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Angepisst und drauf geschissen

Wie schön Deutsch-Punkrock sein kann, beweisen die Nordlichter von Turbostaat mit ihren grandiosen Alben „Flamingo“ und dem im November 2003 veröffentlichten Zweitwerk „Schwan“. Große Melodien, eine Menge Leidenschaft, ein Hauch von Melancholie und bizarre Texte zeichnen diese Ausnahmeband aus. Mainstage.de wollte mehr wissen und fragte nach.

Stellt euch doch mal bitte vor und erzählt kurz, wie Turbostaat entstanden sind.
M: Turbostaat sind Jan, Peter, Roland, Tobias und Marten. Wir kommen alle aus Husum, einer Kleinstadt in Nordfriesland. 1998/99 sind unheimlich viele Leute aus Husum weggezogen, so dass wir eigentlich fast die Einzigen aus unserem Klüngel waren, die noch in Husum wohnten. Dann haben wir die Band gegründet, damit wir was zu tun haben.
Eure Musik wirkt ziemlich herb, rau, stürmisch und angepisst. Liegt das in eurer Natur?
M: Angepisst bin ich schon manchmal, aber in meiner Natur liegt das eigentlich nicht. Ich denke, wir sind jetzt auch nicht so rauhe Typen.

P: Die Musik ist wohl eher das Ventil, um nicht so zu sein oder zu werden, wie du es in der Frage umschreibst.

J: ich würde mich auch nicht als rauh oder herb bezeichnen, aber angepisst bin ich schon . Ich denke im Endeffekt macht jeder die Musik, die er mag.
Welche Rolle spielt in eurer Musik das Milieu oder Umfeld, in dem ihr aufgewachsen seid oder vielleicht noch lebt?
M: Ich denke, die sogenannte Art der Leute im Norden hat uns sicher geprägt und natürlich bin ich ein typisches Mittelklassenkind.

P: Für mich war Punkrock damals das Schlupfloch, um aus meiner dörflichen Enge auszubrechen. Man war anders oder wollte zumindest nicht so werden wie der Rest, hörte andere Musik ,sah anders aus ,war politisch links und eckte überall an …. Das hat sich bis heute nicht geändert. Jetzt ist es zwar nicht mehr das „Dorf“, die Haare werden auch nicht mehr gefärbt und gespiket , aber Punkrock hat damals wie heute den Blick auf die Dinge verändert und sorgt mit dafür, eben nicht in einem “ 08/15-berufliche-karriere-über-alles-gutbürgerlichem-spießerdasein“ unterzugehen.

J: Ich danke meinem Vater !
Allgemein klingen eure Texte sehr bizarr, fast schon verstörend, wie ein Buch von Kafka. Wie kommt man auf solche Texte? Auf was beziehen sie sich und woher kommt die Inspiration dafür?
M: So bizarr sind die doch nicht, oder? Meistens schreibe ich einfach Bilder aus meinem Kopf auf. Vielleicht sind sie düster, weil es ja viele Probleme gibt und viel Scheiße. Ich versuche Situationen zu beschreiben, in denen Menschen unter Druck stehen, da sich daraus viel ergibt für mich. Ich denke aber, es gibt auch immer ein hoffnungsvolles Element, das Auswege zeigt.

Erwartet ihr von euren Fans, dass sie sich mit euren Texten beschäftigen und sie auch verstehen?

M: Ich hoffe schon, dass sich Leute mit den Texten auseinandersetzen, erwarten kann man das wohl nicht. Die Texte können ja individuell interpretiert werden.

J: Richtig, und ich denke das ein klares Grundgefühl vermittelt wird, und damit muss jeder einzelne sehen was er macht.

P: Erwarten würde ich auch nicht sagen. Man kann niemandem einen Strick draus drehen, wenn er das nicht tut. Ich höre selber auch erst die Musik und dann beschäftige ich mich mit Texten, wenn mich die Band interessiert. Wenn einem nur die Musik gefällt und die Texte in keinster Weise zugänglich sind, dann sollte die Musik zumindest ein Gefühl dafür geben, worum es geht. und das ist ja schon immerhin etwas….
Was unterscheidet eurer Meinung nach ?Flamingo“ von eurer neuen CD „Schwan“?
M: Wir hatten mehr Erfahrung bei den Aufnahmen. Bei der Flamingo haben wir einfach schnell aufgenommen im Rahmen der Möglichkeiten. Bei Schwan hatten wir mehr Zeit und haben schon ein bisschen mehr rumprobiert. Außerdem hatten wir die Möglichkeit die Platte neu zu mischen. Allerdings war der Druck auch größer.

