Unter dem ungewöhnlichen Namen 206 haben sich vor einiger Zeit drei junge Herren aus Halle und Leipzig zusammengetan, deren Musik gekonnt Wave-, Grunge- und Punk-Elemente kombiniert und gleichzeitig den Nerv der Zeit trifft. Mit ihren intensiven Shows konnten sie bereits auf einigen größeren Festivals und Konzerten in den letzten zwei Jahren auf sich aufmerksam machen. Nun werden sie in Hamburg ihr erstes Studioalbum aufnehmen. Wir trafen uns aus diesem Anlass mit Sänger Timm zum Gespräch.
Wie lange gibt es denn eure Bands jetzt schon in der Form?
Timm: Mit den Leuten bin ich jetzt seit der Fusion im letzten Jahr unterwegs. Wir haben dann angefangen auf ein paar Festivals zu spielen und waren dann viel mit Turbostaat untwegs. Wir haben auch einmal mit The International Noice Conspiracy und mit The Kills gespielt. Seitdem wir in der Bandkonstellation spielen, sind wir eigentlich ziemlich viel unterwegs. Aber momentan geben wir allgemein nicht so viel Konzerte, da jetzt die Aufnahme unseres ersten Albums anstehen.
Dieses Jahr werdet ihr ja noch auf dem Reeperbahn Festival spielen.
Timm: Ja, genau. Ich kenne das gar nicht. Seitdem wir unterwegs sind, bin ich selbst auch echt selten auf Konzerten. Ich war noch nie groß auf Festivals und bin auch nicht so der Freund davon. Ich bin da überfordert, von den ganzen Leuten, von den Bands, von den Drogen. Das ist nicht so mein Ding. Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass die Leute, die auf Festivals gehen, dass als Freikarte sehen, um einmal im Jahr abzudrehen. Das finde ich ein bisschen unheimlich. Das soll nicht arrogant klingen, aber ich könnte das auch gar nicht so, so einmal konzentriert ausflippen. Betten sind außerdem viel besser als Zelte, ich kann Zelten überhaupt nicht ausstehen.
Aber das ist so ein typisches Ding unserer Zeit, was ich unheimlich finde: dieses Ballerman-Feeling. Ich finde auch zum Beispiel das Internet total unheimlich. Wenn ich im Internet bin, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich so derbe mit Werbung zugeballert werde.
206 – HALLO HÖLLE
[audio:https://mainstage.de/wp-content/uploads/2009/08/06-hallo-holle.mp3]Du hast das die Aufnahmen zu eurem ersten Album schon angesprochen. Habt ihr von Anfang an geplant, ein Album aufzunehmen?
Timm: Wir haben das schon länger geplant, ja. Wir werden Ende September anfangen mit den Aufnahmen und dann hoffe ich, dass es im frühen Jahr 2010 veröffentlicht wird. Wir haben auf einem Konzert in Hamburg einen Produzenten kennen gelernt, von dem wir überzeugt sind, dass er unsere Vorstellung von Musik, wie wir sie machen, teilt.
Kannst du schon Näheres zur Platte verraten?
Timm: Die Songs stehen zu achtzig Prozent fest. Wir haben viel geschrieben und haben die Songs schon fertig. Es werden sicherlich noch ein paar dazu kommen, aber auf jeden Fall werden die Sachen von unserer Demo drauf sein. Die werden wir jetzt natürlich noch einmal neu machen. Es ist einfach wichtig für mich, durch die Platte mit den Songs abzuschließen, die ich schon über eins, zwei Jahre mit mir herumtrage, weil ich natürlich auch weiter bin und schon an neuen Sachen schreibe.
Ist es für dich eine Möglichkeit mit der Veröffentlichung Platz für Neues zu schaffen?
Timm: Genau. Ich schreibe ja auch schon neue Sachen. Ich stehe natürlich auch mit den Songs, die ich früher geschrieben habe, heute in einer anderen Beziehung. Ich spiele die Sachen heute anders. Ich weiß nicht, ob es dadurch intensiver wird oder ähnliches. Man wird sicherer, es geht dir in Fleisch und Blut über. Andererseits frage ich mich, ob es dann noch authentisch ist. Deswegen wird es jetzt einfach Zeit, dass wir die Platte aufnehmen.
Ist es dir wichtig, authentisch zu sein, beziehungsweise die Songs aus einem Gefühl heraus zu machen?
Timm: Meiner Meinung nach geht das ja nicht anders. Wie soll ich das denn anders Musik machen? Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen, als aus einem Gefühl heraus. Da gibt es für mich gar keine Alternative.
Es gibt ja schon Künstler, die das Authentische ablehnen.
Timm: Viele Leute verwechseln glaube ich eine Art von Schnoddrigkeit mit Authentizität. Authentizität bedeutet nicht, dass ich mich auf der Bühne mal verspiele oder das mal etwas nicht so gut klingt. Authentizität bedeutet, dass du das, was du machst vollkommen machst und nichts anderes. Aber natürlich machen wir auch unseren Job und es ist auch nicht jeder Auftritt gleich intensiv.
Na ja, ich denke es ist schon ein Unterschied, wenn man auch mal zugibt, dass man manchmal auch einfach keine Lust hat zu spielen, weil es eben ein Job ist.
Timm: Das kenne ich so aber nicht, also „kein Bock“ gibt es bei mir nicht. Spielen ist alles, was ich kann. Es geht eher darum, dass wir als Band keine Lust haben, jeden Abend auszurasten. So etwas meine ich. Du bist halt den einen Abend mal so und den anderen mal so. Aber „kein Bock“ gibt es nicht. Was bleibt uns anderes übrig, als das zu machen? Für mich hat das mit einer Art Unabdingbarkeit zu tun, dass ich das mache.
