Sofern es eine Band aus deutschen Landen verdient, das Prädikat „Besonders wertvoll“ angeheftet zu bekommen, dürfte das bayerische Quintett Slut wohl rechtmäßig Anspruch darauf erheben, als eine der ersten Formationen ausgezeichnet zu werden. Binnen der letzten Jahre beschritten die Ingolstädter das dramatische Terrain und wirkten musikalisch an der Inszenierung der „Drei Groschen Oper“ mit. Außerdem ging die Band mit Autorin Juli Zeh auf Reisen. Was derzeit dermaßen experimentell, frisch und umtriebig wirkt, lässt nahezu den Umstand vergessen, dass Slut bereits seit 1994 gemeinschaftlich musizieren, wie die Wiederveröffentlichung der beiden Alben „For Exercise And Amusement“ sowie „Interference“ belegt.
Was meist augenzwinkernd als nostalgisch bezeichnet wird, trifft auf das Frühwerk der Bayern zumindest materiell tatsächlich zu. So waren die beiden ersten Alben des Quintetts restlos vergriffen und nicht mehr im Handel erhältlich. Dieses rief vor allem seitens der jüngeren Hörerschaft, insbesondere im Zwiegespräch mit den Künstlern nach Konzerten immer häufiger Irritationen hervor. Demnach hätten Sänger und Gitarrist Christian Neuburger überwiegend jüngere Konzertbesucher auf das vermeintliche Debüt „Lookbook“ angesprochen, wobei es sich bei diesem Werk bereits um den dritten Langspieler der Band handele. Nun, da besagte Alben langzeitig vergriffen sind, wolle man den Nachgewachsenen die Möglichkeit eröffnen, sich auf Spurensuche zu begeben. In der Tat eine Spurensuche die lohnt.
Denn die ersten Alben der Formation bilden ein qualitativ äußerst solides, gitarrenlastiges Fundament für deren darauf folgende Ausflüge in elektronische Spähren. Allerdings wirken die Langspieler keinesfalls weniger ausgereift, als all das, was schließlich folgen sollte. Die Musik ist pathetisch, detailliert, progressiv, dringlich.
Eine Reise in vergangene Zeiten beginnt mit „Favourite Pool“: „Join me for a trip into my favourite pool.“ Und tatsächlich scheint es nahezu notwendig, sich in ein mit erfrischenden Kompositionen angefüllten Schwimmbecken fallen zu lassen. Die Songs erscheinen äußerst reif inszeniert, einzig Neubaurer wirkt stimmtlich etwas verunsichert und noch nicht wirklich gewiss darüber, was er mit seinem Organ zu leisten im Stande ist. Vielleicht ist es gerade diese Unsicherheit, die den Texten in diesem Fall ihre Glaubhaftigkeit beschert. „Because I know this crap will overcome myself at least I thought I’m open minded forever me forever you and always love but I don’t know how.“ („Rocket“)
Ferner wissen Slut bereits auf „For Exercise And Amusement“, das 1996 zur Veröffentlichung frei gegeben wurde, gezielt atmosphärische Stilmittel einzusetzen. Ein verunsicherndes Geigeninferno leitet „Ground“ ein, das darauf hin zunächst sanft in progressive Strukturen übergleitet. Die Gitarren schwelgen akzentuiert vor sich hin, bis sie übersteuert zusammenbrechen und Neubauer sich nach vormaligem Flüstern auf das Schreien verlegt.
„Interference“, 1998 erschienen, knüpft augenscheinlich nahtlos an seinen Vorgänger an. Ein verschrobenes Grammophon-Intro empfängt, eine verzerrte Bass-Linie übernimmt und eine facettenreiche Rhytmik animiert. Neubauer singt deutlich selbstbewusster ohne jedoch seine sympathische Fragilität zu verlieren. Auch hier lässt die Band ihrer Musik Raum, sich entwickeln zu können, anstatt ihre Stücke direkt und brachial nach vorne preschen zu lassen. Vielmehr intonieren die Künstler bedächtig und effektiv. Was verträumt mit geschlossenen Augen beginnt, ufert intesiv aus. Der Hörer erhält die Gelegenheit, sich einzufühlen, den Weg mitbeschreiten zu können, um schlussendlich aus eigener Intention mit zu eskalieren. „Cracked and cold collapsed as usual some could say.“ („Bussova“)
Diese Alben sind zeitlos und eindeutig zur Konsultation empfohlen. Es ist schier unglaublich, dass eine deutsche Band bereits in den 90er-Jahren in der Lage war, derartige Musik zu komponieren. Umso erfreulicher scheint der Umstand, dass sich die Band nach wie vor konsequent mit ihren ersten beiden ersten Langspielern identifizieren kann:“Es ist nur ganz wenig dabei, zu dem ich heute nicht mehr in vollem Maße stehen würde“, so Neubauer. Slut als intellektuelle und facettenreiche Wegbereiter des deutschen Indie.
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„For Exercise And Amusement“ sowie „Interference“ sind seit dem 15. Okt. 2010 wieder via Stickman Records erhältlich.
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Slut auf Deutschland-Tour:
07. Nov. 10 Leipzig- Werk II
08. Nov. 10 Berlin- Lido
09. Nov. 10 Hamburg- Logo
10. Nov. 10 Köln- Luxor
11. Nov. 10 Stuttgart- Schocken
13. Nov. 10 München- Feierwerk
Der Herr heißt nicht Christine mit Vornamen und demnach auch nicht NeuBAUER mit Nachnamen ;)