Es war im Jahr 2002, als eine Band namens Kettcar die Hamburger Musikszene in ihren Grundfesten erschütterte. Das war gitarrenlastige Musik mit klugen Texten, so wie man es aus Hamburg gewöhnt war – Und doch so erfrischend anders. Jetzt, 6 Jahre und ein weiteres Album später, darf man sich am dritten Werk „Sylt“ erfreuen – Und feststellen: Kettcar haben es geschafft, sich selbst zu überholen und gleichzeitig die Treue zu halten.
„Festgehalten, an allem was trägt und mitgelaufen, mit allem was geht.
Es ist so weit, dass das Leben sich um etwas dreht!“
Das singt Marcus Wiebusch im Lied „Geringfügig, befristet, raus“ und spricht damit wohl einer ganzen Reihe Kettcar-Hörern aus dem Herzen. Seit 2002 konnten sich viele mit der Musik und speziell mit den Texten identifizieren. Und jetzt ist es so weit, das Leben dreht sich wieder um etwas: Die neue Kettcar-Platte ist auf dem Markt und erreicht ein weiteres Mal den gekannten und geliebten Identifikations-Effekt.
Wenngleich die Texte von Marcus auf dieser Platte stellenweise bitterer sind als zuvor. Auch der Schein des Album-Titels trügt: Wer bei Sylt nur an Urlaub und eine schöne Insel denkt, der liegt falsch. Sylt ist eine Nordseeinsel, die dem Untergang geweiht ist. Jahr für Jahr frisst das Meer diese Insel weiter auf, es wird verzweifelt Sand aufgeschüttet. Man will retten was zu retten ist, selbst wenn das auf lange Sicht hoffnungslos ist. Und somit spiegelt der Albumtitel die textliche Ausrichtung ganz gut wieder. Bei all der Depression und Bitterkeit, die auf diesem Album so mitschwingt: Ganz aufgeben sollte man bitte nicht. Kapituliert haben ja schon andere.
„Weil es nicht mal die Chance gab, weil man einfach gegangen ist,
weil man einfach gegangen ist, als würde man ewig noch kommen
und gehen und sich sehen. Weil die Worte nicht reichen,
weil Erinnerungen bleiben, weil das Kind, das gegangen ist,
jetzt vor dem Haus stehend erkennt und vermisst,
dass es kein Kind mehr ist.“
Und wenn Marcus dann mal wieder im Duden des Lebens geblättert hat, dann darf man sich an Textzeilen wie diesen erfreuen, die nicht nur vor galantem Wortwitz strotzen, sondern auch noch hymnisch ineinander- und sich der Musik anpassen:
„In die Kunst, um sich in ihr ganz zu versenken.
Ein Leben zu leben und keins zu verschenken.
In die Festungsbunker, sich selber genügen,
zum Erlebnis-Schrott sich selber belügen“
Das ist er wohl, der typische Kettcar-Stil, den mag so gern hat. Und Marcus Stimme ist eben auch wirklich einzigartig. So sanft wie man es sonst kaum in deutscher Musik wiederfindet. Es gehört eine Menge dazu, die kantige deutsche Sprache so rüberbringen zu kennen. Und ganz im Ernst: So zärtlich „Fick dich“ aus den Boxen geraunt zu bekommen, das hatte man zuletzt bei Tocotronic, wo Dirk von Lowtzow engelsgleich ans „Fuck it all“ plädierte, ein ganzer Chor einsetze und alle machten mit. Ganz allein musste sich Marcus Wiebusch diesmal auch nicht durch das Album schlagen. Wenn auch ohne Chor; im wohl melancholischsten Song „Am Tisch“ wird er von niemand geringerem als Niels Frevert unterstützt, der ihm einige Zeilen abnahm. Das erste Mal ein Gästsänger auf einer Kettcar-Platte – Und dann gleich eine so gut Wahl! Es klingt toll.
Aber Kettcar besteht ja aus mehr als nur Marcus Wiebusch. Zu der Musik muss man sagen: Eine solche Vielfalt hatte man bei Kettcar bisher noch nie! Das ist immer noch gitarrengestützte Popmusik, aber mit viel mehr Nuancen versehen als noch zuvor. Das Lied „Kein Aussen Mehr“ beginnt zum Beispiel mit Synthesizergepiepe und das gesamt Lied „Fake For Real“ basiert auf einer elektronischen Bassline und Beats. Und auch der Aspekt „Pop“ wird in einigen Liedern eindeutig durch „Rock“ abgelöst. Kettcar sind wütender als noch zuvor und das merkt man der Musik auch an. Auf der Insel geht es stürmisch zu! Da toben die Gitarren und man fühlt sich ab und an wirklich an Kettcars Vorgängerband „…But Alive“ erinnert. Doch natürlich gibt es immer noch die ruhigeren Momente auf diesem Album, exemplarisch bei „Am Tisch“ der Fall.
Kurzum: Auf diese Band ist einfach irgendwie Verlass und wer die beiden Vorgängeralben mochte, der wird Sylt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sicherlich auch zu schätzen wissen. Wir werden nie enttäuscht werden. Schön, dass ihr wieder da seid, Kettcar!
„Elvis has left the Kartenhaus.“
VÖ: „Sylt“ ist seit dem 18.04.2008 auf Grand Hotel Van Cleef erhältlich.
Das nenne ich mal eine Verspätung ;-)
Wenn wir die Platte nicht früher bekommen, was soll man machen…