J: Ich finde die Lieder runder und kompakter, außerdem finde ich den Sound bei der Schwan besser.

Hat das einen besonderen Grund, warum ihr eure Alben nach Vogelarten benennt?
T: Nicht wirklich. Nach Flamingo hat sich halt so eine kleine Leidenschaft für Vögel und hässliche Bilder generell entwickelt, weswegen recht schnell klar war, dass das bei uns so’n Vogelding bleibt. Das eigentliche Cover für Schwan waren halt…Schwäne (die im Booklet zu bestaunen sind) ,allerdings tauchte dann irgendwie diese grossartige Blume auf – auch wenn das Cover jetzt halt eher italo-pop geworden ist…irgendwie…’n schwan halt…

Wollt ihr euren Insider-Status bewahren? Ich habe nämlich nicht das Gefühl, dass ihr es darauf anlegt, zumindest eure eigene Szene zu verlassen und noch mehr Leute zu erreichen.

M: Wir sind bestimmt nicht eine Band, die versucht, krampfhaft ins Rampenlicht zu kommen, jedoch freuen wir uns schon über viele Leute bei den Konzerten. Der ?Insiderstatus“ ist mir egal, allerdings gibt es schon Sachen auf die wir nicht so Bock haben. Wir machen einfach unser Ding und spielen große und kleine Konzerte.

J: Wir machen dasm was uns Spass macht und bei dem wir ein gutes Gefühl haben. So fing es an und so soll es auch bleiben. Es gibt also kein Konzept – wir schauen, was da kommt.

T: Die meistens Vorgänge ,mit denen man es „darauf anlegt“ finde ich halt irgendwie unsinnig und nicht gerade charmant. Einen Insiderstatus brauchen wir glaube ich nicht, das wäre mir zu elitär, weils irgendwie für alle da sein soll…

P: Wir legen es sicherlich nicht großartig darauf an, diese „Szene“ zu verlassen, das wäre zu aufgesetzt und das wären dann auch nicht wir. Aber wir haben auch keine Berührungsängste davor. Wenn ’ne anfrage kommt und wir uns die Rahmenbedingungen anschauen und Lust dazu haben , dann machen wir das auch. So einfach ist das! Wir entscheiden mit wem wir wo und wann spielen !
Obwohl eure Musik sehr alternativ ist und mit gewöhnlichem Deutsch-Punk nicht zwingend vergleichbar ist, findet man Berichte über Turbostaat nur in der Punk-Szene. Warum schottet ihr euch so ab? Ist das kalkuliert?
M: Wir schotten uns nicht ab. Wer auf unser Konzert kommen möchte, kann kommen.

J: Wir machen ja Punkmusik, darum sind wir in dieser „Szene“ genau richtig, und finden da halt mehr Beachtung als anderswo. Ich habe schon das Gefühl das das Publikum auf unseren Konzerten schon sehr gemischt ist. Auch hier muss ich sagen : keine Kalkulation !

T: Haste halt wenig Einfluss drauf, wer auf dein Konzert geht, das gut findet, was darüber schreibt. Ichglaube aber, dass innerhalb dieser Punksache halt n ding ist, wo wir auch hingehören. obwohl das auch ein sehr weites Feld ist. Eine kalkulierte Abschottung gibt es da nicht, allerdings auch kein kalkuliertes Klinkenputzen.
Wie viel Politik steckt in Turbostaat?
M: Keine Ahnung. Wir haben jeder für sich eine politische Meinung, wir machen Antifa-Benefits und regeln unsere Belange auch so, wie wir sie für richtig halten. In den Texten steckt auch eine politische Komponente, aber das ist alles nicht explizit politisch oder sozial oder so. Wir sind einfach Leute, die ihre Vorstellungen so gut es geht umzusetzen.

P: Als Individuen und Band stehen wir natürlich immer auf der guten Seite, auch wenn wir keine Zeigefingertexte haben und oder jedes Wochenende auf Demos gehen. Wenn wir was unterstützen können und wollen – sprich einen Song für einen Solisampler oder ein Antifabenefit spielen, dann ist das sicherlich nicht viel, aber als band zumindest was ganz konkretes, was man machen kann.

