Der Mut zur Lücke. Der Mut, Dinge zu tun, die nicht einfach zu verdauen sind. Der Mut, Grenzen zu sprengen, ohne dass man weiß, wo diese überhaupt sind. Leitsätze und Lebensphilosophien, die in den 70er Jahren noch ein Grund waren, Musik zu machen, sind heutzutage leider fast komplett aus den Gedanken der Künstler verschwunden. „Progressive“ ist beinahe schon ein alter Hut geworden und wenn es dann dennoch Bands gibt, die sich trauen, weiter zu gehen und anzuecken, findet man sie überall nur nicht in Deutschland. Ohne jetzt patriotisch klingen zu wollen, aber die junge deutsche Band Imentu kommt genau richtig.
„Euphoria“ heißt das erste Album der vierköpfigen Band aus Oldenburg, die zwar schon seit 2003 vereint sind, aber nun erst nach knapp sechs Jahren den Schritt zu ihrem Debüt wagen. Konturenfreie Bewegung innerhalb der gängigen Genrebegriffe wünschen sie sich dabei & so ist auch schon der erste Song „I rely on phantoms“ ein Vorgeschmack, der direkt zeigt, was man von dem Album auf ganzer Länge erwarten darf: Beginnend wie ein Free-Jazz-gleicher Song, ziehen Imentu hier alle Register der Grenzenverwischung: Gitarrenwände, Aufbauen und gleichzeitige Sprengung von musikalischer Struktur und ein Abtauchen in die Welten der atmosphärischen Stimme der Sängerin Linda. Ein Ruhepol in den oftmals kräftezehrenden Liedern, die in das eigene Songuniversum der Band einladen.
Hierbei entstehen atmosphärische Klänge, die einen für einen Moment tröstend in den Arm nehmen, aber dann nur ein paar Sekunden später wieder wachrütteln. Das haben zwar vorher schon viele andere Bands und Musiker auf dieser Ebene geschafft, doch wäre es nicht fair, Imentu jetzt durch Aufzählung eventuell vergleichbarer Künstler in den gleichen Topf zu werfen, setzen sie hier schließlich unter jeden Song ihre eigene Unterschrift, ohne dabei als billige Kopie zu klingen.
So ist „Euphoria“ kein Album, das man sich einfach wieder und wieder anhören kann. Wie bei einer Folge der Serie Six Feet Under braucht man nach jedem Durchlauf erst einmal Zeit, um sich zu sammeln, die Karten auf dem Tisch zu ordnen, Eindrücke sacken zu lassen und sich in der Erkenntnis zu wissen, dass hier eine Platte vorliegt, die wächst und wächst. Und bevor man jetzt von irgendwelchen Wehrmuttropfen zu erzählen beginnt, sollte man es noch einmal betonen: „Euphoria“ ist ein Debütalbum, Imentu eine Band aus Deutschland und wenn jetzt noch ein paar Menschen aufhören, den Bibo im Karnevalstaumel zu tanzen, um stattdessen ihre Energie dieser Musik zu widmen, habe ich noch ein kleines bisschen Hoffnung übrig. Nur das Deutschland-Fähnchen spare ich mir dabei.
„Euphoria“ erscheint am 27. Februar 2009 auf Data File Music.