Abstrakte Vielseitigkeit; Intelligente, durch Worte im Kopf und Herz gezeichnete Bilder; … Es gibt viele Dinge, die man der Berliner Band Delbo aufdrücken möchte, doch gelangt man, auch bei dem Versuch einer Beschreibung des inzwischen vierten Albums Grande Finesse, dabei sehr schnell an die Erkenntnis, das Worte (leider) ungenügend sind.
Vor etwa drei Jahren besuchte ich mit meinen zwei besten Freunden, die dem Attribut „Independent“ damals noch relativ wenig abgewinnen konnten, ein Delbokonzert. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Abend, an dem nur wenige Menschen den kleinen Club in der Göttinger Innenstadt aufsuchten, um ein sehr beeindruckendes Konzert zu erleben. Weder meine Freunde noch ich hatten Delbo zuvor live gesehen, sodass wir alle sehr gespannt waren, was der Abend bringen würde. Bereits nach drei Liedern entschieden sich die Beiden jedoch, das Sofa, von welchem man die Band nicht einmal mehr sehen konnte, der Tanzfläche vorzuziehen, während ich nahezu jede ablenkende Bewegung vermied, um nicht auch nur das kleinste Fragment des Schaffens dieser drei Herren zu verpassen.
Für mich sollte es der Beginn einer großen Leidenschaft für eine einzigartige Band werden, während meine beiden Freunde weiterhin kein Interesse für jene zeigen. Aus Gründen, die nicht wenige Menschen nennen, wenn sie zu erklären versuchen, weshalb sie bisher keinen Zugang zu der Musik von Delbo finden konnten: Die Abstraktion der Texte des Daniel Spindler, die ständig wiederkehrende Brüche im Beat des Schlagzeugs, die manchmal wortlosen Momente der Stücke – kurz: all jenes, das diese Musik manchmal nicht greifbar wirken lässt; all jenes, das so fern von Popmusik ist.
Zwar meint man, eine gewisse, neue, „Offenheit für die Einfachheit“ in den Liedern des inzwischen vierten, als „Grande Finesse“ betitelten Langspielers der Band entdecken zu können, doch sind die neun darauf gepressten Stücke nach wie vor von einer Eigenschaft geprägt, für die es eigentlich gar kein anderes Wort zur Beschreibung gibt als schlichtweg „Delbo“. Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang und dennoch das Gefühl, so viel mehr als das wahrzunehmen. Das sind Delbo, das ist Delbo.
Diese angedeutete Offenheit zeigt sich vor allem in dem einzigen Popsong des Albums, Belvedere: Ein (zumindest der Wirkung nach) Liebeslied, das sich als überraschend klar strukturiert und gradlinig erweist und zu jenen Stücken der Platte gehört, die man vorsichtig als „Hits“ bezeichnen darf, trotz der weiterhin gegebenen textlichen Abstraktion. Gekonnt malt Herr Spindler auch hier mit Worten Bilder, die sich – vielleicht der Prägnanz wegen –ausnahmsweise sogar ins Englische verirren und Zeilen wie „And there’s a train / we can’t afford to miss“ umfassen.
Dass sich Delbo weiterbewegen zeigt sich aber nahezu in allen der neun Stücken. So wird gleich das eröffnende Lied, Piamo, von Piano-Keyboardklängen (und damit lässt sich die lustige Vermutung aufstellen, dass der Titel aus einer Kreuzung von „Piano“ und „Ti Amo“, italienisch für „Ich liebe dich“, entstand, denn ein Liebeslied ist es auf seine Art und Weise allemal) dominiert. Darüber hinaus zeigen sich in mehreren Stücken, so z.B. in Apricot und Hermelin, neben dem stets farben- und bildreichen Songwriting wortlose, aber nicht minder ausdrucksfähige, rein instrumentelle Passagen, die ebenso gut in einem Seidenmatt-Stück versteckt sein könnten.
Schlussendlich präsentiert „Grande Finesse“ neun ausgereifte, detailfrohe Stücke, die so persönlich und intim wie gleichermaßen abstrakt und manchmal unzugänglich sind. Wie es ausfällt, wird, wie schon bei den vorherigen Alben der Band, von der Stimmung und der Bereitschaft des Hörers, sich auf Unbekanntes einzulassen, abhängen. Entscheidet man sich für Letzteres, so findet man in dem Album ein Werk, das für Vielfalt und Buntheit steht und sich folglich nie eintönig mit den zentralen Punkten, die hier – so literarisch klingen die Texte Spindlers oftmals – fast eher als Leitmotive beschrieben werden können, auseinandersetzt: Die Grenzen unseres gemeinsamen Seins, unseres kommunikativen Zusammenlebens, das knappe Gut der „Zeit“ und, natürlich, die Liebe. Zumindest von den letzten beiden Punkten möchte man der Band Delbo so viel nur irgend möglich wünschen, damit sie weiterhin so gute, wenn auch manchmal unerreichbar wirkende Musikstücke entstehen.
VÖ: 25.01.2008 über Loob Musik / Universal