Laut ihrer Verlagswerbung bricht Charlotte Roche mit ihrem Debütroman „Feuchtgebiete“ „zu den letzten Tabus der Gegenwart“ auf. Ob dies nun allerdings ein Qualitätsnachweis ist, sei dahingestellt. Helen landet nach einer missglückten Intimrasur in der Inneren Abteilung von Maria Hilf, wo die Geschichte ihren Lauf nimmt. Während sie darauf wartet, dass ihre Eltern sie besuchen (die sie, wie man direkt zu Beginn erfährt, später in ein und demselben Bett pflegen wird, um sie wenigstens dann wieder zusammenzuführen) und Gespräche mit Professoren und Ärzten führt, die ihr erklären, wie man eine Analfissur operiert, erzählt sie munter aus ihrem Leben. Besonders aus ihrem Sexualleben.
Bereits das zweite Kapitel beginnt mit dem Satz „Hygiene wird bei mir kleingeschrieben“, und davon, dass das keine Übertreibung ist, kann man sich auf allen folgenden Seiten überzeugen.
„Ich habe schon bei vielen Dingen, die mir beigebracht wurden, festgestellt, dass die gar nicht stimmen. Also habe ich mich zu einem lebenden Muschihygieneselbstexperiment gemacht. Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen. Ich wische sie auch vor dem Hinsetzen mit meiner Muschi in einer kunstvoll geschwungenen Hüftbewegung einmal komplett im Kreis sauber. Wenn ich mit der Muschi auf der Klobrille ansetze, gibt es ein schönes schmatzendes Geräusch und alle fremden Schamhaare, Tropfen, Flecken und Pfützen jeder Farbe und Konsistenz werden von meiner Muschi aufgesogen. Das mache ich jetzt schon seit vier Jahren auf jeder Toilette. Am liebsten an Raststätten, wo es für Männer und Frauen nur eine Toilette gibt. Und ich habe noch nie einen einzigen Pilz gehabt. Das kann mein Frauenarzt Dr. Bökert bestätigen.“
Neben den intimhygienetechnischen Vorlieben der Protagonistin erfährt man in wenigen Rückblicken nicht nur, dass Helen eine Drogenkarriere hinter sich hat, sondern auch, dass sie unter der Trennung ihrer Eltern auch heute noch leidet. Nachdem die Aktion, die beiden durch ihren Krankenhausaufenthalt zusammenzubringen, scheitert, beschließt Helen kurzerhand, sich in Krankenpfleger Robin zu verlieben und bei ihm einzuziehen.
Damit erfüllt sie einmal mehr ihren eigenen Leitsatz „Jeder ist besser als keiner“.
Und dies bleibt auch das einzige magere Fazit, das der geneigte Leser aus dem Buch mitnehmen kann.
Nur an wenigen Stellen bemerkt man, dass Charlotte Roche ganz anders könnte, als man es hier schwarz auf weiß liest. So zum Beispiel, wenn Helen davon erzählt, wie sie als Kind beobachtet hat, dass ihre Mutter sich selbst und Helens Bruder töten wollte, und wie sie ihre Familie im letzten Moment gerettet hat.
Diese wenigen tiefgründigeren Passagen und der deftige Ton täuschen dennoch nicht über die begrenzten literarischen Mittel und den geringen sprachlichen Aufwand hinweg.
Sicherlich alles in sich stimmig, aber Trash-Humor und Splatter-Aspekte reichen nun mal nicht, um einem Buch zu Originalität zu verhelfen. In diesem Fall wird eher der Eindruck erzeugt, möglichst plakativ ekelig zu sein. Der Platz eins der Bestsellerliste ist da wohl eher dem Medien-Hype zu verdanken. Wer weiß, vielleicht hat man von Frau Roche beim nächsten Buch ja mehr zu erwarten.
Charlotte Roche – Feuchtgebiete
Dumont 2008
ISBN 978-3-8321-8057-7
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