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niels frevert – du kannst mich an der ecke rauslassen

Gäbe es eine Liste, eine Liste mit Namen von Menschen, die man gerne mal in den Arm nehmen würde, ihnen sagen „alles wird gut“. Aber auch „danke, danke.“ – dafür, dass sie nicht aufhören Musik zu machen. Niels Frevert stünde ganz weit oben auf dieser Liste.

Es werden wahrscheinlich nicht viele Nationalgalerie kennen. Diese Band, die damals (1994) mit Evelin sogar einen eingängigen Viva Hit hatte, die damals Musik gemacht hat, die zu eigenständig und eigenartig und doch so einfach Rock war, dass nur wenige das in der Ganzheit zu schätzen wussten. Zehn Jahre später hätte das wahrscheinlich überaus erfolgreich funktioniert.

Nach dem Ende der Band widmete Frevert sich seiner – wie man allgemein sagt – Solokarierre. Das selbst betitelte Debüt von 1997 und Seltsam öffne mich von 2003 sind definitve Singer/Songwriter Alben, die von kleinen Geschichten und großer Sehnsucht zu erzählen wissen. Songwriter Alben, die mehr auf Arrangements und kleine Ideen setzen denn auf das Schrammeln der Akustikgitarre und so manchmal als leise Hommage an Elliott Smith zu hören sind.

Anfangs erwähnte Liste könnte man auch ein leichtes um ein weiteres Element erweitern, um ein „Ich würde dir und mir wünschen, dass deine Musik mehr Menschen hören“. Ich entsinne mich an einen Dienstagabend im Mai vor zwei Jahren. Kassel, das Kaff, steht auf dem Frevertschen Tourplan, ich freu mich wie Bolle und mir fallen halb die Augen aus dem Kopf, als sowohl Künstler als auch Publikum – der eine mehr, die anderen eher weniger – entsetzt und resigniert feststellen müssen, das man zusammen vielleicht ein Dutzend zählt.

Das verwundert doch. Klar ist das weder Radio noch Indiedisco tauglich, aber bei soviel Gefühl für poetische Texte und Musik, die ohne sich anzubiedern dennoch leicht an Pop-Regionen kratzt, wird man schon stutzig bei solch minimaler Reaktion.

Mit Du kannst mich an der Ecke rauslassen schafft Niels Frevert nun zwei Dinge zugleich: Zum einen ein konsequentes Weiterentwicklen und Herausarbeiten dessen was „seine Musik“ ausmacht (gefühlt, jetzt!). Und zum anderen wirkt die hier besprochene Platte zugänglicher, durchdachter, offener. Frevert nämlich mal wieder mit Band, Stephan Gade (Bass), Tim Lorenz (Schlagzeug) und Stefan Will (Piano) spielen fantastisch auf – und zwar indem sie gänzlich unaufgedrängt und minimalistisch spielen. Dies aber so konzentriert dass es eine Wonne ist in den wortlosen Momenten der Lieder zu verweilen.

Und dann: Die Streicher! So passend hat das seit der O von Damien Rice niemand mehr eingesetzt, arrangiert von Werner Becker, einem alten Hasen, wenn man der Beschreibung glauben schenken kann. Überhaupt wirkt das musikalisch alles sehr ausgereift, langsam wird klarer, was der Typ (der nie übt worum es eigentlich geht) die letzten Vier Jahre gemacht hat.

Ich mag meinen schwedischen Schrank nicht,
ich hasse meine Telecaster.
Ich mag auch mein Geld auf der Bank nich,
ach wär ich doch gar nicht erst hier.

Ich möchte mich gern von mir trennen,
am besten auf längere Zeit.
Dafür würd ich tagelang rennen,
egal wohin hauptsache weit.

Das halbironische, lethargisch-melancholische Ich möchte mich gerne von mir trennen (im Original von Hildegard Knef) bildet den Quasi-Gegenpol zum tomteschen Theestube („Warum ich mich gut mit Thees verstehe“) und zeigt schon reduziert wohin es textlich geht. Wie so oft ist es die Sinnsuche, das Sichselbstfinden, Aufhören und endlich anfangen. Das klingt natürlich wunderbar allgemein und teilweise abgeschmackt. Zum Glück verhängt Frevert sich nicht in Klischees sondern findet stets Poetik, auch im Kleinen. Und so kommen die neun Songs oft so leichtfüssig daher, dass sich erst beim zweiten oder dritten Mal Hören die Bedeutung erschließt.

Mit geschlossenen Augen,
nem Flattern in den Armen
steh ich in der Gegend
aller Lichter an
wie ein Baukran.

Schwer vorstellbar wie lang er wohl über den Wörtern gegrübelt hat, wieviele Lieder wohl sofort wieder im Papierkorb verschwunden sind. Was bleibt: ein Album, das mehr als nur funktioniert, dem man das Gehörtwerden wirklich wünscht und ob dessen Schönheit man die eigene Kleinlichkeit, um der nur 31 Minuten Spielzeit traurig werden zu wollen, ganz ganz schnell wieder verdrängt.

VÖ: 29. Februar 2008

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