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Blixa Bargeld – Europa kreuzweise. Eine Litanei (Rezension & Lesung)

Blixa Bargeld - Europa kreuzweise Mit „Europa kreuzweise“ erschien Mitte Januar diesen Jahres „eine Litanei“ aus der Feder Blixa Bargelds. Die zwei Monate der vergangenen Konzert-Tournee der Berliner Band Einstürzende Neubauten waren dem Sänger und Texter Raum genug, um ebenso eindrückliche wie monotone Begegebenheiten der Reise nieder zu schreiben. Anlässlich der Leipziger Buchmesse stellte Bargeld seine „Idiotennovelle“ in einer Lesung in der ausverkauften Skala des Leipziger Centraltheaters am 12. März erneut vor.

„Das ist kein Tour-Tagebuch“, verkündigt Bargeld am Ende der Lesung in der Leipziger Skala mit Nachdruck. „Mindestens fünfzig Prozent der Sachen sind frei erfunden.“ Das wirkte beim ersten Lesen, respektive Hören ganz anders: So kugelte sich das Publikum als Bargeld vom Speed-süchtigen Rocko Schamoni berichtete, den er vor dem Konzert in Hamburg getroffen habe.

Der ist ja wohl voll drauf. Trotzdem genieße ich die Situation, er hat so einen unvergleichlichen Körpergeruch, die Drogen und der Stress erzeugen eine äußerst originelle Schweißnote mit flirrenden Kampfersequenzen, einer Fahne aus Erdnussöl und einer tiefen, kotigen Bassnote. Allein dafür lohnt es sich gekommen zu sein.

Wie sich herausstellte, ist diese Passage, die hier ausschnitthaft zitiert wird, von Schamoni selbst geschrieben worden. Man ließ in dieser Art mehrere diverse Begegnungen im Buch von den Gesprächspartnern selbst entwerfen. Sie sollten dabei aus der Sicht Bargelds schreiben.

So charmant spröde wie das Buch gestaltet sich auch Bargelds Lesung: Der bereitgestellte altmodische Erzählersessel ist ihm zuwider, so wie das Genre Lesung im Allgmeinen. Aus einem Buch wir deshalb nicht gelesen, der Stuhl ausgetauscht. Der kurzsichtige Bargeld habe sich eine „Teleprompter-Software“ auf den PC geladen, um nun im Stehen und mit freier Hand mehr als den halben Text, der in großen Lettern schnell vorbeirauscht, vorzutragen. Und das wird im Eiltempo und ohne jeglichen Tand und ohne emotionale Ausschweifungen quasi „erledigt“. Ein-, zweimal wird für einen Schluck Weißwein unterbrochen.

Das Buch beweist zunächst einmal mehr: Bargeld ist kein Anarchist mehr, zumindest nicht äußerlich oder seinem Lebensstil nach zu urteilen. Vielmehr liegt hier ein „Bildungsroman in der erst besten Person“ vor, der einen stilvollen Hedonisten vermuten lässt. Das heißt im Klartext: Restaurants, Restaurants, Restaurants. Sechs-Gänge-Menüs, mal Seezunge, mal Tagliatelle mit Trüffeln, Spaghetti mit Seeigel. Dazwischen werden Schuhe in Italien gekauft. Bargeld ist also nicht vom vielen Drogen- und Bierkonsum so aufgedunsen und kugelrund geworden, sondern durch Fünf-Sterne-Küche. Oder etwa beides?

Doch „Europa kreuzweise“ bietet auch immer wieder andere heitere Stellen. Berichte von gescheiterten Konzerten in der Tschechischen Republik, Anekdoten aus dem mafiösen Russland, verwunderliche Erlebnisse mit dem Bundespräsidenten – Eindrücke aus den verschiedenen Tour-Ländern. Und immer wieder die zwei gleichen Fragen: „What’s the name of the band? What kind of music?“ Die Antworten sind klar: „Boy / Pop“

Mit dieser mehr oder minder auf wahren Begebenheiten beruhenden „Litanei“ hat der wortgewandte Bargeld mit Sicherheit keinen „philosophischen Essay“ geschrieben, wie auf der Buchmesse schmunzelnder Weise behauptet. Es bleibt viel mehr ein lakonisch-sarkastisches und kurzweiliges Tourtagebuch mit vielen Kunstgriffen und spannenden Wortspielereien – aber ein gutes! Am Ende gesteht Bargeld: „Verstehen Sie mich nicht falsch: I Love Europe“

Europa kreuzweise“ erschien am 15. Januar 2009 im Residenz Verlag.

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