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Neujahrsansprache

Na gut, das neue Jahr ist auch schon wieder fast eine Woche alt, trotzdem an dieser Stelle einmal die Mainstage-Neujahrsansprache, gesprochen von Claus Grabke und Jens Gössling (beide Thumb). Diese Passage stammt noch aus unserem Interview im November, ist aber so umfassend geworden, dass man sie als eigenständigen Text nehmen kann. Es folgt: Eine Bestandsaufnahme der deutschen Musikszene. Und falls wir uns nicht mehr sehen: Frohes Fest und einen guten Rutsch!

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Möchtet ihr mal einen Blick in die Zukunft werfen? Was denkt ihr, wohin Deutschland gerade musikalisch unterwegs ist?
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Claus: Die Leute machen viel zu oft Musik – nicht nur in Deutschland, sondern auch international – nur noch, um einen Musikgeschmack zu bedienen und nicht mehr Musik, um einen Musikgeschmack zu kreieren. Wir haben eben im Auto "Menschmaschine" von Kraftwerk gehört, das ist von 1978 und das sampeln die Leute jetzt noch wie bescheuert. Das war so 'ne Band, die einfach irgendwann gesagt hat, ihr könnt uns alle am Arsch lecken. Das war so 'ne Krautrockband, die haben mit Querflöte auf der Bühne gestanden und auf einmal machen Sie ein Album nur mit Computern und Sequenzern und so. Das gibt's einfach viel zu wenig, dass Leute das Risiko eingehen, mal was eigenes zu schaffen und sich die Mühe machen, ein textliches und musikalisches Ereignis zu schaffen. Heutzutage wird viel zu schnell gesagt, wir brauchen irgendwie ein Lied in dem und dem Stil und jemand bedient das dann, das ist leider so.

Jens: Es gibt so'n gewisses Forum an gewisser geistloser, inhaltsloser Musik, die auch immer ein Publikum findet – wobei ich dann auch sagen muss, dass das Publikum, was das dann konsumiert, vielleicht ähnlich geistlos ist wie die Musik. Und das wird es immer geben, das wird halt immer mit verschiedenen Künstlern gefüllt. Das war vielleicht damals weiß ich nicht was, das ist heute vielleicht 'Hey Baby' von DJ Ötzi. Das ist so'n Forum, so'n Pool, so ein No-Brain-Pool – und den wird es immer geben. Aber nebenher glaube ich, die Kreativität stirbt wirklich langsam, weil die Leute wirklich versuchen, in irgendwelche Fußstapfen zu treten, anstatt einfach mal – wie jetzt zum Beispiel an dem Beispiel Kraftwerk – zu sagen "wir scheißen jetzt mal auf alle Fußstapfen, vielleicht kauft es ja keiner, vielleicht interessiert's keinen Menschen, aber wir machen das jetzt einfach mal so", sondern man würfelt sich irgendwas zusammen und es gibt nur noch Interpretation und keine Innovation mehr. Die Leute interpretieren den und den Stil neu, groß Innovation ist da nicht mehr bei. Ich meine, klar, wir haben den Rock n' Roll auch nicht neu erfunden, keine der Bands, die auch vielleicht auf diesem Package sind, haben den Rock n' Roll erfunden, aber irgendwie findet man da doch so 'ne Niesche und wenn du dihc wirklich objektiv umhörst, gerade in den Charts oder so, wirst du keine Band finden – oder wenig – wo du sagst, die steh'n für'n Stil, also die haben was erfunden.

Claus: Wenn irgendwer sagt: "der und der neue Trend ist jetzt twostep", dann gibt's halt tausend neue twostep-Bands. Als ich groß geworden bin, da gab's halt irgendwie Rock und Pop und alles, egal wie es klang, David Bowie war Rock und Deep Purple war Rock. Heutzutage müsste man da direkt 'ne Schublade aufmachen. Es gibt unglaublich viele Sparten und dann gibt's auch sauviele Leute, die dann sagen "Ey, ich hör' nur twostep, alter". Ich für meinen Teil hab' eine große Schublade im Kopf und das ist 'Musik'. Ich höre von Maria Colors über Elvis Presley, über die Beatles, über die Beach Boys bis hin zu Foo Fighters, Refused und International Noise Conspiracy und weiß der Henker was, ich hörre alles! Alles macht an irgend einem Punkt meines Tagesablaufs Sinn, mal will ich rocken wie ein Schwein und bin der größte Rammstein-Fan der Welt, weil die einfach kompromißlos Gas geben – und im nächsten Moment mache ich mir "Dusty Springfield – Greatest Hits" an und höre mir "If you go away" an und denke 'wie geil ist es'.
Ich mein' so lange die Leute sich selber limitieren und das so nicht wollen, werden sie das bekommen. Ich sehe das so: Deutschland hat schon so was wie 'ne Identität bekommen, sehr stark durch den deutschen Hip Hop, der mit Sicherheit die Disziplin ist, die am meissten Qualitativ zugelegt hat. Deutschland ist durch dieses "Eurohouse"-Phänomen, was ja ganz stark aus Deutschland kam, auch so in dem Bereich hoch gekommen. Das heisst auch so in dem Bereich wird's weiterhin Leute geben, die Gas geben und die aus Deutschland kommen. Und Deutschland wird meiner Meinung nach im Pop sehr viel Gas geben, Richtung so "Popstars", diese Castinggeschichten, Bands, die gemacht werden, das wird noch stärker kommen. Es ist heutzutage nur noch Glückssache, ob eine innovative Band aus Deutschland kommt.
Ich finde das in dem Moment auch gar nicht schlimm, so lange es Entertainment ist. Take That war eine unglaublich gute Band und auch Robbie Williams ist auch jetzt als Solosänger wahnsinn, weil die können das einfach. Jetzt war gestern wieder diese Krone von Einslive, da blamieren sich die Deutschen Künstler einer nach dem anderen, weil sie einfach dieses Entertainment nicht können. Ich bin entweder Fan von abgefahrenen Sachen, die neu sind, wie At The Drive In oder wenn eine Band ihr Ding durchzieht wie Rammstein oder früher Alice Cooper oder David Boowie oder Kiss, aber ich find auch Pop und Entertainment geil, doch da müssen die Deutschen im Augenblick noch nachlegen, da gibt's nur Sasha im Moment in Deutschland, der da mithalten kann.
Ich bin da auch mal gespannt, was da passiert, ich denke, es wird insgesamt etwas belangloser werden alles.

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