In der Zeit des Gurtenfestivals verändert sich Bern immer ein wenig. Nicht nur dass man die Klänge vom Gurten auch unten in der Stadt hören kann, auch die meisten Besucher strömen tagsüber in die Stadt oder zum Schwimmen an die Aare und machen die Stadt noch bunter. Und dieser Austausch zwischen Festival und Stadt wurde dieses Jahr auch in die andere Richtung vollzogen, denn zwei Berner Bands waren Headliner am Gurtenfestival 2019.
Überhaupt war es auffällig, dass mehr Schweizer Acts als sonst auf dem Gurten präsent waren. Nicht nur auf der Waldbühne, die seit Jahren den Schweizer Musikerinnen und Musikern vorbehalten ist, sondern auch auf den beiden größeren Bühnen.
Das größte Highlight war hier sicherlich Patent Ochsner, die es schafften, dass sich gefühlt das gesamte Gurtenfestivalpublikum vor die Hauptbühne drängte. Und selten habe ich ein so gemischtes Publikum gesehen. Von Jung bis Alt sangen die Menschen die Lieder inbrünstig mit. Für Außenstehende, besonders für uns Deutsche, mag diese Liebe zu den Mundart-Künstlern seltsam anmuten. Eben weil Dialekte in Deutschland eher negativ angesehen werden und im musikalischen Bereich fast nur in der Volksmusik zu finden sind. Aber in der Schweiz hat der Dialekt einen höheren Stellenwert als das Schriftdeutsch und die Berner vergöttern geradezu die Musik von Patent Ochsner mit Themen von hier und in der Sprache von hier. Sie gehören einfach zur Stadt dazu.
Die zweiten großen Lokalmatadoren waren Lo & Leduc. Sie brachten bereits im letzten Jahr bei einem Geheimauftritt den Gurten zum Beben und durften das in diesem Jahr auf der Hauptbühne wiederholen. Leider konnte ich diesen und einige weitere Auftritte nicht erleben, weil ich verletzungsbedingt eingeschränkt war. Man möge mir das bitte verzeihen.
Blass blieben dagegen einige ausländische Headliner. Während Lauryn Hill mit technischen Problemen zu kämpfen hatte, boten Twenty One Pilots zwar eine Unterhaltungsshow mit viel Spektakel, aber musikalisch dafür eher Langweile. Ganz im Gegenteil zu Tash Sultana, die musikalisch, obwohl sie ganz allein die Instrumente und die Bühne bespielte, absolut überzeugen konnte.
Zwei Trends fielen außerdem noch auf. Zum einen kam deutschsprachige, nicht Mundart, Musik sehr gut an. Nicht nur beim einheimischen Faber, wo dann der Wechsel zwischen deutschen Texten und schweizerdeutschen Ansagen schon etwas eigenartig klang. Auch Bilderbuch und Annenmaykantereit zogen viele Menschen vor die Hauptbühne und schafften schöne Momente.
Und zweitens hatte es deutlich mehr nicht rein männliche Acts auf dem Gurtenfestival in diesem Jahr. Und diese konnten qualitativ oftmals mehr überzeugen als der Rest. Zum Beispiel die erfrischenden Blond, die am frühen Nachmittag das Publikum vor der Hauptbühne mit feinsinnigen Wortspielen und professioneller Aerobic zum Tanzen und Schmunzeln brachten. Dagegen erschien der Auftritt der Rival Sons ein paar Stunden später mit ihrer breitbeinigen Rockmusik wie ein plumper Dinosaurier. Und besonders erwähnt sei auch noch der wunderbare Auftritt der Sophie Hunger. Sie strahlte so viel Freude aus und es machte einfach Spaß, dieses Konzert erleben zu dürfen. Aber eben, es war auch ein Heimspiel, schließlich wuchs Sophie Hunger auch am Fuße des Gurten auf. Womit wir wieder bei den einheimischen Künstlern und ihrer Beziehung zum Gurtenfestival wären. Und um den Kreis komplett zu schließen sei noch erwähnt, dass sich das Zelt am Ende des Auftritts von Sophie Hunger deutlich geleert hatte und sie sich beim verbliebenen Publikum bedankte, während die Menschenmasse vor die Hauptbühne zum Auftritt von Patent Ochsner strömten.
Wenn man sich für das nächste Gurtenfestival etwas wünschen dürfte, dann wären das sicher gern noch mehr Acts mit weiblicher Beteiligung, mehr Mut bei den Headlinern, wieder so wunderbares Wetter wie in diesem Jahr und ein Publikum, dass etwas aufmerksamer und wertschätzender den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber ist. In diesem Sinne, bis zum nächsten Jahr, liebes Gurtenfestival.
Homepage gurtenfestival.ch
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