Zum zehnten Jahr des Bandbestehens veröffentlichten Tocotronic eine CD/DVD-Box. Bis zum Rand gefüllt mit B-Seiten, Videoclips und allerlei feinen Einblicken in die Bandgeschichte war diese Box im Jahre 2004 ein Pflichktauf für alle Hörer der Band. Nochmal 4 Jahre später, theoretisch also 14th anniversary, wird diese schicke Box erneut auf den Markt gebracht, auf dem bandeigenen Label Rock-O-Tronic Records.
Was einen allerdings etwas wundert, ist die Tatsache, dass auf dieser Wiederveröffentlichung keine weiteren Extras vorzufinden sind. Nahm man die anderen Re-Releases doch zum Anlass, die CDs mit allerlei schönen Liveaufnahmen und Raritäten zu versehen, findet man in diesem Fall exakt die gleiche Tracklist vor wie schon 2004. Obwohl es sich ja speziell beim Vorhandensein einer DVD gelohnt hätte, noch einiges an Material hinzuzufügen, schließlich sind bereits 4 weitere Jahre ins Land gezogen. Aber vielleicht ist in der Hinsicht ja etwas Neues in Planung, man wird es sehen.
Auf der CD dieser Box findet man alle bis dato veröffentlichten B-Seiten vor. Das sind 23 an der Zahl und durch und durch hörenswert. So beginnt die CD mit 2 Stücken von Arne Zank, dem Schlagzeuger der Band, der sich dort solo auslebte. Das Stück „Die Mehrheit will das nicht hören, Arne“ ist ein Lofi-Electrogefrickel-Stück, in dem man Arne leise im Hintergrund diese Songtextzeile flüstern hört:
„Die Mehrheit will das nicht hören
Ich weiß es, ich will auch nicht stören
Nur was soll ich machen
Ich liebe diese Sachen“
Wir auch. Nach gerade mal 48 Sekunden geht es dann direkt über ins zweite Lied. Von Arne einsam an der Gitarre gespielt. „Ein Meister der Selbstbeherrschung erzählt“ handelt von genau dem Gegenteil, was der Titel einem vespricht. Selbstzweifel ahoi, Arne weicht auch solo nicht von dem ab, was man von der Band textlich gewöhnt ist. Danach folgen 2 englische Songs. „You are quite cool„, eine englische Übersetzung des „Du bist ganz schön bedient„, sowie „The idea is good, but the world isn’t ready ready yet„, von „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ abstammend. Beide Lieder ähneln den deutschen Versionen sehr, sind eben einfach in einer anderen Sprache aufgenommen. Obwohl sich die Textzeile „All I want to say to you is hold for heavens sake to me“ eindeutig noch viel emotionsvoller Jaulen lässt als das deutsche Pendant. Das nächste Lied trägt den Namen „Die 10 Uhr Show“ und ist ein Cover der deutschen Band „Huah!„. Ungewohnt ranziger Text für Tocotronic, so genießt man es trotzdem, Dirk von Lowtzow auch mal mit Wörtern wie „Babe“ um sich werfen zu lassen. Danach folgt das Lied „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ in der internationalen Version, also auf Englisch und noch eine Spur rockiger als das Original, ebenso das nächste Lied „Gott sei Dank haben wir beide uns gehabt“ dröhnt dem Hörer mit eingeschaltetem Verstärker entgegen, handelte es sich auf dem Ursprungsalbum noch um eine groovige Nummer auf der Akustikgitarre. Als nächstes Lied findet man „Muzik“ vor, ein instrumentales House-Stück, gecovert von dem im Bandumfeld legendären belgischen DJ „Dj Pierre„. Tocotronic haben dem Song Electro-esque dem letzten Schliff gegeben. Auch das Lied „Manifesto“ ist ein Minimal-Electrotitel und wird auf der beiliegenden DVD teilweise als Menütrack verwendet. Stücke wie „In der Überzahl“ und „Als Letzter auf der Bank„, „Diverse Menschen deiner