Startseite » Turbostaat – Vormann Leiss

Turbostaat – Vormann Leiss

Die gefiederten Wasservögel haben sich in einen Seenotkreuzer verwandelt. Nachdem der Flamingo aufgetaucht war, folgte der Schwan; jetzt dreht sich der 180 Gramm schwere Vormann Leiss auf dem Plattenteller. Wie immer schwappt die Musik, einer Flutwelle gleich, in die Gehörgange. Als gäbe es keinen Tidenhub für Turbostaat, machen die fünf norddeutschen Punkrocker dort weiter, wo sie aufgehört haben.

Dabei kann man ihnen nach wie vor keine Gefühllosigkeit oder mangelnde Empathie unterstellen. Der neurotisch anmutende Gesang schraubt sich bekanntermaßen mit grandiosen Phrasen in den Kopf. Bereits im ersten Song bekommt man kurz nach der Begrüßung („Guten Tag…“) eine sicherlich nett gemeinte Empfehlung vor den Bug geknallt: „Leb doch mehr wie deine Mutter / Leb bloß nicht wie ich“. Einige Textzeilen brennen sich förmlich ins Gedächtnis ein; die wunderbare poetische Ausdrucksweise befördert treffende Situationsbeschreibungen zutage. Es ist fraglich, ob eine andere zeitgenössische deutsche Band die Trostlosigkeit der menschlichen Existenz in unseren Breiten besser offen legt als die besagten Punker zwischen Nord- und Ostsee.

Anstatt sich in hohlen dosenbiergetränkten Schlachtrufen zu verlieren, finden Turbostaat eine subtilere Möglichkeit, die Missstände der heutigen Zeit zu kritisieren, um somit die Auseinandersetzung mit ihnen zu provozieren.
Die Band veröffentlicht mit ihrem neuen Album erstmals auf einem Majorlabel, wobei sie ansonsten Kontinuität verkörpert; einst war die altbekannte Oma Hans noch Partner bei Schiffen und auch heute lässt sich die stilistische Analogie zwischen den zwei einflussreichen Gruppen des intelligenten Punkrocks nicht überhören.

Turbostaat thematisieren unter anderem die Entfremdung der Menschen, Krieg, Konsum und die affirmative Haltung der schweigenden Masse, die sich in Resignation übt. Das ganze geschieht weniger frech als durchdacht und reflektiert. Damit sind sie Sympathieträger der besonderen Art, schließlich ist es bewundernswert und schon per se ein politisches Statement, im 21. Jahrhundert Punkrock zu spielen, der zudem auch noch alles andere als stumpf zu nennen ist.

Ein weiteres Mal wartet die Flensburg/Husum-Combo mit einem phantastischen Artwork auf; das großformatige 24-seitige farbige Booklet enthält alle Songtexte, sekundiert von ansehnlichen Collagen aus Fotos und kleinen Schmuckstücken vor einer weißen Fläche. Auf der drittletzten Seite sieht man einen winzigen abgegrabbelten Sticker, auf dem steht: „SCHÖN, DASS DU DA BIST… Ich liebe dich“. In Gedanken habe ich an Stelle der drei Punkte ‚Turbostaat’ eingefügt. Das passt richtig gut und ist mein voller Ernst.

Eine Empfehlung von Felix Hagenström.

Wir freuen uns über deinen Kommentar: