Das neue Album „Das Island Manöver“ der Flensburger Band Turbostaat steht bereits seit einem guten Monat in den Plattenläden. Wir haben die beiden Gitarristen Marten Ebsen und Rotze Santos in den Gefilden des Radiosenders 1LIVE getroffen, um über den Aufnahmeprozess und die Themen der Platte zu sprechen. Ein Gespräch über dunkle Geschichten, Facebook und Musicals.
Ich habe vor kurzem gelesen, dass ihr euch für „Das Island Manöver“ komplett zurückgezogen habt, um eure Songs zu schreiben. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Marten: Wir haben im Vorfeld, die ganze Zeit gespielt. Das heißt, wir haben auch viel spielen können. Also haben wir es auch gemacht. Da haben wir nie zwischendurch mal Lieder schreiben können. Da mussten wir uns erst einmal wieder zusammenkriegen, um neue Lieder zu schreiben.
(Handy klingelt.) Mach Du mal weiter.
Rotze: Ich weiß gar nicht mehr wo wir sind. Ähm, achso, wir haben uns also nicht wirklich für das Album zurückgezogen, wo auch immer das stand. Das ist nicht richtig. Sondern wir haben, wie Marten schon anfing zu erzählen, für die Platten, wie die meisten Bands das so unprofessionell machen, immer mal ein Lied gemacht. Und wenn dann irgendwie keins fertig geworden ist oder keine Idee da war, hat man auch keins gemacht. Und wenn dann irgendwann genug Lieder zusammen waren, hat man gesagt: „Ok, jetzt können wir eine Platte machen„. Nach dem letzten Album „Vormann Leiss“ haben wir ganz viel Live gespielt und nie irgendwie Gedanken daran verschwendet, mal ein neues Lied zu machen oder an die nächste Platte zu denken und so haben wir dann immer die Konzerte gebucht und irgendwann haben wir gesagt, wir spielen dieses Jahr noch zu Ende und nach dem Abschlusskonzert in Berlin dazu entschlossen, ab Februar uns neue Lieder auszudenken. Und das haben wir dann auch gemacht. Und haben uns dann ein Ziel gesetzt: „Ok, wir haben jetzt keine Ideen, kein Lied, nichts in der Hinterhand, aber wir wollen Ende des Sommers ins Studio.“ Und das für eine uns diese ganz neue Situation. Das kannten wir nicht, diesen selbstgemachten Druck. Man hätte natürlich den Studiotermin auch wieder verschieben können, aber man wollte es doch schon gerne einhalten. Und das hat dann irgendwie geklappt, auch wenn man manchmal unruhig wurde.
Und dass Ihr das Album wieder live einspielen wolltet, wie bei „Vormann Leiss„, stand auch bereits im Vorfeld fest?
Marten: Ja, das war von Anfang klar. Das haben wir beim letzten Mal so gemacht und das hat uns allen auch sehr gefallen. Und es kommt für uns im Moment keine andere Sache in Frage. Wir haben uns dieses Mal nur ein paar mehr Freiheiten eingeräumt, weil beim letzten Mal waren so Ansagen dabei wie: so gut wie keine Overdubs. Also das man nachträglich noch etwas draufspielt oder sowas. Und dieses Mal wäre theoretisch eigentlich alles erlaubt gewesen, aber wir haben genau das Gegenteil gemacht und keine Overdubs genutzt. Bei der letzten Platte war glaube ich einer dabei und dieses Mal haben wir gar nichts gemacht. Da haben wir selbst die Samples alle live abgespielt.
Und dann auch mit Moses Schneider zusammen aufgenommen. Hat er euch dabei genügend Freiraum gelassen oder hat er schon eine führende Rolle eingenommen?
Rotze: Nein, so ist er auch gar nicht. Jedenfalls bei uns nicht. Er ist kein intervenierende Produzent. Er sucht sich lediglich die Bands aus, hat dann auch die Vorstellung davon was für eine Band das ist, aber er geht nicht hin und macht die Lieder irgendwie neu. Er hört sich das natürlich an, hat eine Meinung dazu und wenn er halt mal so sagt: „Naja, dieser Teil, der lahmt halt ein bisschen.“ Dann hört man sich das an, probiert dann irgendwas und wenn man dann eventuell eine bessere Idee hat, setzt man das um und wenn nicht, bleibt halt einfach alles so.
Marten: Wir haben auch dieses Mal viele Akzente, die er hatte, angenommen. Das sind wirklich aber nur so Kleinigkeiten: „Kannst Du die Gitarrenmelodie vielleicht mal so und so spielen.“ Und meistens hat er dann aber auch gute Einwände gehabt.
