Bobby Long ist auf Achse. Nicht weil er es zwingend nötig hätte, sondern ganz einfach weil er Lust dazu hat. Heute etwa wird der Singer/Songwriter in Greifswald spielen. Das große Geld ist in der kleinen Stadt in Mecklenburg Vorpommern sicherlich nicht zu machen und dennoch hat Long spontan zugesagt. Er will einfach spielen. Ohnehin scheint der 25-jährige Brite dem eigenen Lustprinzip stärkerer verpflichtet, als so manch anderer, gleichermaßen erfolgreiche Kollege. Mit Arroganz oder gar Egosimus hat das allerdings überhaupt nichts zu tun.
Vielmehr sei es ihm notwendig, nach einem derartigen Credo zu verfahren, denn er wolle immer sein Bestmögliches geben und das könne er nun einmal am Besten, wenn er ganz uneingeschränkt er selbst sei. Auch nach seinem überwältigenden Erfolg im Zuge der Twilight-Triologie, zu deren Soundtrack der baumlange Sänger einen Song beisteuerte, ist er nicht abgehoben oder hat sich nach etwaigen Trends gerichtet. Vielmehr hat ihn der Erfolg in seinem Selbstbewusstsein bestärkt, gute, eigene Musik machen zu können. Eine Einstellung, die Long nun zum Vorteil gereicht, denn die L.A. Times führt den Briten mittlerweile unter den „10 Artists to know“ und strengt Vergleiche mit Szene-Größen wie Mumford & Sons an. Auch der Late-Talker Jay Leno wurde auf das Talent des Engländers aufmerksam und lud ihn ein, live bei ihm in der Sendung zu spielen.
Von den Bühnen der Metropolen dieser Welt also direkt in eine beschauliche norddeutsche Hansestadt. In seiner mit schweren, roten Samtvorhängen blickdicht gemachten Garderobe begegnen wir einem sympathischen, jungen Mann, der uns mit einem freudestrahlenden Lächeln begrüßt. Im Hintergrung hängen noch nasse Wäschestücke zum Trocken über eine steinerne Balustrade. Die Waschmaschine habe gestern ihren Geist aufgegeben und somit sei er erst hier zum Waschen gekommen, löst Long unsere augenscheinliche Verwirrung auf. Und dennoch sitzt ein Mann vor uns, der dem so typischen Stigma des Rock ’n‘ Roll-Musikers entspricht, wie das Zahnpasta-Lächeln im Schlager zu Hause ist. Long trägt ein schnödes graues Sweatshirt und eine Wollmütze, die auf den Farbton des Pullovers abgestimmt scheint, wobei das eher unwahrscheinlich ist. Sein Gesicht ziert ein dichter Vollbart. Die tiefe Stimme strahlt Ruhe aus, obgleich der Musiker während seiner Fragen nachdenklich temeperamentvoll wirkt.
Es entwickelt sich ein Gespräch über Vorwände ein Studium zu beginnen, New York und die abnehmende Integrität der Musikindustrie.
mainstage: Ist es eine große Umstellung für Dich, zuerst in den größten Städten Deutschlands zu spielen und dann in eine derart kleine Stadt wie Greifswald zu kommen?
Bobby Long: Ich glaube, ich bin in einer Stadt wie dieser aufgewachsen, um ehrlich zu sein. Ich habe mich sehr gefreut als wir angekommen sind und ich dieses kleine Café gesehen habe und dachte mir, der Abend wird nett und sehr intim. Ich kann mich einfach hinsetzen und spielen. Wenn du auf Tour bist, hast du immer einen sehr hohen Beschäftigungspegel – du spielst in New York, dann spielst du in Boston und dann spielst du vielleicht in Albany, einem sehr kleinen Ort in den USA. Ich mag das sehr, denn das Publikum ist auch irgendwie anders.
Du kommst aus Wigan…
…genau, eigentlich komme ich aus Wigan, bin dann aber in Whiltshire aufgezogen worden.
Hast Du dort auch schon Konzerte in kleineren Pubs gespielt?
Nein, das ging erst so richtig los, als ich nach der Schule nach London gezogen bin, um dort zu studieren. In London hast du die besten Möglichkeiten, auftreten zu können. Es gibt sehr viele Orte, an denen Konzerte veranstaltet werden und dazu noch ziemlich viele Open-Mic-Sessions. Du kannst dort eigentlich jeden Abend irgendwo spielen.
Hast Du zu diesem Zeitpunkt, als Du an der Universität „Music and Media“ studiertest, damit gerechnet, später in dem Maße erfolgreich zu sein, wie Du es heute bist?