Schreibst du eure Songs eigentlich alleine oder wie entwickelt sich das in eurer Band?
Timm: Ja, ich schreibe die Texte und die Songs zuhause und dann machen wir daraus etwas im Proberaum. Also, es gibt dann so eine Grundstruktur als Demoaufnahme und dann spielen wir es einfach. Wir verfahren so, dass wir Songs relativ schnell ins Live-Programm aufnehmen, nach zwei, drei Proben. Wir probieren dann einfach erstmal aus und dann arbeiten wir weiter daran. Dieser Prozess wird sich in nächster Zeit vielleicht etwas ändern. Daran habe ich auch Interesse, also dass eine Phase kommt, wo du dich wirklich erstmal intensiv mit den Songs beschäftigst und sie ausformulierst, bevor du sie live spielst.
206 – BAADER
[audio:https://mainstage.de/wp-content/uploads/2009/08/01-baader.mp3]Ihr habt einen Song names „Baader“ aufgenommen? Ganz plump gefragt: Für Baader, gegen Baader – oder weder noch?
Timm: Es ist weder ein Lied dafür noch dagegen. Es war einfach die Grundidee, das Wort zu benutzen. Außerdem lässt sich das Wort gut schreien. Es ist eher so fragend gemeint, im Sinne: Wo ist das heute hin, was heißt das heute? Es geht um ein kritisches Betrachten der Jugendsituation heute und nicht um die politischen Ziele irgendeiner Terrororganisation, das interessiert mich auch gar nicht so. Ich sehe in der RAF eher den Popappeal und habe eben deshalb daraus einen Song gemacht.
Aber ihr spielt ja auch an solchen Orten wie dem Besetztes Haus. Das ist schon so die Umgebung, in der ihr euch verorten würdet oder wohl fühlt?
Timm: Ja, keine Frage. Das sind total nette Leute. Im Besetzten Haus in Erfurt haben wir als letzte Band auf dem letzten Festival gespielt und zwei Tage später wurde es abgerissen. Ich habe dann zwei Wochen später noch mal alleine in Erfurt gespielt und wir sind dort vorbeigekommen und das Gelände war komplett weg. Das ist auch wieder so eine unheimliche Sache. So etwas beschäftigt mich. Ich war an einem Ort, mit dem ich Erinnerungen verbinde und zwei Wochen später existiert der nicht mehr. Das erzeugt ein total merkwürdiges Gefühl in mir. Solche Sachen beeinflussen mich. Ich bin aber nicht der Freund von direkt agitatorischen Songs, der das jetzt direkt, mit politisch Slogans in songs ausdrücken würde. Ich finde es besser, ein Gefühl rüberzubringen, was zwar eindeutig ist, das aber jeder in seine eigene Sprache übersetzen kann. Ich will schon bewusst ein Gefühl erzeugen, aber es irgendwie codierter machen.
Der „politische Song“ kommt für euch nicht infrage?
Timm: Durch die Überflutung von Messages und Eindrücken bringt glaube ich das alte Ideal vom krassen, aufrüttelnden Song, der was direkt anspricht, nichts mehr. Ich möchte andere Wege finden, Leuten etwas mitzuteilen. Zum Beispiel eben eher über das Gefühl. Der Begriff Gefühl ist extrem vorbelastet. Für mich bedeutet es nicht leise und ruhig, schmachtend oder wimmernd und solche Dinge, sondern lediglich, dass es intensiv ist. Ich glaube heute wird es uns nicht leicht gemacht, Gefühle zu äußern, weil man ständig mit vermeintlichen Gefühlen konfrontiert ist und Probleme werden einfach mit vermeintlichem Feiern verdrängt oder besser: weggefeiert. Das soll nicht heißen, dass ich nicht feiere, aber viele Leute feiern einfach mit einer sehr konsumorientierten Haltung, wenns eigentlich nichts zu feiern gibt. Auch bei Konzerten ist das manchmal so ganz komisch, ich finde das schon krass, wie die Leute manchmal beinahe gaffen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Leute nicht so richtig wissen, wie sie bei uns reagieren sollen und verstehe manchmal nicht, warum sie so starren. Irgendwie hat sich die Konzertrezeption seit der ganzen neuen welle von Electro-Musik so verändert. Mittlerweile unterscheiden die Leute so zwischen: Electro = Tanzen, Konzert = Anschauen. Das finde unheimlich bis blöd.
Vielleicht hat es auch mit der Art eurer Musik zutun, die ja erstmal sperrig oder zumindest nicht leicht greifbar und fröhlich ist. Diesen Wave-Aspekt, den man bei euch natürlich raushört, schafft ja manchmal auch eine gewisse Distanz.
Timm: Ja, New Wave ist natürlich etwas, was uns stark beeinflusst hat. Aber das ist eben auch nur eine Sache mit den Eighties. Natürlich sind so Bands wie Joy Division oder Bauhaus und die genialen Wire aufgrund ihrer Klarheit total spannend. Es gehören aber genauso Sachen wie The Melvins, My Bloody Valentine oder Bruce Springsteen, dazu. Was aktuelle Musik betrifft sehe ich im Moment eine Art Stillstand in der Form, Performance und Rezeption, irgendwas fehlt mir da. The xx finde ich interessant. Aber um nochmal auf die Konzerte zu sprechen zu kommen: Meine Vorstellung von einem guten Konzert ist, dass du eine Auszeit von deinem Alltag hast, aber eben keine Auszeit des Ausklinkens, sondern du schaust dir etwas an und im besten Falle entsteht ein gefühl von gegenseitigem austausch, verständins und geborgenheit. Ich mache die Musik ja nicht nur für mich, sondern auch mit dem Ziel, etwas für andere zu bewegen.
Vielen Dank für das Interview!