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unamerikanisch?

Vor ein paar Wochen erschien nach dem Durchstarteralbum „After the Eulogy“ die EP „Live for Today“, die das Warten auf das kommende BOY SETS FIRE – Album „Tomorrow comes today“ verkürzen soll, welches im April erscheint. Wir unterhielten uns in Hannover mit einem äußerst gut gelaunten Sänger Nathan über eben diese EP, das neue Album, den Wechsel zu „Wind Up“ und – wie sollte es bei einer Band, die ihren Namen aus einem Buch von Karl Marx entnahm, auch anders sein – über Politik.

Eure Tour läuft ja bisher sehr gut, Bochum ausverkauft, Bremen ausverkauft, heute ausverkauft…

Ja, das ist alles verrückt! Ich weiß nicht, wieso wir so groß geworden sind, aber ich hab‘ da auch kein Problem mit…

Euer neues Album habt ihr ja bereits aufgenommen, dennoch wird es erst im Frühling veröffentlicht und vorher kommt jetzt noch die EP… Warum?

Weil wir verrückt sind! Nein, das ist hauptsächlich wegen dem Label. Labels machen manchmal so eine verrückte Scheiße und wollen etwas nicht vor einem ganz bestimmten Datum veröffentlichen. Da haben wir uns gedacht, wenn wir das Album nicht vor April veröffentlichen können, sollten wir eine EP heraus bringen. So haben die Leute etwas in der Hand und wir können neue Sachen auf der Tour spielen. Das war’s eigentlich, sorry, ich wünschte, ich könnte ich eine coolere Story erzählen…

Was genau für Songs sind auf der EP und wieso gerade die?

Zwei Songs, die auch auf dem nächsten Album sein werden: „Release the Dogs“ und „…“. Dann noch ein Song namens „Curtain Call“, der nur auf der EP erscheint, nicht auf dem Album. „Handfull of Redemption“ ist einer der Live-Songs darauf, welcher auf dem Album als Studioversion sein wird. „After the Eulogy“ und „Rookie“ vom letzten Album sind auch noch als Live-Versionen dabei.

Wie seid ihr eigentlich zu Wind Up gekommen?

Wir hatten vorher einen Deal mit Victory, nur für eine Platte. Als die Platte draussen war, war der Vertrag zu Ende. Wir hatten die Option, wieder mit Victory zusammen zu arbeiten, aber wir haben uns dagenen entschieden und nach anderen Labels ausschau zu halten. Wir haben dann Wind Up gefunden, in den USA definitiv ein Indie-Label, kein Unterlabel von Sony oder so, nur der Vertrieb läuft über Sony. Sony hilft ihnen aus, aber sie sind trotzdem ein unabhängiges Label. Jetzt kommen wir hier rüber und überall steht Sony drauf, das ist bei uns nicht so. Ich weiss nicht, alle Leute, die ich bislang von Sony getroffen habe, sind nette Leute gewesen…

Also habt ihr freie Hand, bei dem, was ihr tut?

Ja, wir haben absolut keine Einschränkungen. Überhaupt nicht. Wir können tun, was auch immer wir wollen. Das ist lustig, unser Label sagt Sachen, ob wir nicht dies oder jenes tun wollen. Wir reden dann darüber und wenn wir denken, dass das eine gute Idee ist: okay! Dann ist es eine gute Idee und wir machen das. Aber wenn wir sagen „Fuck you, vergesst das ganz schnell wieder“, dann sagen die „Okay, cool.“ Das ist wirklich cool.

Das neue Album habt ihr mit dem Produzenten Dave Fortman aufgenommen. Wie kam es dazu, soweit ich weiss, habt ihr „After the Eulogy“ ohne Produzenten aufgenommen?!

Ja, das waren damals nur wir. Wir haben nie wirklich darüber nachgedacht. Als wir uns dann an das neue Album gemacht haben, dachten wir uns „Hey, wie wär’s mal mit ’nem Produzenten?!“ und Windup schlug uns diesen Kerl vor. Daraufhin haben wir gesagt „Wir probieren das für zwei Wochen. Wenn wir ihn mögen, machen wir das weiter. Wenn nicht, gehen wir nach Hause“. Wir mochten ihn. Wir sind absolut mit seiner Arbeit zufrieden.

Warum glaubst du, dass ausgerechnet „After the Eulogy“ Boy Sets Fire eine Art Durchbruch verschafft hat?

Ich weiss nicht genau, wieso. Ich schätze, dass es einfach ein gutes Album ist. Und hoffentlich wird das nächste noch besser. Ich denke, dass es besser ist, ich hoffe, dass andere Leute das auch denken werden.

Als ihr am neuen Album gearbeitet habt, gab es einen gewissen Druck vor dem Hintergrund, dass „After the Eulogy“ so erfolgreich war?

Nein das glaube ich nicht. Auch wenn wir „After the Eulogy“ lieben, lieben wir das neue noch mehr. Und ich hoffe, das geht auch mit jedem Album so weiter. Da war kein Druck, alles verlief ganz natürlich und wir hoffen, dass das neue viel besser als das letzte geworden ist.

Gibt es irgendwelche offensichtlichen Veränderungen zwischen den Alben?

Ich denke, jedes Album ist eine ganz neue Sache für sich. Es ist ja nicht so, dass wir uns gesagt haben, unbedingt etwas anders machen zu müssen. Gleichzeitig ist es natürlich auch nicht so, dass du dir beim Hören denkst „Verdammt, das hab ich doch schonmal gehört“. Und selbstverständlich haben wir auch keine Radiohead-Songs geschrieben. Es ist eine Art Bestandsaufnahme von dem, was wir tun.

Ihr habt oft gesagt, dass ihr für „After the Eulogy“ alle Zeit der Welt hattet und viel rumexperimentieren konntet.

Wir hatten wirklich die Möglichkeit, uns die Zeit zu nehmen, bis es sich wirklich gut angehört hat.

Hattet ihr diese Zeit auch für „Tomorrow comes today“?

Ja! Wir hatten ungefähr drei Monate, das ist mehr als genug Zeit. Verdammt, wir waren da draussen für immer! Jeden Tag im Studio… ich hätte mir selbst in den Kopf schiessen können!

Magst du also keine Studioarbeit?

Ich mag das, was dabei raus kommt. Die Arbeit an sich ist so dermaßen langweilig! Wenn du gerade etwas zu tun hast, ist es okay, wenn ich meinen Gesang einsinge. Aber rumsitzen und warten, bis die Gitarren fertig sind… I wanna shoot myself in the fucking face!

Wenn du einen Song schreibst, hast du dann erst die Idee für einen – dann ja wahrscheinlich politisch motivierten – Text oder ist da zuerst eine Melodie, eine Struktur und hinterher übrelegt ihr euch eine Aussage für den Text?

Das kommt darauf an. Eigentlich passiert es nie zweimal auf die selbe Art und Weise, es ist für jeden Song anders. Manchmal habe ich einen Text geschrieben, spiele irgendwann ein bisschen rum und dann denke ich mir „Oh scheiße, das passt ja perfekt zu dieser Musik“. Oder es passiert gleichzeitig, dass wir alle zusammen eine Idee haben… es kommt halt darauf an. Es gibt kein Rezept oder so, wie wir unsere Songs schreiben.

Wer schreibt die Songs bei euch? Alle zusammen? Und wer die Texte?

Die Songs schreiben wir alle zusammen. Die Lyrics werden – mit der Ausnahme, wenn jemand mal eine Idee mit einbringt – von mir. Die Musik ist von jedem, ich schreibe die Texte, aber jeder ist mit denen einverstanden! Wenn ich einen Text schreibe, müssen die anderen schon sagen „Yeah, das ist es, davon sind wir überzeugt!“ Ich hasse es wirklich, wenn zum Beispiel ein Gitarrist interviewt wird und dieser dann zu den Texten sagt „Da musst du den und den fragen, ich glaub‘ da nicht dran“. Wieso bist du in einer Band, wenn du mit dem, was die Band tut, nicht einverstanden bist?

Ihr habt doch sicher sehr verschiedene Vorlieben von Musik, wenn ich mir die ganzen Einflüsse ansehe, die man bei euch raushört…

Ja, wir sind definitv schizophren! Wir haben so viele verschiedene Einflüsse, dass ich jetzt nicht einmal in der Lage wäre, alle zu nennen. Wir finden uns in allen möglichen Kategorien wieder, in sehr verschiedenen Styles. Ich persönlich höre gerade sehr viel Countrymusik! Johnny Cash und der ganze alte Country-Kram. Ich höre auch sehr viel andere Sachen wie Blues, Jazz, Hardcore… Die anderen in der Band hören auch alles mögliche wie Indierock, Pop, Rock, Metal, Hardcore, Hiphop, Contry, Folk, World Music! Alles mögliche! Keltische Musik… einfach alles!

Kommen wir zum Bandnamen… der hat ja eine Bedeutung!

Am Anfang hatte er nicht unbedingt eine. Er kam aus einem Buch, wir suchten halt nach einem Namen, irgendeinen. Da hieß es „The boy who sets the fire“, wir haben das dann auf „Boy Sets Fire“ gekürzt und eine Bedeutung daraus geschaffen. Wir sehen ihn als ein Symbol dafür, dass die Jugend dieser Welt Dinge verändern kann und dass es nicht nur die Power einer einzelnen Person ist, die Dinge verändern kann.

Versucht ihr, mit euren Songs Leute zu motivieren, etwas zu verändern?

Ja, definitiv! Wir versuchen einen Weg zwischen Motivation und Bedrängung der Leute zu finden. Wenn wir auftreten, reden wir zwischen bestimmten Songs über gewisse Dinge, aber wissen auch gleichzeitig, dass eine Menge Leute nur da sind, um zu tanzen und Spaß zu haben. Das ist auch cool! Ich werde niemals sagen „Hört auf, ihr müsst mir jetzt zuhören“. Ich versuche, so ein Respekt-Ding aufzubauen. Solange niemand ruft „Halt die Schnauze und spiel!“ ist es mir egal, ob sie zuhören. Solange sie mich respektieren, wenn ich rede und die Leute um sich rum respektieren, die zuhören wollen, ist alles okay!

Mit „Release the Dogs“ habt ihr ja mit einen der ersten Rocksongs geschrieben, der sich kritisch mit dem Thema „11. September“ auseinandersetzt. Wie sind die Reaktionen darauf, speziell in den USA?

Großartig! Ich denke, dass viele Leute in den USA aufgrund dessen, was passiert ist, gesagt bekommen, sie sollen mit allem möglichen einverstanden sein, was ihnen Leute wie George Bush erzählen. Sag nichts dagegen, sonst bist du unamerikanisch und ein schlechter Mensch. Aber eine Menge Leute wussten glaube ich, was die Wahrheit war, aber sie hatten Angst, etwas zu sagen. Wenn wir auf Tour gehen und von der Bühne solche Sachen sagen, dann denken die sich „Holy Shit! All right, cool“, sie sind begeistert, das wir darüber etwas gesagt haben, weil sie dachten, dass man das nicht darf. Wenn sie dann erleben, dass jemand anders aufsteht und etwas sagt, finden sie das natürlich gut und denken sich, es ist okay, das zu sagen und es ist okay, das zu denken. Das ist wirklich cool, jetzt gibt es viele Anti-Kriegsbewegungen und eine Menge Leute stehen auf und wehren sich gegen George Bush und den Krieg und all das.

Gibt es viele Leute in Amerika, die dagegen mobil machen? Hier bekommt man davon nicht viel mit.

