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Tocotronic – Pure Vernunft Darf Niemals Siegen (Re-Release)

pvdns.jpgÄhnlich der Kombination giftgrün/schwarz aus dem Jahre 2007 ist bei Tocotronic im Jahre 2008 waldgrün/schwarz wieder angesagt. Das von der Band selbst „Dogma-Album“ genannte Konzeptalbum aus 2005 wurde auf dem bandeigenen Label Rock-o-Tronic Records wiederveröffentlicht. Und kommt mit so einigen akustischen Leckerbissen daher.

Doch erstmal zu dem Album an sich. „Pure Vernunft darf niemals siegen.“ Lebensmotto in einer nicht mehr zählbaren Anzahl an Myspace-Profilen, so war es von der Band doch ursprünglich gar nicht so ernst gemeint. Den Kopf sollte man schließlich nicht verlieren in all seiner jugendlichen Unvernunft, aber Wegträumen ist eine gute Angelegenheit. Nachdem Rick McPhail bereits seit 2000 auf der Bühne für Tocotronic tätig war, ist dies nun das erste Album, wo man sein Talent auch auf Platte bewundern darf. Der gebürtige Amerikaner greift zur Gitarre und der Rest der Band ist fortan in Märchenwaldstimmung. Dirk von Lowtzow strickt textlich zumindest in vielen der Songs das Muster weiter, was er sich für das 2002er – „weiße“ Album schon zurechtgelegt hatte. So sind die Texte immer noch weit entfernt von der Direktheit, die die frühen Trainingsjacken-Tocotronic vorzuweisen hatten. Doch wenn man sich die Ehre und die Mühe gibt, hier mal genauer hinzuhören und die Botschaften zu entschlüsseln, so ist jede Zeile dieses Albums ein Puzzleteil für eine Lebensweisheit. Selten kam es in deutschsprachiger Musik vor, dass ein Album in seinem Sinn und in seinem Mitteilungswunsch in sich so abgeschlossen war. Dogma-esque. So hangelt man sich in die Höchsten Höhen, über Den Achten Ozean und Alles In Allem lässt sich das Grundgefühl dieses Albums doch in ein paar Zeilen zusammenfassen:

Say it loud
I’m lost and proud
You’re welcome here
Cheers for fears

Erste Vordeutungen auf die Kapitulation waren also auch schon damals gegeben. Wenn man will, kann man noch weiter zurückgehen: K.O.O.K. Bei Tocotronic geht ohne den gehörigen Niedergang augenscheinlich nichts. Die musikalische Untermalung des Ganzen ist aber nicht hart und rockig, wie man es sich vielleicht vorstellen würde, sondern der sanfte und träumerische Protest steht auf der Tagesordnung. Da ist diese unsichtbare Hand, die sich einem auf die Schulter legt. Nicht umsonst wird bei Tocotronic stets von einem „Wir“ gesungen. Rick McPhails Gitarrensound rundet die Musik gut ab, von der Perfektion des 2002er-Albums distanziert man sich aber trotzdem gerne, es klingt wieder roher und kompakter als vorher. Insgesamt also sicherlich eines der Meisterwerke in Tocotronics bisherigem Schaffen.

Und nun also wiederveröffentlicht. Was gibt es obendrauf? Zuerst darf sich nun jeder Hörer an der „Mystery Symphony“ erfreuen, die 2005 nur bei der streng limitieren Auflage des Albums als Mini-Disc beigelegt war. Dieser Songs ist kräftige 9.18Min lang und komplett instrumental. Die „mysteriöse Symphonie“ war das Ergebnis einer nachmittäglichen Jamsession. Und wenn man bei den vorhergegangen Songs nicht schon am Fußwippen war, dann tut man es spätestens jetzt. Diese Melodie ist einfach packend. Und der Song sowieso bestens zum Autofahren ab Mitternacht geeignet, aber das nur mal so nebenbei. Die beiden weiteren Songs, die man als Extra vorfindet: „Dark Star“ und der Titelsong in Akustik-Version. Beides ursprünglich Songs der „Aber hier leben, nein danke„-Single. „Dark Star“ ist betitelt nach einem Gemälde von Sergej Jensen. Oder das Gemälde nach dem Song. Wer da jetzt wen inspiriert hat, ist schwer nachzuvollziehen. Schön ist der Song aber allemal und zeugt ein wenig von Sehnsucht und Flirterei mit dunklen Mächten, Dirk von Lowtzow trägt sicherlich nicht umsonst gerne sein „Buffy The Vampire Slayer“-Shirt auf der Bühne. Der weitere Bonustrack, die Akustik-Version von „Pure Vernunft darf niemals siegen„, verliert etwas von der Dringlichkeit, die der Song auf dem Album mit sich trägt. Es klingt eher nach einem beschaulichen Trinklied, welches man nach dem sechsten Bier dann auch gerne mal lallend anstimmt.

Alles in allem also eine wirklich schöne Angelegenheit. Das Album an sich ein Meilenstein und die Bonustracks lassen sich auch wirklich gut anhören.

Im Blick zurück entstehen die Dinge.
Im Blick nach vorne entsteht das Glück.

VÖ: Bereits erhältlich


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