Die Ansage einer jungen, selbstbewussten Frau könnte nicht deutlicher sein. Mit „Ich muss gar nichts“ knallt uns Cäthe nicht nur ihr lange ersehntes Debutalbum vor den Latz, sondern stellt auch gleich klar, wie die Häsin läuft, wenn sie denn will. Wankelmütig hakenschlagend, nicht immer nur laut tösend, sondern auch mal ganz still und zerbrechlich lässt die Sängerin endlich die breite Öffentlichkeit an ihrem Können teilhaben.
Es gibt diese Sorte Tag mit so vielen extremen Eindrücken und Gefühlen, an denen man gar nicht hinterherkommt mit dem Verarbeiten und ihn nur als einen dicken glühenden Klumpen im Herzen behalten möchte. Morgens noch die unaushaltbare Nervosität vor einer wichtigen Prüfung, bei der man irgendwelchen wirren Kram stammelt und warum auch immer dafür eine Eins bekommt. Zur Belohnung setzt man sich euphorisch in den völlig überfüllten Zug nach Hamburg, lehnt erschöpft und erleichtert an der Begleitung und merkt, dass während den vergangenen Wochen über den Büchern gar keine Zeit dafür geblieben war, sich über alles ab jetzt Gedanken zu machen. Hätte auch nichts gebracht, denn es passiert einfach. Unvorhersehbar und atemberaubend zieht dieser Tag vor allen verfügbaren Sinnesorganen vorbei wie ein Film, dessen Schönheit niemand greifen oder in Worte fassen kann.
Ziel unserer Reise ist die Markthalle, wo an diesem Abend das Abschlusskonzert des Popkurses steigt, an dem ein Freund den Sommer über teilgenommen hatte. Aus dem Kurs sind schon einige namhafte Musiker hervorgegangen, 2000 lernten sich hier Wir sind Helden kennen. Entsprechend lechzt das Publikum nach neuen Talenten und ist sich bei zweien ziemlich schnell sicher, dass man von denen noch hören wird. Einer davon heißt Gisbert zu Knyphausen und ist längst an die Indie-Liedermacher-Oberfläche hochgeschwommen, die andere ist Catharina Sieland, Cäthe genannt. Und bleibenden Eindruck hinterlassen..
Gut fünf Jahre später hat Cäthe ihr erstes Album mit rotzigem Pop, Elektrospielereien, knallhart ehrlichen, lyrisch durchdachten Texte und ihrer wilden, funken versprühenden Seele gefüllt. Provokativ, frech und frei Schnauze setzt sie sich mit ihrer Reibeisenstimme angenehm vom ineinander verschwimmenden Einheitsbrei der aktuellen Welle an jungen, braven Sängerinnen ab. Gefeilte Kanten, die anecken wollen und im Haar klebenden „Kaugummi“ jederzeit rosa Zuckerwatte vorziehen.
„Jeden Tag mach ich die Beine breit und pinkel mir an’s Bein“
Ohne Kitsch und Peinlichkeiten kleidet die 28-Jährige auf „Ich muss gar nichts“ Geschichten und Bilder vom Leben, der Liebe, Freiräumen, Alltags-Ängsten, Vagabunden, dem ewigen Suchen und gelegentlichen Finden ungewöhnlich und facettenreich poetisch in Buchstaben und tosende Melodien. Sich selbst portraitiert sie als immer in Bewegung sinnendes „Ding“, das mal aufgedreht und mit dem Charme einer exzentrischen 20er-Jahre-Diva „Unter meiner Haut“ kriecht, sich mal wie eine Wildkatze räkelt oder in Melancholie suhlt. Schrille Nummern wie „Spirituell“ strengen zwischendurch etwas an, doch Cäthe kann auch verdammt gut mit leisen Tönen, wie sie mehrmals unter Beweis stellt. Während sie aber noch fragil „Bleib hier“ seufzt, nimmt das Ding eigentlich schon längst wieder Anlauf für den nächsten Funkensprung.
„Ich muss gar nichts“ erschien am 30. September 2011 bei DEAG Music/ Sony Music Entertainment