Ich habe das eigentlich nur studiert, um damit zu rechtfertigen, dass ich nach London gegangen bin. Die Universität kam eigentlich an zweiter Stelle. Ich bin nicht gut darin, Pläne dafür zu machen, was zukünftig passieren wird. Damals hatte ich einfach Lust, jeden Abend zu spielen. Und jetzt bin ich sehr glücklich darüber, auf Tour gehen zu können. Aber trotzdem weiß ich immer noch nicht, wohin mein Weg mich führt. Ich meine, ich habe ein Album gemacht. Das mit dem Erfolg kann alles ganz schnell vorbei sein, aber ich will mehr. Ich muss noch mehr unterwegs sein, noch mehr Kilometer abreißen und auch noch ein paar Alben machen, bevor ich mir sicher sein kein, dass ich das den Rest meines Lebens tun möchte. Ich meine, ich kann mir schon vorstellen, dass ich das will, aber dafür musst du immer in Bewegung bleiben. Es dauert eigentlich lange, dich zu etablieren. Bei mir ging das alles etwas schneller.
Bist Du deswegen nach Amerika gezogen, um in Bewegung zu bleiben und einen Kontrast zu England zu haben?
Sicher. Es ist wichtig, viel zu reisen und andere Orte zu sehen. Das hilft beim Schreiben und inspiriert dich. Ich hatte die Möglichkeit in New York zu leben. Ich war dort schon ein paar Mal zuvor und habe es geliebt. Ich habe mein ganzes Leben in England gelebt und mollte irgendetwas Neues. Außerdem sitzt meine Plattenfirma dort. Es hat also einfach Sinn gemacht. Außerdem sehe ich jeden Tag andere Dinge und lerne neue Sachen.
Es hatte also nichts damit zu tun, dass Du auf Dich allein gestellt sein wolltest, weil ich mir vorstellen kann, dass dieser Gedanke Deiner Musik inne wohnt: Der einsame Wolf…
…doch, doch. Ich bin nach New York gezogen, bevor ich den Vertrag unterschrieben habe. Ich habe einfach den Entschluss gefasst: Ich ziehe da hin! Nach dem ich zwei Monate dort gelebt habe, habe ich den Plattenvertrag unterschrieben, also war ich zuerst schon allein. Allerdings nicht in dem Sinne, dass ich einsam war. Ich habe viele Freunde, aber ich mag den Gedanken, selber Dinge in die Hand zu nehmen. Und ich glaube, das ist auch wichtig, wenn du von zu Hause raus bist.
Man kann also schon sagen, dass Dich das, ich nenne es jetzt einfach mal „Allein-Sein“, beim Schreiben beflügelt.
Ja, schon. Ich meine, ich muss währenddessen konzentriert sein. Ich schreibe nicht, wenn jemand anderes im Zimmer ist. Ich kann in einem Café schreiben, aber dann bin da nur ich, mein Laptop und Papier.
Hat der Umzug nach New York auch Dein Songwriting beeinflusst?
Klar. London und New York sind zwar gleichermaßen große Städte, aber die Leute sind doch schon sehr unterschiedlich. Ich lebe in Manhatten, wo es einen sehr ausgeprägten Gesellschaftssinn gibt. Ich kenne die Leute. In London gab es diese Art von Gesellschaft nicht. Das hat schon Einfluss auf mein Songwriting. Ich schreibe einfach andere Songs. Ich bin selbstbewusster geworden. Früher war ich nicht so selbstbewusst. Es hat sich ein bisschen so angefühlt, als würde ich anderer Leute Songs schreiben, weil ich mich nicht auf die Gedanken verlassen habe, die mir im Kopf rum geschwirrt sind. Seit dem ich in New York bin, habe ich das Gefühl mich besser zu kennen. Eben weil ich auf mich allein gestellt bin und keine Familie in direkter Nähe ist. Das hat mir geholfen.
Um da nochmal einzuhaken. Du hast gesagt, Du hättest das Gefühl gehabt, anderer Leute Songs zu schreiben. Du hast aber trotzdem kein Problem damit, dass Robert Pattinson Deinen Song im ersten Twilight-Film gesungen hat?
Na ja, als der Song („Never Think“, Anm. d. Red.) am Ende des Tages fertig war, hat er ihn einfach gesungen. Ich finde, er hat einen guten Job gemacht und nebenbei- ich hatte den Song vorher noch nicht ein einziges Mal gesungen. Ich meine, wenn du einen meiner Songs singen würdest, hätte ich auch kein Problem damit. Für mich als Songwriter ist das eher ein Kompliment.
Eine sehr offene Einstellung. Ich glaube viele Musiker hätten Probleme damit.
Dazu muss ich sagen, dass Rob mein Freund ist und ich ihn als ehrenwerte Person sehe. Wenn eine Pop-Band einen meiner Songs spielen würde, wär das schon komisch, aber Robert ist jemand, den ich mag. Wenn du einen Song von mir covern würdest, wär das ok. Ich denke mal, dass du keiner dieser Pop-Musiker bist.
