Es wird viel geredet über die Technoszene allgemein und über Berlin im Speziellen. Nahezu jeder meint, sich darüber eine Meinung bilden zu können und zu müssen. Die vermeintlichen Kenner können die besten Clubs der Stadt im Handumdrehen aufzählen und waren bei den besten Parties sowieso immer dabei. Doch wie ist es wirklich, an dem Ganzen teilzunehmen? Was versteckt sich hinter dem Mysterium Berghain und dem Rausch der Berliner Nächte? Der Blogger Airen hat all dies in seinem Buch „Strobo“ niedergeschrieben.
Zu Beginn der bereits sehr stimmungsvolle Trailer zu „Strobo“:
„Doch genau das ist es. Das ist Techno: Noch einmal vorm Vergängnis blühn. Das ist mein Thema. Die Angst, mit der Unvernunft die Jugend ziehen zu lassen. Lass mich noch einmal vorm Vergängnis blühn, ein Teil einbauen, ein Gramm Pep ziehen, die Mucke hörn wie nie zuvor, tanzen für das Hier und Jetzt. Techno ist das plasmatische Moment, das alles Morgen und Vielleicht mit einem galanten Hauch beiseitestreift. Natürlich. Jetzt. Sound. Style.“
Der Autor Airen ist wirklich jemand, der weiß, was passiert. Jemand, der die Höhen und Tiefen der Technokultur miterlebt hat und der es wahrscheinlich besser als niemand anders versteht, all dies in Worte zu verpacken. Er lässt kein Detail in seinen Beschreibungen aus und man fühlt sich beim Lesen, als würde man diesen Kerl tatsächlich ziemlich gut kennen und bei jedem seiner Erlebnisse dabei sein. Und das, obwohl er an keiner Stelle seinen echten Namen und den seiner Freunde aufdeckt.
Es ist nicht so, dass Feierei alles ist, was das Leben von Airen zu bieten hat. Er hat einen anständigen Job, arbeitet als Unternehmensberater und versteht es, sich tagsüber dementsprechend zu verhalten. Anzug und Anstand sind für ihn kein Hürde. Aber trotzdem scheint es in seinem Leben nur eine wirkliche Konstante zu geben: Den Rausch der Nacht und die Faszination der Drogen. So schlägt er sich durch den tristen Alltag und nutzt jede freie Minute, um all das wieder zu vergessen. Vom Berghain ins Watergate zur privaten Kiffer-Party und wieder zurück. Ecstasy, Speed, Kokain, Ketamin, Heroin, GHB, Weed, Pilze sowie Alkohol und Zigaretten in rauen Mengen. Es gibt keine Droge, mit der Airen noch keine Erfahrungen gemacht hat. Sex mit Partnern beider Geschlechter – wenn nötig gegen Geld – steht ebenso auf dem Programm. Er beschreibt all dies mit einer Leidenschaft und Realitätsnähe, die ihresgleichen sucht. Doch er weiß ebenso von den Schattenseiten zu berichten. Von tagelangem Hangover, Angst vor Krankheiten, schlechtem Gewissen, enttäuschten Menschen, aufs Spiel gesetzten Freundschaften, Konfrontationen mit der Polizei – und dem Versuch, zwischen all dem einen kühlen Kopf zu bewahren.
Bei der elektronischen Musikszene verhält es sich doch so: Entweder man liebt es und verliert sich unweigerlich drin – oder man versteht es nicht und hegt Abscheu dafür. Und ganz ähnlich ist es auch bei diesem Buch. Wer sich in dem Dunstkreis bewegt, wird dieses Buch zu schätzen wissen. Ab und an kommt man sogar aus dem Grinsen nicht hinaus, weil man die Querverweise versteht und sich alles lebhaft vorstellen kann. Für all die, die dem Technorausch nichts abgewinnen können, wird dieses Geschichte vermutlich ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Doch wie man es auch dreht und wendet: So direkt hat noch niemand beschrieben, was hinter der Fassade passiert. Can you feel it?
VÖ: „Strobo“ erschien im Oktober 2010 im Ullstein Verlag.