Gab es denn Muffensausen vor der Reaktion? Vor allem wenn man mehr experimentiert oder alles auf die alte Tour macht?
Marten: Also bei mir hat sich das stündlich abgewechselt. Mal war es mir zu experimentell, dann wieder zu altbacken. Ich wusste gar nicht, was ich zuerst davon halten soll.
Und was hälst du jetzt davon?
Marten: Jetzt bin ich froh, dass wir sie so gemacht haben. Das sind ja auch tagtägliche Entscheidungen, die du fällst. Es sind zwar alles Kleinigkeiten, aber du gehst die ganze Zeit den Weg und am Ende guckst du auf das Ganze und bin froh, dass wir jede Entscheidung so getroffen haben.
Wie würdet Ihr „Island Manöver“ nun in die Reihe eurer Alben einordnen?
Marten: Ganz grob, als Viertes. Es war ein Punkt, an dem wir uns ein wenig öffnen mussten und das haben wir getan. Aber ich denke nicht, dass wir damit irgendwas neu erfunden haben. Man könnte jetzt vielleicht ein wenig darüber philosophieren, dass es eher wieder in Richtung „Flamingo“ geht, weil man wieder Einflüsse angenommen hat, die man vorher eigentlich ausgemerzt hat, aber das ist eigentlich auch müßig.
Der Grund wieso ich die Frage stelle, ist ein Eintrag auf Eurer Facebook-Seite. Ich zitiere mal: „Vielen Dank für dieses grandiose Album…düster. Meine Freundin hat Angst vor zwei Songs“.
(Marten und Rotze lachen)
Marten: Hat er geschrieben welche?
Nein, leider nicht. Aber die Meinung scheinen viele zu haben, weil die Leute, mit denen ich mich über das Album unterhalten habe, es auch als „sehr düster“ betitelt haben.
Marten: Es ist auch düster geworden. Wir haben zwar nicht düster gesagt, sondern dunkel. Auch vom Sound her. Die „Vormann Leiss“ war vom Sound her sehr grell und deswegen wollten wir es dieses Mal dunkel haben. Wir wollten es also schon so haben.
Auch von den Geschichten her, wie mir scheint. Marten, suchst du als Songschreiber die Geschichten dann vollkommen alleine aus oder kriegst du meistens Input vom Rest der Band?
Marten: Ich kriege natürlich auch viele Sachen von Leuten erzählt und wenn ich es gut finde, dann schreibe auch etwas darüber. Jetzt war zum Beispiel ein Text dabei, da hatte Tobi eine Geschichte, die er unbedingt unterbringen wollte und da habe ich ihm geholfen, diese dann einfach nur handwerklich umzusetzen. Das haben wir dann zusammen gemacht, also es kommen schon auch von Anderen Ideen, nicht nur von mir.
Inwieweit setzt du den ganzen Input dann in deinen Texten um?
Marten: Also ich beschäftige mich relativ unbewusst mit den meisten Sachen und das dann auch über Monate bis Jahre teilweise, sodass ich damit schwanger mit Ideen rumlaufe. Dann ist es auch nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung, zu welchem Lied die Geschichte dann einfach herrausplatzt. Es gibt aber auch umgekehrt ein paar Lieder, die ganz bewusst so entstanden sind.
Gab es in der Band dann schon einmal Abweisungen was Martens Texte anbelangt?
Rotze: Das ist bisher noch nie vorgekommen. Dafür liefert Marten einfach zu hochwertiges Zeug ab. Das wäre idiotisch. Ich weiß nicht, ob das auch in der Frage drinsteckte, aber es natürlich nicht so, dass wir das alles direkt verstünden, was in den Texten steht. Wir sind ja auch alle nur Betrachter. Manchmal wird dann gefragt, was gemeint ist und manchmal nehme ich das auch nur so hin, um zu sehen, was es mir alleine bedeutet. In welchem Aspekt, mir der Text wichtig sein kann. Aber dass dort jetzt irgendwas abgewählt wurde, kam in den elf Jahren noch nicht vor.
Und du verrätst den Inhalt der Texte gerne, Marten?
Marten: Es kommt auf das Lied drauf an. Wenn ich dann, ich nenne das immer Emotext schreibe, wo es dann um den persönlichen „Struggle“ in der alltäglichen Welt geht, dann habe ich meistens keinen Bock, das irgendwie zu erklären, weil es mir dann selber zu blöde ist. Wenn es aber so eine konkrete Geschichte gibt, wie bei einzelnen Liedern auf „Island Manöver„, dann erzähle ich die auch gerne. Ich habe aber allerdings, wie auch schon bei der letzten Platte, im Vorfeld allen eine E-Mail geschrieben, wo ich dann kurz erklärt habe, worum es textlich in den Songs geht. Damit die „Herren Kollegen“ wissen, worum es genau geht.
