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Die Philosophie, anders zu sein

Bethlehem haben mich mit ihrem aktuellen Album „Mein Weg“ zugleich
erstaunt und verzückt. Wer versucht, in die lyrische Welt von Texter
und Bassist Jürgen Bartsch einzutauchen, wird tief Luft holen müssen,
um nicht vorzeitig abzusaufen: Bleibt die düstere Musik noch nachvollziehbar,
so erweisen sich die Texte als schwer zugänglich und kryptisch. Im E-Mail-Interview
erläuterte der kreative Kopf jedoch weitgehend verständlich seine
Intentionen und ließ es auch an Presse-Kritik nicht mangeln.

Für alle, die Eure vorhergehenden Alben nicht kennen: Was unterscheidet
„Mein Weg“ musikalisch und bezüglich der Herangehensweise von
Euren zurückliegenden Veröffentlichungen?
Die Herangehensweise ist immer noch die gleiche wie früher.
Ich schmeiße zumeist ein paar Basslicks in die Runde, wir probieren ein
bißchen rum und fertig ist. Großartige Überlegungen oder Konzeptionen
haben bei unserem Songwriting noch niemals eine Rolle gespielt, wir spielen
einfach drauflos und heraus kommt Musik, direkt aus dem Herz und der Seele.
Wir sind eine absolut spontane Band, definitiv keine Frickler oder so. Wir
finden, dass spontane Musik immer noch am erfrischendsten klingt und auch
viel ehrlicher dargeboten wird, als konstruierte Reißbrettsongs, die
sich so oft an der oder der Band, Stilrichtung, Mode, was auch immer orientieren.
„Mein Weg“ unterlag mal wieder unserer absoluten Spielfreude, dem Spaß
an der eigenen Sache. Wir lieben halt unsere Musik, machen einfach das, was
wir wollen, und zerbrechen uns nicht wochenlang den Kopf darüber, ob
dies oder jenes gut bei den Leuten ankommt oder nicht. Bethlehem steht sich
selbst ehrlich gegenüber und dabei wird’s auch bleiben. Selbst im Studio
produziere ich nicht wochenlang an den Songs und Sounds herum, sondern bringe
vielmehr meine Spontanität und Erfahrung zum Einsatz, meine wichtigste
Waffe im Kampf gegen eingeschlafene Füße.
Diese Philosophie „anders zu sein“ stammt noch aus den Gründungszeiten
und es fiel uns anfänglich recht schwer, die Klippen der üblichen
Standards zu umschiffen. Mitunter vielleicht zu sehr, denn gerade im Studio
wurde es zu Beginn recht krampfig und auch recht schwierig, immer das etwas
andere Arangement oder den unüblichen Songaufbau zu finden. Im Laufe
der Zeit fiel das aber immer leichter und automatisierte sich irendwann mal.
Heute sind wir persönlich sehr froh darüber, diesen Weg gegangen
zu sein, auch oder gerade wenn eine solche Herangehensweise sehr, sehr
stark polarisiert bzw. einige gar nichts damit anfangen können, da sie
ihren ach so geliebten Einheitsbrei in unseren Songs nicht wiederfinden. Gerade
hier in unseren Landen wird ja bekanntlich sehr viel Wert auf das Widerkäuen
gelegt, neue Ideen werden sehr schnell mit diesen aberwitzigen Vergleichen
ala Rammstein oder ähnlichem Dünnpfiff abgetan. Was der Bauer nicht
kennt, das frißt er nicht! In Deutschland schon gar nicht. Man höre
sich doch einfach nur diese ganzen, unzähligen Hochglanzheft-Sampler
an. Mann, da kriegste ja das kalte Grausen.

Wie lange habt Ihr an dem Album insgesamt gearbeitet?
Ungefähr zwölf Proben lang. Den Rest habe ich während
der dreiwöchigen Recording-, Mixing- und Mastering-Session im Studio produziert.

Wer schreibt die Texte und – natürlich! – woher nehmt Ihr die
Ideen dafür? Gibt es einen „Interpretationsschlüssel“ oder fehlt Euch
vielleicht selbst eine konkrete Erklärung? Bei „Mein Weg“ habe
ich mich ziemlich oft ernsthaft gefragt „über was zur Hölle singt
der da …“ !? – Und das geht sicherlich auch anderen so.

