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Frau Potz - lehnt dankend ab

Frau Potz – lehnt dankend ab

Frau Potz - lehnt dankend abBei manchen Plattenrezensionen scheint es, als würden alle Sätze schon stehen, bevor das Promo-Exemplar überhaupt aus dem Briefkasten gefischt oder neuerdings der Promo-Stream angeschmissen wurde. Satzkonstruktionen, die wie aus dem Baukasten wirken, gespickt mit etlichen Vergleichen, damit der Leser es auch direkt einordnen kann, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Vereinzelte Alben jedoch entlarven diesen Trick und streuen Sand in das Getriebe. Liebe Frau Potz, nicht nur Ihr lehnt dankend ab

Vor knapp zwei Wochen saß ich im Bus auf dem Weg nach Hause, hatte das hier zu besprechende Album auf den Ohren und durfte mit ansehen, wie zwei pubertierende Mädchen schweigend nebeneinandersaßen. An sich nichts Ungewöhnliches, sitzt man doch im Öffentlichen Nahverkehr öfters neben irgendwelchen BWL-Schmierlappen oder Deutsch-auf-Lehramt-Studenten und ist froh über jedes Wort, das man nicht miteinander wechselt oder wechseln muss. Doch diese beiden Mädchen kannten sich und statt zu kommunizieren, wurde munter über das jeweilige iPhone gewischt.

„Es tut gut, ein Teil zu sein, eine Einheit und doch allein. Sie heucheln dir die Treue und rammen dir hinterrücks ein Messer rein“ (aus „Bo Jan und die Bullen“)

Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich noch an Formulierungen gefeilt, die gut ausdrücken könnten, was das Hören von lehnt dankend ab in mir ausgelöst hat. Irgendwas mit „gerotzte Worte in den Raum, die einem nicht die Hand reichen, sondern stattdessen den Mittelfinger zeigen“ oder „so viel Aggression, so viel Wahrheit war lange nicht mehr“. Unnötiger Mist, weil es nicht einmal ansatzweise ausdrückt, wie sauer mich dieses Album gemacht hat. Sauer und aggressiv im positiven Sinne, weil Frau Potz sich die Welt hier nicht mit Stilmitteln wie Ironie oder der guten alten Zweideutigkeit auf Distanz halten wollen, sondern stattdessen den Blick dafür schärfen, was in letzter Zeit verkehrt läuft und immer schlimmer wird. Da fehlen dann auch der erhobene Zeigefinger oder billige Parolen, denn Lektionen werden hier nicht erteilt; aber wer braucht das überhaupt noch, wenn endlich mal wieder gezeigt wird, was es alles dankend abzulehnen gilt? Nehmen wir einfach mal diese beiden pubertierenden Smartphone-Sklavinnen. Heutzutage scheint es im Allgemeinen wichtiger zu sein, bei Facebook oder Woauchimmer sagen zu können, dass man mit einer Person unterwegs ist, als wirklich mit ihr unterwegs zu sein. Das ist nichts Neues und diese Erkenntnis schockt auch nicht wirklich, aber sie sollte es eigentlich.

"Und irgendwo in Deutschland sitzt bestimmt ein armes Gör zwischen warmem billig Rotwein und Möbeln von IKEA. Und weil es gerade regnet, passt die Zeile so perfekt. Das gibt wieder ein 'Gefällt mir' für bedeutungslosen Dreck" (aus "Spacegewehr")

Wir verkommen in kompletter Oberflächlichkeit. Es geht nur noch darum, den neusten Trend zu finden, bevor er überhaupt auf dem Plan steht und sich danach möglichst schnell von ihm abzuwenden, um etwas Neues zu suchen. Genau in diese Mechanik greift dann auch die völlige Blindheit gegenüber dem Weltgeschehen. Es gibt gerade in den letzten Wochen viele Dinge, die man einfach nur dankend ablehnen möchte. Werfen wir doch mal das Stichwort ACTA in den Raum. Wie viele beschäftigen sich ernsthaft mit dem Thema, beteiligen sich an den Protesten und beziehen Stellung? Wer täglich das Internet benutzt, sollte sich wirklich fragen, wann er oder sie plant, endlich aufzuwachen und sich eine Meinung und Haltung einfach mal zu bilden, anstatt sie nachzulesen oder nachzuplappern. Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit. Mal so in den Raum geworfen. Aber Achtung, ein musikalischer Verweis, der absolut nichts mit der Musikrichtung zu tun hat! Darf man das heute überhaupt noch?

"Wir schauen auf zu Psychopathen, naiv und abgelenkt. Wir Menschen sind viel stärker als ihr denkt. Wir brauchen diese Schutzhaft nicht, glaubt nicht, dass das nötig ist, dass ohne Geld und Führer die ganze Welt zusammenbricht. Sie werden uns nicht schützen, sie kennen unser Leid, sie wissen doch schon längst, wer ihr seid." (aus "Klockenschooster")

Seit wann fahren wir im Popjournalismus eigentlich so einen Kuschelkurs, ohne Diskurs, ohne Kritik? Darf man das hier überhaupt noch Popjournalismus nennen? Platten zu bewerten, ist doch eh der letzte Dreck. Es läuft alles nur noch darauf hinaus, dass man sich anbiedert: dem Leser, der Plattenfirma, dem eigenen Geschmack. Worte ohne Wert. Früher war das mal mehr, früher durfte man Dinge noch richtig scheiße finden, doch gerade als „kleines“ Internetmedium ist man viel zu sehr darauf angewiesen, dass man einen guten Stand beim Publisher hat. Lange Artikel werden eh nicht gelesen, deswegen lieber alles kurz, knackig und am besten auf eine einfache Bewertung reduziert. 9 von 10 Sternen. Ist stark, muss man kaufen. 7 von 10 Sternen. So lala, keine Zeit, wird nie gehört.

"Steckt euch eure Reviews in den Arsch. Das ist nicht mehr als Vetternwirtschaft, nicht mehr als kalter Fraß, den man nur aufwärmt, auskotzt und vergisst." (aus "Geh, Affe, geh!")

Es wird Zeit, dankend abzulehnen oder zumindest einmal darüber nachzudenken, wieso man Vieles einfach ungefragt akzeptiert. Rebell ohne Grund, von mir aus. Ich lehne es ab, eine 08/15-Rezension über lehnt dankend ab zu schreiben. Schon alleine, weil ich das Album gehört habe. Kann zum Nachdenken anregen, soll und muss es aber nicht. Ist im Grunde ja eh nur ein Selbstgespräch hier. 13 von 2 Sternen, oder so.

„Hassliebe ist ja wohl das beste Wort, das passt. Du hast mich geliebt und ich hab dich gehasst“ (aus "Von Anfang an")


„lehnt dankend ab“ erscheint am 17. Februar 2012 bei Delikatess Tonträger.

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