Gerade eben war Facebook kurz ein Thema und ihr als Band seid natürlich auch Teil des Web 2.0. Ist das ein neues Phänomen, das man gerne annimmt oder würdet ihr euch lieber davon distanzieren?
Marten: Nein, wenn wir uns komplett davon distanzieren wollen würden, dann hätte wir beispielsweise bei Facebook auch keinen Account und würden den Leuten dort nicht dauernd irgendwelche Nachrichten schreiben. Das macht Leuten in der Band sogar richtig Spaß.
Rotze: Mir macht das große Freude. Manchmal schreibt man halt zu den einzelnen Dingen was dazu, aber manchmal sitze ich auch einfach davor und muss kichern, weil ja auch viel Unsinn dabei herauskommt. 95 Prozent der Sachen könnte man sich auch einfach sparen, aber so ist das ja immer mit dem Internet. Im Grunde ist das aber auch nur Unterhaltungsunterschiede. Die Leute, die einfach nur mal irgendwas loswerden oder loben wollen, dann machen die das auch und das ist auch vollkommen okay.
Teilt ihr euch das dann in der Band auf und hält dort jemand das alleinige Zepter für diese Plattformen in der Hand?
Rotze: Also bei Facebook bin meistens ich das und Tobert. Myspace mache ich glaube ich alleine.
Marten: Ich mache gar nichts. (lacht) Ich befreunde mich nicht einmal mit meiner eigenen Band, weil ich nur einen reinen Privataccount habe.
Rotze: Ich musste das machen. Um bei Facebook als Administrator eingetragen zu werden, musste man sich dann irgendwie mit dem Profil befreunden, damit Tobert mich dann dort eintragen konnte. Das fand ich ganz schrecklich und da habe ich auch wirklich einen Tag lang überlegt, ob ich das wirklich machen sollte, weil das natürlich auch da steht, dass ich Fan bin von meiner eigenen Band. Das fand ich ganz schlimm.
Marten: (lacht) Ich bin auch Fan von deiner Band.
Rotze: Das fand ich wirklich ganz furchtbar, aber es ging halt nicht anders.
Wie steht ihr denn dieser neuen Art von Intimität gegenüber, die es Fans durch das Internet viel einfacher macht, nah an einer Band dran zu sein?
Marten: Das ist eigentlich so eine riesige Promotionsache. In erster Linie ist das, meiner Meinung nach, ein riesiges Kasperletheater. Wenn Linkin Park dann auf ihrer Myspace-Seite schreiben, irgendwie nach dem Motto „Good Shit, now I need paper“ und die Leute denken sich, dass sie dadurch nah an einer Band dran sind. Das kann ich nicht nachvollziehen. Für mich ist das dann keine Intimität, sondern „Web 2.0-Gekasper“. Das ist nicht böse gemeint, aber für mich bedeutet es nichts. Ich denke, dass es irgendwann auch wieder zu einer Art Tonträger zurückgehen wird. Jetzt dränge alle in das Livegeschäft ein, da sind wir wieder bei dem wirtschaftlichen Teil des Ganzen. Alle Labels wollen am Livegeschäft verdienen, alle Promoagenturen und alle Anderen wollen am Livegeschäft verdienen, bis am Ende auch das kollabiert. Für mich hat das alles wenig mit Musik zu tun, wir könnten auch über andere Dinge reden. Wir könnten auch über Musicals reden. Versteh mich nicht falsch, ich will das nicht abwerten. Aber ich für mich mache Musik und das ist auch unser Hauptgeschäft, versuchen uns dadurch auszudrücken, aber das ganze Verkaufen und wie das alles läuft, da sind wir dann auch eher nur Zuschauer.
Rotze: Im Grunde ist es immer so gewesen, dass die Welt drumherum sich verändert hat. Wir haben halt unseren Kram gemacht. In den Neunzigern hat man beispielsweise irgendwelche Touren mit Briefen gebucht. Da hat man sich ein paar Monate vorher, mit den Veranstaltern per Briefen verabredet, wobei das meistens auch nur irgendwelche besetzte Häuser oder abgerissene Scheunen waren. Und nach zwei Wochen war dann alles klar und dann ist man irgendwie auf Tour gefahren. Als wir angefangen waren, hat man dann halt telefoniert. Da hat man dann halt irgendwie…
Marten: „Schick mal ein Tape!“
Rotze: Ja, genau.
