Es hätte alles so schön werden können – so fangen viele Geschichten an. Auch diese, die, des Berlin Festivals 2010, fängt so an, nur ist sie keine Geschichte, eher ein Drama in fünf Akten.
1. Akt: In Memorandum Love Parade. So vieles hatte sich das Berlin Festival vorgenommen, besser zu machen. In der Umgebung des still gelegten, imposant beleuchteten Berliner Flughafen Tempelhofs, der kaum geeigneter für ein Open Air-Festival sein könnte, sollte vieles besser werden als es noch im letzten Jahr war. Kein lästiges Warten mehr auf dem kargen Betonboden, stattdessen mehr Sitzplätze. Mehr und anziehendere Indie- und Electroacts auf insgesamt drei, statt nur zwei Bühnen und ein Berlin Club Discofloor. Ganz ohne lästiges Zelt aufbauen, Stolpern über Heringe, Dosenfutter und nimmer müde werdende Campingnachbarn, dafür mit Festivalbändchen, statt sich immer wieder an langen, ungeduldigen Besucherschlangen mit seinem Ticket anstellen zu müssen. Und obendrein erstmalig die Berlin Music Week und die Popkomm mit an Bord. Nicht zu vergessen aber die wahrhaftig größte Neuerung an Bord, die 20.000, statt nur wie im Vorjahr 8.000 Menschen.
2. Akt: Pleiten, Pech und Pannen. Das vermehrte Aufgebot an Securities und die zunächst als reine Vorsichtsmaßnahme anmutenden Eingangsschleusen entpuppten sich als die Ausgeburt dieser Angst und zugleich als der Anfang allen Übels. Zweifelsohne aus Angst vor ähnlich desästrosen Ausmaßen wie bei der diesjährigen Düsseldorfer Love Parade, uns aus Funk und Fernsehen bekannt. Um der Überfüllung der Hangar entgegen zu wirken nämlich waren diese als „Massenvernichtungsmittel“ aufgestellt wurden. Obwohl nun die eigentlich friedlich gesinnten Massen von Hangar 4 ferngehalten, endete der Freitagabend jäh nach dem beeindruckenden, ordentlich wummsenden Auftritt der Hip-Hop-Electro-Combo Boemklatsch – ohne Fatboy Slim und 2manydjs, dafür mit einer unzufriedenen Meute Musiklüsterner.
Vielleicht ein Trost ist da, dass die Veranstalter des Berlin Festivals versprechen, ein Zusatzkonzert stattfinden zu lassen.
3. Akt: Schadensbegrenzungsversuche. Mit etwas Zornesröte im Gesicht und Wut im Bauch, aber frohen Mutes aus dem Samstag einen besseren Tag zu machen, pilgerte man nichtsahnend wieder gen Tempelhof. Noch vor dem Eingang warteten dann die an diesem Wochenende am meisten zu bemittleidensten, die freiwilligen Helfer des Berlin Festivals, die Zettel mit Presseerklärungen verteilten. Schnell machte sich so die böse Kunde davon breit, dass der Samstagabend schon um 23 Uhr enden würde, ohne Fatboy Slim und 2manydjs, dafür mit einer noch unzufriedenerer Meute Musiklüsterner.
Sich dessen bewusst, hatten die Veranstalter versucht in einem schier unmöglichem Kraftakt, alle Acts unterzubringen, Überschneidungen natürlich all inclusive. Ärgerlich aber war dabei, dass die handlichen neuen Line-Ups schon bald nicht mehr dem entsprachen, was einem vor die Nase gesetzt wurde. Ohne eine passende App zur Hand, sah man sich dann auf We Have Band wartend vor den Heidelberger Jungs von Sizarr, und in der verwirrten Masse herumfragend. Die profitierten von der zum Bersten gefüllten Halle und gewannen mit ihrem Electropoppigen, nach The Maccabees anmutedem Sound sicher den ein oder anderen Hörer. Noch ärgerlicher, und man dachte kaum, man könne es noch werden, war dann aber, dass nicht wie am Vortag noch Club Floors, zeitvertreibende Kicker- und Tischtennisplätze, und die beliebte Silent Disco für Feierwütige offen blieben, sondern der Bordstein vollends hochgeklappt wurde, und die erzürnte Menschenmasse auf das Berliner Nachtleben losgelassen wurde.