Welche Bands haben euch beeinflusst? Welche würdet ihr weiterempfehlen?
M: Viele Hamburger Bands haben uns sicher beeinflusst wie Angeschissen, Torpedo Moskau….. Aber viele andere sicherlich auch. Düsenjäger könnte ich empfehlen. Aber auch Pixies und Smiths…

J: Bei mir war es ganz klar der Deutsch Punk im Allgemeinen. Ja ich schließe mich Marten an – hört euch mal die neue Düsenjäger an…und Oiro finde ich großartig.

T: ..ich würde gerne Clickclickdecker weiterempfehlen

P: …. und natürlich die Klassiker (versteht sich ja von selbst) Minor Threat, Black Flag , The Clash, Wipers, Ramones, Circle Jerks, Dead Boys, Social Distortion, …. sowie Born Against, Van Pelt, Lapse, Ted Leo and the Pharmacist, Murder City Devils, Hot Snakes…..
In Zusammenhang mit Turbostaat fällt oft der Begriff „Küsten-Style“. Was bedeutet bzw. beschreibt er für euch?
M: Vielleicht bedeutet er, dass man sich auf diesen alten HH-Bands bezieht. Hab diesen Begriff zwar schonmal gehört, aber nie benutzt.

J: Ah du warst surfen im Internet. Hast dich vorbereitet, was? Für mich ist es eine neue Schublade, die aber okay ist.

P: Ja man neigt ja im allgemeinen dazu schnell irgendwelche Schubladen aufzumachen oder zu kreieren.. Drauf geschissen!

Ihr habt einen guten Draht zu den Beatsteaks und habt auch schon mit ihnen zusammengespielt. Wie kam der Kontakt zustande?

J: Wir haben in Berlin gespielt und der Thomas von den Beatbuletten war da. Er fand uns gut und dann haben sie uns zu ihrem Wohnzimmerkonzert (Dezember 2002) eingeladen. Danke noch mal , war super!

T: Wir haben uns so klasse verstanden, dass daraus jetzt halt ab und zu mal n gemeinsamer Abend wird…
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Ihr verzichtet gänzlich auf Drei-Akkorde Punkstrukturen, sondern habt ein sehr differenziertes und trotzdem oder gerade deshalb mitreißendes Spiel. Ihr seid für Punkverhältnisse ungewöhnlich gute Musiker und legt viel wert auf Individualität. Sehe bzw. höre ich das richtig?

M: Das wäre sehr nett, wenn das der Eindruck ist. Ich glaube, wir sind nicht so gute Instrumentalisten. Drei Akkorde haben wir auch viel. Das reicht doch auch, oder?

J: Da kann ich nicht viel zu sagen , außer da schon kritisch an den Liedern gefeilt wird, bis sie uns allen gefallen.

P: Also Musiker schon mal gar nicht! Wir spielen Gitarre, Bass, Schlagzeug oder singen inner Punkband. Musiker hört sich so nach Mukker an und damit haben wir nichts zu tun. Wenn das spiel mitreißend ist, liegt das daran, das uns das sehr, sehr gut gefällt, was wir zusammen machen und wir uns da mächtig reinhängen , weil Turbostaat für uns oberste Priorität besitzt.
Wie würdet ihr euch selbst definieren bzw. einem jemandem beschreiben, der noch nie was von euch gehört hat?
M: Gar nicht. Soll er sich anhören, denn Beschreibungen sind ja immer so eine Sache. Man kann sich aus dem Internet was runterladen und sich das anhören. Das ist wohl besser.
Was kann man von Turbostaat live erwarten?
M: Alles ist schneller als auf Platte. Und alle stehen mit dem Rücken zum Publikum, hahaha. Auf jeden Fall sehen die Leute Menschen, die gerne Live spielen.

J: Und unsere Rücken kann man sich dann auf unserer Kurztour im März/April ansehen. Dann im Mai Skandinavien und im September dann noch Deutschland und Ösiland.

P: Eine Band die vom Publikum wiederum erwartet, dass es tanzen kann. Also immer schön aufeinander achten und gemeinsam Spass haben! Wenn das erfüllt wird, dann werden wir unser schönstes Lächeln aufsetzen.
Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
M: Live spielen, auf Tour gehen, Urlaub in Finnland machen.

J: Ja , viel live spielen und neue Lieder machen… außerdem will ich bald in Urlaub

T: noch mehr spielen…
Vielen Dank für das Interview!

Fragenkatalog zusammengestellt von Deniz & Emrah

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