Die Goldenen Zitronen sangen schon vor 10 Jahren, dass Striptease nun mal ein Ausdruck ihrer Individualität sei. Jetzt machen sie ernst und ziehen blank. Dafür muss man noch nicht einmal die Hamburger Reeperbahn aufsuchen – Seelenstriptease à la Zitronen gibt es nun unter dem Namen „Material“ für den heimischen Fernseher zu erwerben, in Form einer erstklassigen Doppel-DVD, bis an den Rand gefüllt mit Interviews aus dem Umfeld der Band, Liveauftritten, Musikvideos und und und…
Zu Beginn eine Rekapitulation… Wie war das noch im Song „Mickeyrourkeske“?
„Hier kommt ein Eisblock. Ich bin Kulturschock.
In unserer coolen Stadt geb ich den Maßstab.
Ich bin ein Modeschöpfe, moderner Übertöpfer.
Ich stell die Weichen. Und setze die Zeichen.“
Ohne es geplant zu haben, waren es tatsächlich die Zitronen, die die Hamburger Musikszene entscheidend prägten. Die Mitglieder dieser Band sind Tausendsassas: Schorsch Kamerun einer der begnadetsten deutschen Texter, Thomas Wenzel von Den Sternen, Mense Reents von Egoexpress, Stephan Rath am Schlagzeug und so weiter so fort. In den 80ern machten sie mit parolenhaftiger Punkmusik ihren linken Standpunkt klar und auch aktuell gibt es sie noch, auch wenn es heutzutage schwer fällt, ihnen einen Stil auf die Stirn zu schreiben. Stolpernde elektronische Rockmusik mit klugen Texten abseits von Gewöhnlichkeiten, wenn man das so sagen kann. Doch wie auch immer, für eines standen die Goldenen Zitronen seit jeher: Politisches Denken. Einfach mal dagegen sein und ausnahmsweise sogar zu wissen, warum!
Nach 24 Jahren Bandgeschichte ist es jetzt also an der Zeit, Resumée zu ziehen. DVD 1 dreht sich um den Dokumentarfilm von Peter Ott, „Übriggebliebene Ausgereifte Haltungen“. Ganze 88 Minuten dauert dieser und wickelt die Geschehnisse sowohl von hinten auf, als auch aktuelle Bilder zu liefern. Interviews mit der Band selbst sowie mit Freunden und bekannten Künstlern – Da ist es nicht ungewöhnlich, dass Daniel Richter mitten in seinem Atelier interviewt wird, oder Claus Fabian in einem Club gegen die laute Musik anbrüllt, während er seine Meinung zum besten gibt. Peter Ott legt dabei wert auf die Unvollkommenheit. Wackelnde Bilder, unsaubere Schnitte oder schlechte Lichtverhältnisse unterstreichen den Charme des Films. Man ist auf einmal mitten drin. Als „kleines Extra“ sind auf der ersten DVD auch noch alle Videoclips zu finden. Da wird man schon ein wenig wehmütig, wenn man Jochen Distelmeyer im Video zu „Menschen haben keine Ahnung“ herumwandern sieht.
Die zweite DVD ist dann so etwas wie die aufmerksame „Kleinigkeit“ für die, die nicht genug kriegen können. Hier bekommt man noch einen Liveauftritt in Bukarest zu sehen, darf die Aufnahmen zum Album „Schafott zum Fahrstuhl“ verfolgen und noch viele weitere Konzerte und Interviews mit dem Umfeld der Band aus dem Archiv bewundern. Bonusmaterial ohne Ende. Insgesamt kommen weitere fantastische 130 Minuten zusammen.
Um einen Gesamteindruck zu gewinnen, hier ist der Trailer:
Alles in allem also wirklich eine rundum gute Idee. Die Doppel-DVD ist für Freunde der Band sowieso zu empfehlen, aber bietet auch einen wunderbaren Einstieg für Nachwuchshörer. Aber seien wir mal ehrlich: Wer diese Band in den letzten 24 Jahren verpasst hat, der hat sowieso irgendwas nicht richtig gemacht, oder?
VÖ: „Material“ ist seit dem 07.11.2008 auf Buback erhältlich.