4. Akt: Die Wermuthstropfen. In diesem geballten Stimmungstief, das sich wie eine Gewitterwolke über dem eigentlich mit endsommerlichen Sonnenstrahlen gesegnetem Tempelhofer Flughafen breit machte, verlangte man mehr noch nach einzigartigen Musikerlebnissen als gewohnt. Deswegen letztendlich war man aus aller Welt angereist, und die gab es auch auf die Ohren. Gehörig.
Schon am frühen Freitagabend lieferten die Blood Red Shoes, Adam Green oder LCD Soundsystem tadellose Sets hin, die die Besucher auf noch frenetischere Acts einstimmen sollten. Besonders MIT, Caribou oder Goose sorgten für ein erstes Aufbegehren in den Hallen des Flughafen und heizten die Gemüter auf, die mit dem anschließenden imposanten Auftritt der Schwedin Robyn übersprudelten.
Das größte Highlight des freitäglichen Abends waren aller Erwartungen nach aber die Editors. Mit Herzblut verzapfte die Band um den stimmgewaltigen Tom Smith einen hingebungsvollen Auftritt, der das Publikum in seinen Bann zog und alle danach folgenden Strapazen vergessen lässt.
Am Samstag lösten dann Hot Chip und Boysnoize die Editors vom Wiedergutmachungsthron. Nachdem Soulwax die Bühne aufgewärmt und das richtige Feeling eingeleitet hatten, war es für die beiden Headliner des Sonnabends ein leichtes, den Missmut wett zu machen. Während auf der Mainstage der Bär steppte und Peaches mit einer Lasershow den Hanger erleuchte, gaben sich kleinere Acts wie Lali Puna oder Seabear damit zufrieden, in ruhigeren Tönen Wohlwollen zu verbreiten. Mit Erfolg!
Und wen das nicht begeistern konnte, den hat es zwischendurch – unter dem Gelächter der (feigen) Beobachter – wieder und wieder in die Kopfhörerdisko gezogen.
5. Akt: Schuld und Sühne. Mit dem kennenden Blick auf das letzte Jahr, steht man dieses Jahr im Regen, was einen nostalgischen Blick zurück an geht. Abruptes Endenlassen zweier Abende in Folge, ein somit verkürztes Festival und Ausfälle und lästige Überschneidungen im Line-Up tragen tendenziell wenig dazu bei, bei dem Gedanken an dieses Festival ein Lächeln in die Gesichter seiner Besucher zu zaubern. Man weiß eben, was das Berlin Festival kann und will, denn das Konzept ist einzigartig und unverwechselbar und verspricht geradezu, ein Erfolg zu werden.
Zurecht kann man wohl auf die Organisation des diesjährigen Berlin Festivals schimpfen, keinesfalls aber auch das Line-Up, die Musikacts und die Menschen, die sich von überall her zusammen fanden, um gemeinsam in der Hauptstadt des Landes der Musikleidenschaft zu frönen. Zu wünschen wär es einem Festival wie diesem, dass es sich den alten Zeiten besinnt. Zwar ist ein restlos ausverkauftes Festival der Traum eines jeden Veranstalters, andererseits aber geht eine Menge Flair und Charme damit verloren. Nachdem der allgemeine Zorn verflogen ist, sollte man gespannt sein darauf, was sich die Macher dieser urbanen Einzigartigkeit für uns ausgedacht haben, und in petto halten. Denn so viel ist klar, um wieder seine Festivalbesucher im nächsten Jahr anzulocken, muss das Berlin Festival gehörig auftrumpfen, was das Aufgebot an Musik angeht, was aber die Besucherzahlen anbelangt, sollte man wohl wieder einen Gang zurück schalten, der Leidenschaft zu Liebe.