Stadt“ oder „Etwas das ich noch nicht kennen kann“ sind solche Titel, bei denen man das Gefühl hat, dass sie auf einem Album Platz finde sollten. Wirklich fantastische Tracks aus der Zeit von 1997-1999. Ebenso „Sie wollen uns erzählen Teil II„, eine langsame, melodische Version des Ursprunsgtitels. Weitere englische B-Seiten sind die Titel „The weather’s fine„, „Racist friend„, sowie „Stories“ und „The Gift„. Bei den ersten beiden handelt es sich um Coverversionen. „The Gift“ ist eine englische Version vom „Geschenk“ der K.O.O.K.-Platte, Und „Stories“ sowie „22 No“ relativ kurze, aber wunderschöne Songs aus der Zeit des weißen Albums. Bei dem Song „Deine Party“ hat man es vermutlich mit einer Demoversion zu tun, aber so unterirdisch dieser Song auch aufgenommen ist, die Idee dahinter ist toll. Der Ich-Erzähler besucht seine neue Freundin zu Hause, alles scheint schön zu sein, er wollte sich den Eltern vorstellen und so weiter. Nur um dann resignierend festzustellen, das man mit „dieser Sippschaft, die du deine Freunde nennst“ nicht zurechtkommt. All das natürlich in die passendsten Worte verpackt, die man sich vorstellen kann. Zwei definitive Highlights der 10th Anniversary-CD sind die Lieder „Ja“ und „HiFi-Science Fiction„. Beide wundervoll melancholisch. „Ja“ bezieht sich stellenweise auf ein von Thomas Bernhard so betiteltes Werk und auch „HiFi-Science Fiction“ kommt besonders wegen der ausgefeilten Texte zur Geltung. Das Lied darf sich anhand solcher Zeilen wohl wahrlich „Liebeslied“ schimpfen:
„In der Leere
die uns hier umgibt
liegt unser Glück
In der Erinnerung
Und ein Klang
in der Nacht
sagt es uns:
Es geht um uns“
Nun zu der beiligenden DVD. Das Schönste daran: Alle Musikvideos, 12 insgesamt, in Topqualität zu Hause haben. Von „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ bis „Sailorman“ (1995-2002) sind sie alle darauf konserviert. Und ein paar Clips gibt es sogar noch obendrauf: Live-Aufnahmen von 1994, also dem Jahr, bevor das erste Album „Digital ist besser“ überhaupt auf den Markt kam, sowie auch aus 1998, zusammen mit der Band „Fuck„. Desweiteren ein Tourneebericht von 2002, gespickt mit einigen Liveaufnahmen und dem Leben auf Tour abseits der Bühne, liebenswerten Problemchen in Hotels, backstage und auf Rastätten. Wirklich sehr sehenswert. Auch sehr sehenswert ist das Making of der K.O.O.K aus 1998/1999 in Frankreich auf einer Art Bauernhof abseits jeglicher Zivilisation. Tocotronic nehmen das Album auf und lassen nebenher noch einen Wettbewerb laufen: Wer schafft es, sich in der Zeit den längsten Bart wachsen zu lassen? Humorvoll gestaltet, das Ganze. Und eines der Highlights auf der DVD ist mit Sicherheit die Aufnahme des Auftritts bei „Top Of The Pops“ 2002. Tocotronic in Anzügen auf der Bühne und dort so unpassend wie der Papst in der Hölle. So nahm die Band das Abspielen des Playbacktracks als Gelegenheit, doch direkt mal die Rollenverteilung ein wenig abzuändern. Der Schlagzeuger an der Gitarre, der Gitarrist am Schlagzeug und der Bassist an den Tasten. Und das Publikum feiert diese falsche Angelegenheit klatschend mit. Sehr witzig anzusehen.
Alles in allem lässt sich also festhalten: Für Fans der Band sowieso ein Pflichtkauf und für Neueinsteiger eine gute Investition, da DVD und CD einen guten Querschnitt durch die Bandgeschichte bieten.
VÖ: Bereits im Handel.
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