlich ist es zwei Emporkömmlingen aus der deutschen Musiklandschaft beschienen, das Rocken am Brocken 2011 zu beschließen. Um kurz nach Mitternacht erklimmen die hochgehandelten Beat!Beat!Beat! die Hauptbühne, wobei die Band eigentlich bereits zwei Stunden zuvor auf der Zeltbühne hätte spielen sollen. Technische Probleme, so heißt es seitens der Veranstalter, führen jedoch zur Umdisponierung. Ein Gewinn für das Kollektiv aus Viersen, das die große Bühne vor großem Auditorium sichtlich genießt. Mit affektierter Lässigkeit spielen sich die vier Jungs durch ihr Programm, nie um einen coolen Spruch verlegen.

Supershirt brachten im vergangenen Jahr das Zirkus-Zelt zum beben und dürfen in diesem Jahr die Haupbühne bespielen. Eine Aufgabe, die das Duo natürlich bravourös meistert. Kultiger Elektro zum Abschluss eines wieder einmal großartigen Festivals.

Das Rocken am Brocken hat wiederholt seine Qualität als eines der schönsten Festivals unter Beweis gestellt. Beginnend bei der Logistik, ist es schön festzustellen, dass das Festival eine Veranstaltung der kurzen Wege bleibt. Die Atmosphäre unter den Besuchern scheint durchweg entspannt und friedlich- wunderbar. Bezüglich der Programm-Gestaltung gilt es dem emsig arbeitenden Organisatoren-Team erneut ein großes Lob auszusprechen. In vielerlei Hinsicht haben die Mädels und Jungs wieder einmal den richtigen Riecher. So etwa spielen Kraftklub und Art Brut geschichtsträchtige Auftritte. Für das kommende Jahr hoffen wir auf besseres Wetter, ansonsten wären ein paar Heizstrahler und etliche Lieter Glühwein ganz nett. Aber wie erwähnt: Wir hoffen auf besseres Wetter.

Wir freuen uns über deinen Kommentar: