Einige Wochen sind seit dem Haldern Pop Festival 2010 in das Land gezogen. Gesammelte Eindrücke wurden in dieser Zeit geordnet, während der Sommer sich schon längst verabschiedet hat und Regen und Sturm die Überhand gewinnen. Doch die Zeit wurde genutzt, um Lieben zu schnüren, richtige Schlüsse zu ziehen und letztendlich festzustellen, was im Nachhinein geblieben ist. Zeit, um sich den Überblick von der Seele zu schreiben. Wieder zurück an den Niederrhein.
Donnerstag
Es ist Donnerstag und das war vor Jahren der Tag, an dem beim Haldern Pop der Festivalbetrieb langsam in Fahrt kam und kommen sollte. Auf dem Zeltplatz konnte man sich in Ruhe einen gemütlichen Platz sichern, die ersten Nachbarn kennenlernen und nach der ein oder anderen Bratwurst am Abend den Weg in das Spiegelzelt antreten, in dem die ersten Bands ihre Lieder anstimmten, während auf der Hauptbühne noch die Fachmänner am letzten Schliff werkelten. So war es vor Jahren und wie das Klima im Motto dem Wandel der Zeit unterworfen ist, so geht es Halden Pop Festival anscheinend gleich. Nicht mehr viel ist von der einstigen Ruhe geblieben, denn bereits am späten Nachmittag wirkt der Zeltplatz maßlos überfüllt. Eine böse Vorahnung, von dem was da noch kommen wird.
Dennoch erst einmal zur Musik: David Ford macht in diesem Jahr den Anfang und überzeugt. Diese Mischung aus Americana, Bruce Springsteen und Singer/Songwriter ist genau das, was man sich als Beginn für ein musikreiches Wochenende wünscht. Mal mit Band, mal ohne und dann sogar noch besser als auf den letzten Alben und mit „State Of The Union“ ein Höhepunkt, der die nächsten beiden Tage überwiegen wird. Cymbals Eat Guitars legen nach mit einem energiegeladenen Auftritt und dem Abliefern von „And The Hazy Sea„. Vielen Dank.
Später am Abend zeigt dann die Coco Sumner – Tochter des Musikers Sting – was sie und ihre Band I Blame Coco kann: viel Wind um nichts erzeugen. Selten klangen Töne aus einer Frauenkehle dermaßen unplaziert, unsympathisch und aufgesetzt. Dann doch lieber Warten auf Seabear, die ihren isländischen Folk so schüchtern und zaghaft präsentieren, dass man kaum atmen möchte, weil man Angst hat etwas zu zerstören.
Leider konnten viele Zuschauer an dem Treiben im Spiegelzelt wenig Gefallen finden, denn sie kamen einfach nicht mehr rein. Ein altes Problem, aber an diesem Tag noch drastischer als sonst. So blieb den meisten nur die Großbildleinwand im erweiterten Biergarten, um die Musik einigermaßen genießen zu können. Auf Dauer ist dies kein Zustand und sollte eventuell in den nächsten Jahren überdacht werden, denn viele Besucher sahen sich an diesem Punkt bereits um ihr Eintrittsgeld betrogen.
Freitag
Ausgeschlafen und begleitet von wärmendem niederrheinischen Sonnenschein beginnt der Freitag schon um die Mittagszeit. Die vor einiger Zeit neu eröffnete Haldern Pop Bar lädt ein zum „Frühshoppen“ mit Gary – Robert Stadlobers Versuch einer Band. Dabei bleibt es auch. Mehr als zwei Songs hält man nicht aus, weil dort die Koksnase viel zu weit in den Himmel steht und sich anscheinend noch niemand getraut hat zu sagen, dass das alles so gar nicht geht. Da macht man sich dann lieber auf, um das dörfliche Ambiente von Haldern zu genießen und wieder zum Festivalgelände zu streifen.
Dort macht Wendy McNeil den Anfang mit Wolfsgeheul, sympathischen Geschichten und noch sympathischeren Songs. Wenn John K. Samson eine Frau geworden wäre, würde er solche Songs schreiben. Ganz bestimmt. Der komplette Auftritt kann jedoch nicht genossen werden, denn die vor Testosteron triefenden Triggerfinger beginnen auf der Hauptbühne. Nie klang Belgien besser und selten wurde Rock’n’Roll in den letzten Jahren so intensiv auf dem Reitplatz von Haldern gelebt, wie in diesem Moment. Sehr viel Posertum, Machogehabe und Stromgitarren. Fast wie Turbonegro, nur in gut. Triggerfinger-Jugend Haldern – ich wäre dabei.
Danach erst einmal durchatmen und wieder weiter zum Spiegelzelt, um zu überprüfen, was Fyfe Dangerfield dort so treibt. Ohne Band wirkt das alles leider ein wenig ermüdend. Da wechselt man dann irgendwie gerne den Schauplatz, um Philipp Poisel wenigstens für zwei Lieder eine Chance zu geben. Unser damaliger Dorfpfarrer hätte an diesen Texten sicherlich seine Freude gefunden, doch wer andauernd betonen muss, dass das Leben schön sei, wirkt nach dem vierten Mal nervig. Danke, Herr Poisel, vielleicht vor zehn Jahren. Dann doch lieber Warten auf die Höhepunkte des Abends.