Natürlich machen meine Texte Sinn für mich, schließlich
bin ich es, der sich in den Texten widerspiegelt. Um mir das Geschehene, meine
Visionen, mein Erlebtes begreiflich machen zu können, greife ich gerne
auf metaphorische Bildergeschichten zurück, die in einer Art „Film“ vor
mir ablaufen, während ich diese, meine Gedanken zu Papier bringe. Nur so
ist es mir möglich, mich nicht in diesem mitunter immensen Ansturm meiner
facettenartigen Gedanken zu verlieren. Um eine solche Bilderflut zu Papier bringen
zu wollen, müßte mann schon Data´s Hände besitzen. Es ist
ein wenig wie Mathematik; ich abstrahiere diverse Kapitel meines Lebens in einfache
Sätze, welche in der Summe wiederum die Kapitel ergeben und umgekehrt.
Sicherlich mag eine solche Herangehensweise für viele ein Mysterium
darstellen, dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass vieles von dem
schriftlich Dargebotenen eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt und durchaus
interpretierbar ist. In einer solchen Art und Weise, dass sich viele andere
Menschen darin wiederfinden können (und bereits konnten) und sich ihren
Anteil daran zu Nutze machen. Diese Anteile sind unterschiedlichster Natur,
zum einen gereichen sie dem Suizid-Gefährdeten, zum anderen den Lebensgierigen.
Diesbezügliche Danksagungen tendierten bereits vom tiefschwarzen Blues
bis weit hinauf ins gleißende Licht. Allerdings muss man diese Auseinandersetzung
auch wollen und sich intensiv mit diesen Texten beschäftigen, einfach mach
ich’s den Leuten echt nicht. Man muss schon ein wenig Bereitschaft zum eigenen
Denken besitzen, für gedankliche Grobmotoriker ist das überhaupt
nichts und die sollten lieber auf alte Sodom-Texte zurückgreifen und Bethlehem
auch weiterhin als Schwachsinn abtun.

Wie wichtig sind Euch selbst die Texte, die in meinen Augen einen
Großteil der Faszination von „Mein Weg“ ausmachen?

Sehr wichtig.

Gibt es Bands, die Euch inspirieren, musikalisch wie auch textlich?
Zumindest auf den ersten Blick sind ja Ähnlichkeiten zu Eisregen oder auch
Samsas Traum vorhanden … (?)

Vielmehr ist es andersherum der Fall, sagen z.B. Eisregen selbst. Samsas
Traum sagt uns überhaupt nichts. Textlich und musikalisch sind wir seit
unserem ersten Demo 1992 mit unserer ganz eigenen Machart unterwegs, da gab’s
diese von dir genannten Bands noch gar nicht. Bethlehem gibt’s seit 1991 und
unsere damaligen Inspirationen waren Dark Throne, Beherit, Impaled Nazarene
und My Dying Bride.

Die Stimmung des Albums ist sehr melancholisch, um nicht zu sagen
depressiv. Ist das typisch für Eure Musik, wenn ja, warum
?
Es fällt uns zunehmend schwerer, externe Interpretationen unserer
Musik zu interpretieren. Das sollte jeder für sich selbst tun, indem er/sie
die Scheibe hört und sich ggf. selbst fragt, warum er/sie auf solche Mucke
abfährt oder nicht. Wir machen unsere Musik, weil wir das so wollen. Die
Interpretation unserer Werke obliegt nach wie vor anderen. Für uns gibt
es kein „warum?“.

Was hat Euch zu der Coverversion von Sinatras „My Way“
bewogen?
(-Toller Gesang übrigens! Nimmt Euer Sänger Gesangsunterricht?)
Der Song passt zum Titel des Albums, aber gab es da noch mehr Gründe? Und
wie / mit wem habt Ihr den Titel so wunderbar klassisch aufgenommen?
Ja, unser Gastsänger hat eine klassiche Gesangsausbildung hinter
sich. Aufgenommen wurde „My Way“ mit unserem Gastpianisten Andreas Teckath,
mit Ulf Theodor Schwadorf von „The Vision Bleak“, mit mir selbst, unserem Drummer
Steve Wolz und mit unserem Gastsänger Guido Meyer de Voltaire. Mit z.B.
Frank Sinatra- oder Robbie Williams-Songs hat sich Gudio vor den Aufnahmen warmgesungen
und die Sinatra „Aufwärm“-Version gefiel mir so gut, dass ich mich spontan
dazu entschloss, eine Version des Songs mit auf die CD zu packen. „My Way“ paßte
auch ganz gut zum Titel des Albums, also war’s meiner Meinung nach ’ne klasse
Idee für ’nen Hidden Track, der jetzt allerdings auch nicht mehr sonderlich
hidden ist, weil er bereits überall plattgewalzt wurde.