Marten: „Hast du das Tape gehört?“ (lacht)
Rotze: „Nee, habe ich noch nicht gehört. Ende der Woche.“ Und dann hat man nochmal angerufen. „Nee, habe ich immer noch nicht gehört.“ Dann hat man am Anfang der Woche nochmal angerufen. „Ja, ist geil. Kommt mal vorbei.“ – Natürlich sind die Wege jetzt irgendwie kürzer geworden, aber das worum es geht, wenn man dann irgendwie eingestöpselt hat und der erste Ton steht, ist alles im Grunde genommen das Gleiche. Das alles drumherum, ist wie Marten schon sagte, Geschäft, an dem man teilnimmt.
Marten: Ich habe über diese Frage gerade noch einmal nachgedacht. Also ich finde das gerade ein wenig anmaßend, also diese Intimität, die dort angeblich hergestellt wird. Also um ehrlich zu sein, finde ich es ein wenig beschissen. Weißt du, wenn du zu einem Live-Konzert hingehst, das ist dann Intimität. Dann bist du nah dran an einer Band. Den ganzen Kindern wird ja…Also wir haben ja eigentlich ein viel größeres Angebot und könnten theoretisch uns eine pakistanische Jazz-Punk-Band jetzt auf Knall und Fall anhören und kennenlernen. Aber die Realität ist, dass die Leute immer weniger Musik hören, also verschiedene Musik. Sie hören sich jetzt nur noch diesen „Meta Stuff“ an oder diese Trends. Und die ganzen kleinen Bands, die man wirklich intim erleben kann, die bleiben auch in einem sehr kleinen Kreis. Spielen weiterhin vor noch weniger Leuten als früher. Da habe ich eher das Gefühl, dass das für die immer schwieriger wird. Da sind wir ja immer froh, dass wir früher vor so vielen Leuten spielen konnten.
Rotze: Als wir angefangen haben, zu Konzerten zu gehen, so Anfang der Neunziger oder als man dann einfach drin war in der Szene, dann ist man auch immer regelmäßig zu Konzerten gegangen. Da kann ich mich erinnern, da war das so, da war in deiner Stadt – und wir kommen ja vom „Land“ – die Regel: „Konzert ist Konzert ist Konzert„. Wenn da ein Punk-Konzert war, was dann nur einmal oder zweimal im Monat der Fall war, da ist man dahin gegangen. Egal, ob man die Band irgendwie kannte oder einem die kleine Beschreibung unter Bandnamen gefiel, man ist dorthin gegangen. Und das ist heute nicht mehr so.
Marten: Nee, heute hören sie es sich lieber bei Myspace an und denken sich: „Och ja, das klingt so ein bisschen wie bei Billy Talent, aber nicht so geil und der Sänger sieht auch nicht so süß aus.“ Ich habe mir mittlerweile abgewöhnt, mir die Bands vorher bei Myspace anzuhören, weil ich finde, dass der Live-Eindruck schon der erste Eindruck sein muss.
Die Zeit scheint langsam um zu sein, aber noch kurz eine letzte Frage: Gibt es momentan neue Bands, die ihr interessant findet und denen ihr Erfolg gönnen würdet?
Rotze: Also wir haben ja grundsätzlich eine Schwäche für kleine Bands. Ich war am Samstag bei einem Konzert, da hat eine Band gespielt, die ich jetzt das erste mal gesehen habe und sehr sehr gut waren, Findus heißen die.
Marten: 206 haben dort auch gespielt.
Rotze: Genau, 206 haben auch gespielt. Und bei Findus hat man halt von Anfang gemerkt, die haben einfach Bock. Man konnte ihnen ansehen, dass sie einfach Lust darauf haben und uns nicht irgendwie nach Tipps gefragt haben. Solche Fragen kriegen wir ja auch oft zu hören.
Marten: Man merkt eindeutig, dass ihre Ambition nicht in einem Lifestyle oder in einem wirtschaftlichen Interesse liegen, sondern rein auf die Bühne beschränkt sind. Dass ihr einziger Wille es ist, Konzerte zu spielen. Zu zeigen, was sie sind und nicht darüber nachzudenken, wie man jetzt besonders gut seinen Lebensunterhalt damit bestreiten könnte oder ob das besonders geil wäre, ganz viele Mädchen…oder so einen Schrott. Die machen das, weil sie Bock darauf haben und das finden wir gut und sympathisch. Und wenn man genau hinschaut, gibt es in Deutschland sehr viele Bands von dieser Sorte. Da könnte man jetzt eine ganze Liste runter rattern. Wir haben jetzt versucht für diese und die nächste Tour, viele Bands, die wir für gut und wichtig halten, mitzunehmen. Und da kann man dann ja mal reingucken. Da spielen unter anderem Findus und 206 auch mit.
Aber dann nicht vorher bei Myspace anhören, sondern direkt zum Konzert gehen.
Marten: Ganz genau. Direkt mal zum Konzert kommen und dann erst bei Myspace reinhören.