Mumford & Sons, oft gesehen in den letzten Monaten und auch schon hier auf dem Haldern Pop. Da war das noch alles intim und neu. Jetzt ist es für die große Masse, aber immer noch großartig. Ein Phänomen, das man erforschen sollte, weil sich anscheinend jeder auf diese Band einigen kann. „Dust Bowl Dance“ hat zwar schon einmal mehr Gänsehaut ausgelöst, doch verzeiht man das den Jungs. Mumford & Sons – wie für das Haldern gemacht. Beirut hingegen gehen ein wenig in der vorher entfachten Euphorie unter, weil das auch irgendwie unfair erscheint. Vielleicht wäre ein früherer Auftritt lohnenswerter gewesen. Der Funken will jedoch nicht überspringen und so verabschiedet man sich lieber, denn Müdigkeit wäre am morgigen Tag nicht angebracht.
Samstag
Wieder ein früher Beginn um die Mittagszeit mit den jungen Helden von Young Rebel Set. In grellem Sonnenschein spielen sie ihren Working-Class-Folk-Indie-Rock und obwohl das alles nichts Neues ist, funktioniert es dennoch. Ein bisschen wie bei den Kilians, nur dann eben aus dem englischen Stockton-on-Tees und nicht aus dem niederrheinischen Dinslaken. Vergisst man jedoch leider auch alles, nachdem Portugal. The Man die Bühne betreten und den besten Auftritt des Festivals liefern. In der Hitze der beißenden und unbarmherzigen Mittagssonne beweisen die Amerikaner wieder einmal, wieso sie sich in den letzten Jahren in die Herzen der deutschen Musikliebhaber gespielt haben. Alleine die Improvisationsfreude der Band beeindruckt immer wieder, wenn alte Lieder in stetig wechselndem Gewand präsentiert werden. Ein Fest, das alles zu verfolgen. Findet auch das Publikum und lässt einen Applaus erklingen, der eines Headliners würdig wäre. Nur eben um die Mittagszeit.
Die musikalische Stärke der darauffolgenden schottischen Band Frightened Rabbit ist auf der Insel schon lange kein Geheimnis mehr, doch hier in Deutschland müssen erst noch ein paar Herzen erobert werden. Mit ihrem Album The Winter of Mixed Drinks haben sie bereits ordentlich vorgelegt und jetzt werden auch die letzten Zweifler überzeugt. Rock trifft auf Pathos trifft auf den nötigen Hauch Independent und selten klang die Aufforderung zum Suizid so großartig:
Are you a man? Are you a bag of sand? Swim until you can't see land
Blood Red Shoes werden danach allerdings zu einer wahren Enttäuschung. Spätestens nach drei Liedern wird die Monotonie aus Rhythmus und Gitarre so ermüdend, dass man sich lieber in den Biergarten vor das Spiegelzelt begibt, um im Gras zu liegen und kurz darauf den Klängen der Villagers zu lauschen. Ein unvergesslicher Moment, mit den wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht, beim Öffnen der Augen ab und an das Gesicht Herrn Conor J. O’Brien auf der Videoleinwand zu erblicken und mit den restlichen Besuchern überwältigt von dieser musikalischen und textlichen Tiefe zu sein. Becoming a Jackal wird und ist bereits eines der Alben des Jahres und nach diesem Auftritt ist das auch in Stein gemeißelt.
Have you got just a minute? Are you easily mad? Let me show you the back room, where I saw the dead
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Drei großartige Auftritte in kürzester Zeit, da ist es Grund genug erst einmal eine kurze Pause zu machen und erst wieder zu The Tallest Man on Earth vor die Hauptbühne zu treten, der alleine den Reitplatz beschallt und trotz der nachfolgenden großen Namen mit Charme und Witz zu überzeugen weiß. Folk, wie man ihn sich wünscht und mit einer halben Stunde der perfekte Aufheller, sodass man sich fragt, wieso erst noch einmal Yeasayer die Bühne betreten. Stimmung, die zerstört wird, weil man sie eh schon zu oft gesehen hat. Doch die Zeit vergeht und dann ist eh alles vergessen, für diesen einen Moment.
The National betreten die Bühne und haben jedoch prompt technische Probleme. Einen Verstärker hat es erwischt und Matt Berninger wird unfreiwillig zum Entertainer, der gar keiner sein will. Schutzlos, wie man ihn sonst nur aus seinen Liedern kennt und gleichzeitig auch eine kleine Tortur für das Publikum. Beinahe jeder hatte sich auf diesen Auftritt gefreut und jetzt bricht alles irgendwie in sich zusammen. Die Band wirkt genervt und quält sich durch die Songs des neuen Albums High Violet. Doch nach und nach fangen sie sich wieder und Klassiker wie „Fake Empire“ oder „Mr November“ lassen einen nach diesem Auftritt nicht ganz enttäuscht zurück, obwohl man wie immer mit einem kleinen Funken Wehmut den Heimweg antritt.
Das Haldern Pop 2010 war gut und wird auch im nächsten Jahr gut werden. Es gibt aber noch immer ein paar Dinge, die ausgebessert werden müssen und die Veranstalter werden in der nächsten Zeit damit zu kämpfen haben, das aus dem ehemaligen Geheimtipp eine feste Instanz innerhalb einer wachsenden Szene geworden ist und somit auch der bisher so gemütliche Donnerstag mit den verkleinerten Strukturen, auf Grund des Wegfalls der Hauptbühne, in einer gewissen Überladung untergeht. Vielleicht ist Umstrukturierung eine Lösung, vielleicht aber auch nur die niederrheinische Gelassenheit. Denn auch ein Trend wird abflachen und zurück bleiben die Leute, denen dieses kleine Festival immer wieder ein ganz besonderes Gefühl gibt. Man sieht sich im nächsten Jahr, Haldern Pop und wie immer Danke für alles.