Aus welcher Motivation heraus habt Ihr deutsche Texte?
Die ersten zwei Demos, die erste 7″ -thy pale dominion- und die Debut-Scheibe
(bis auf einen Song in Deutsch) -Dark Metal- waren englischsprachig. Was äußerst
abturnend war, da ich immense Schwierigkeiten damit hatte, meine deutschen Texte
in den richtigen, englischen Kontext zu bringen. Aus diesem Grund lag es einfach
nahe, meine deutschen Texte auch in unserer Muttersprache zu belassen.

Was macht Ihr neben Bethlehem? Habt Ihr noch weitere Bands oder Projekte?
Ich selbst habe mein eigenes STAHLMANTEL Project mit Marco Kehren von
Deinonychus und RT (ex-Bethlehem). Ist völlig durchgeknallte Electro-Mucke,
eiskalt, verstörend, geisteskrank. Stevo spielt noch Schlagzeug bei IMPERIA
und A-RISE, Eckhardt hat -glaub ich- momentan keine anderen Projekte.

Wie waren die bisherigen Reaktionen auf Euer neues Album?
Überwältigend! Einfach nur überwältigend. Entgegen
unserer eigentlich recht starken Polarisation bzgl. unserer Alben im allgemeinen,
liegt das Hauptgewicht diesmal bei Himmelhochjauchzend in den siebten Himmel
lobend“. Noch niemals zuvor haben wir derart positive Reaktion auf eines unserer
Alben bekommen, es ist schon nahezu beängstigend. Auch wenn dir manche
von diesen Liebeserklärungen runtergehn wie Öl. Doch Bethlehem wäre
nicht Bethlehem, wenn’s nicht auch vereinzelt noch ein paar von diesen superoberflächlichen
Rezensionen gäbe, die dir einfach solche oberdämlichen und völlig
unpassenden Vergleiche ala Rammstein vor den Latz knallen und klar durchblicken
lassen, dass sie sich aber auch Null mit deiner Mucke beschäftigt haben.
Und somit lieber ihre peinlichen Vorlieben für Pop-Musik zum Ausdruck bringen,
‚türlich immer unter dem Deckmäntelchen des „Defender of Metal“ oder
ähnlichem Bullshit.
Letzlich sehen wir die ganze Sache so: Ob man sich nun über Rezensionen
freut oder ärgert, entscheidend ist nach wie vor, dass man das, was man
sich auf die eigene Fahne geschrieben hat, selbst noch am allermeisten vertreten
kann und bereit ist, dafür auch jederzeit einzustehen. Das ist das Einzige,
was nach wie von Bedeutung ist. Alles andere ist blanke Makulatur und vom Prinzip
auch überhaupt nicht der Rede wert. Sollen sie doch alle reden oder schreiben,
was sie wollen. Schließlich wäre es ja noch schöner,
etwa negative Rezensionen zum Anlaß für Richtungsänderungen zu
nehmen. Das käme dann diesen ganzen Widerkäuern, welche die heutige
Metalszene ausmachen, gleich. Und wäre somit Hochverrat an der eigenen
Sache. Bethlehem ist und bleibt Bethlehem; liebt uns oder hasst uns, dadurch
wird sich nichts für uns ändern.

Welche Leute kaufen sich „Mein Weg“, bzw. welche Leute
kommen zu Euren Konzerten?

Leute, die ihren Weg kennen und dafür keine Vorbeter brauchen.

Wann kann man Euch in nächster Zeit live sehen? Und was ist
in nächster Zukunft geplant?

In nächster Zeit wohl eher kaum, vielleicht mal wieder im nächsten
Jahr. Dafür geht’s ab Dezember mal wieder ran an neues Studiomaterial.
In den dunkleren Jahreszeiten ist unsere Spiellaune scheinbar immer am größten.

Wollt Ihr noch etwas an die Leser loswerden?
Beste Grüße an eure Leser und ‚türlich zwei Frisöre.

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