Das wirst du hier nie mitbekommen, weil die Medien das tun, was immer ihnen gesagt wird. Es ist – denke ich – wie überall, eine Menge Leute lehnen sich dagegen auf. Aber es ist trotzdem erschreckend, weil der Großteil der Leute an George Bush glaubt, weil sie Angst haben. Wir wurden niemals zuvor so getroffen. Das Ding ist, dass sich im Ausland niemand darum kümmern sollte! Wir haben seit dem 2. Weltkrieg 21 Länder bombadiert. Warum zur Hölle sollte es irgend jemand kümmern, wenn wir einmal getroffen werden? George Bush erwartet, dass der Rest der Welt sich Sorgen machen sollte. Er behandelt unsere Alliierten, als wären es unsere Feinde. Er erwartet von all unseren Alliierten, dass sie ihm den Schwanz lutschen und ihn so behandeln sollen, als wäre er das beste, was ihnen je passiert ist. Ich kann nicht verstehen, wie irgendjemand aus unserer Regierung, der sich in der Geschichte mit CIA und so weiter auskennt, den Amerikanern in die Augen sehen und sagen kann „Ich weiss nicht, warum das passiert ist“. Bullshit! Ihr wisst genau, wieso das passiert ist, weil ihr damit angefangen habt! Ihr habt diese Länder bombardiert, ihr habt diese Leute wie Scheiße behandelt! Und sie hatten die Schnauze voll. Was scheiße ist, ist dass sie rüber kamen und unschuldige Menschen getroffen haben, genau wie unsere Regierung das auch getan hat. That sucks, weil die Leute, die im World Trade Center nichts damit zu tun hatten, was unsere Regierung getan hat. Aber es ist nicht weniger traurig und nicht weniger unfair als die Bomben, die sie über Afghanistan abgeworfen haben. Nicht weniger unfair als die Bomben, die wir im Irak oder in Libyen abgeworfen haben.

Glaubst du, dass es einen realistischen Weg gibt, diese Zustände zu ändern?

Ja! Als erstes muss ich sagen, dass ich das Land liebe, in dem ich lebe, solange sich die Leute kümmern. Nur unsere Regierung, die kann sich selber ficken! George Bush hat hier keine Hoheitsrechte. Und wenn er über Bildung redet, redet er über Bomben. Wenn er über Wirtschaft redet, redet er über Bomben. Wie er auftretet! „Bombing! Wir müssen den Irak bombardieren!“ Er kümmert sich einen Dreck um die Leute, die dort leben. Ich denke an die Leute, die dort leben und ehrlich sind, sich um ihre Kinder und ihre Familien kümmern und sich ehrlich bemühen, ihre Gemeinschaften zu einem besseren Lebensraum zu machen. Das ist großartig.
Der einzige Weg, etwas zu ändern – nicht nur für die amerikanischen Bürger sondern vor allem für unsere Alliierten – die müssen „Fuck Off!“ sagen. Die müssen aufhören zu denken, dass alle Leute sich um nichts kümmern und einfach nur „Okay“ sagen.

Hast du etwas über den Konflikt zwischen Bush und Schröder gehört?

Yeah! Das war brilliant! Ich hab da gesessen und gedacht „Oh my god! Das ist riesig! Es wird eine Menge Ärger geben, aber es ist brilliant!“

Plötzlich schrie jeder, dass er das ja nicht einfach machen könne…

Es war mutig von ihm. Jemand musste sich Bush einmal entgegen stellen!

Aber jetzt hat er sich brav entschuldigt und ein symbolisches Händeschütteln gab es auch schon…

Ach, das ist Mist! Das habe ich noch nicht mitbekommen. That sucks! Es müsste viel mehr solcher Leute unter unseren Alliierten geben. Ich verstehe nicht, wie unsere Regierung das alles machen kann, frei nach dem Motto „Okay, wir haben Jahre lang hinter euch gestanden. Ihr habt Leute geschickt, für uns zu sterben. Ihr habt so viele großartige Sachen für unser Land getan – Fuck You!“ Wie machen die das? Überall anders würdest du einen Arschtritt bekommen. Ich glaube, jeder, egal in welchem Land, der jetzt George Bush unterstützt, macht einen schrecklichen Fehler!

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