Offensichtlich nicht.
Ich glaube, ich hätte Vorbehalte, wenn eine Pop-Band meine Songs spielen würde, aber ansonsten sehe ich es immer als Kompliment, wenn jemand meine Musik spielt.
Denkst Du, dass die Musik diese Einstellung mittlerweile weitestgehend verloren hat?
Irgendwie schon. Ich meine, Musik ist etwas, das man teilen sollte. Sie gehört nicht mir oder dir, sie ist für jeden da. Ich denke, jeder sollte ein Instrument spielen und singen. Ich will kein Arschloch sein und sagen, hey! du darfst meinen Song nicht spielen. Das wäre nicht fair. Damit will ich nich sagen, dass ich meine Musik für eine McDonalds- oder Coke-Werbung her geben würde, das auf keinen Fall. Das wäre billigt und würde sich so ein bisschen nach Ausverkauf anhören. Aber wenn ein Junge oder Mädchen zu mir käme und sagen würde, sie möchten einen Song von mir singen, dann ist das großartig!
Wie wichtig ist es Dir, live zu spielen? Gestern hast Du in Hamburg vor vielen Menschen gespielt, heute bist Du in Greifswald und wirst in einem ungleich kleineren Café auftreten. Wie wichtig ist Dir der Kontakt mit Deinen Hörern?
Als ich angefangen habe live zu spielen, war ich sehr nervös. Ich habe alles an Open-Mic-Sessions mitgenommen, um mich daran zu gewöhnen, was mir allerdings nicht gelungen ist. Aber in den vergangenen zwei Jahren ist das Ganze zu einem Teil meinerselbst geworden. Ich fühle mich gut dabei. Mein Tag besteht daraus morgens einen Kaffee zu trinken, mich ins Auto zu setzen und dann fange ich irgendwann an, mich krank zu fühlen. Das ist immer so zwischen 16. und 20. Uhr der Fall. Und jedesmal denke ich mir, oh man, mir geht es nicht gut, ich will nicht spielen. Aber wenn ich erst einmal angefangen habe, ändert sich das schlagartig und ich fühle mich großartig. Momentan bin ich verdammt nervös. Ich meine gestern, waren auch nicht tausende Menschen da, aber es war ein sehr gutes Publikum und ich glaube heute Abend wird es ähnlich sein. Die Größe eines Clubs macht keinen Unterschied für mich. Es ist immer die gleiche Mentalität.
Das klingt fast so, als würdest Du auch viel schreiben, wenn Du unterwegs bist.
Nicht wirklich, das hebe ich mir für zu Hause auf. Ich finde es frustrierend, wenn du unterwegs bist und eine Idee nicht konsequent nachverfolgen kannst. Wenn mir irgendetwas Gravierendes einfällt, schreibe ich es auf. Das ist aber nur ganz selten der Fall.
Du hast gesagt, es sei Dir wichtig, mit dem einverstanden zu sein, was Du tust. Getreu dem Motto: Ich muss morgens in den Spiegel schauen können.
Weißt du, es gibt so viele Abkürzungen, um deinen Erfolg in der Musikindustrie irgendwie zu vergrößern. Billige Tricks kommen für mich nicht in Frage. Ich will jeden Abend live spielen und die Leute dazu bringen, meine Musik zu hören, weil sie mich live erlebt haben. Für mich ist es also schon sehr wichtig, morgens aufzuwachen und in den Spiegel schauen zu können. Ich meine, ich habe vor kurzem ein Konzert vor einem sehr kleinen Publikum gespielt, 20 Leute ungefähr. Zuerst dachte ich: das ist aber ganz schön enttäuschend, aber ich habe trotzdem mein bestes gegeben und gespührt, dass die Leute glücklich waren. Beim nächsten Mal waren es 30 Leute und ich habe wieder mein bestes gegeben. Das ist mir einfach wichtig. Ich meine, zu wissen, du machst es richtig und machst dich nicht größer als du bist.
Ein sehr intensives Gefühl, oder?
So bin ich erzogen worden. Auch als ich diese Twilight-Sache gemacht habe, habe ich nicht versucht, mich darauf auszuruhen, sondern habe ganz unbeirrt weitergemacht. Ich habe geschrieben und geschrieben und gespielt und gespielt. Ich meine, Twilight ist nicht mein Ding, ich bin nur ein Songschreiber. Ich habe immer weiterhin versucht, meinen Stil durchzuziehen. Andererseits könnte ich, glaube ich, nicht selbstbewusst und glücklich sein und wäre wahrscheinlich ziemlich mies auf der Bühne. (lacht)
Ich glaube, das ist ein gutes Schlusswort. Vielen Dank Bobby.
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Den Konzert-Bericht zu Bobby Longs Auftritt am 24. Oktober 2011 im Café Koeppen findet Ihr hier.
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