Das Immergut. Es hat diesen Ruf, einzigartig unter den hiesigen Indiefestivals zu sein. Die Atmosphäre, die Auswahl der Bands, das familiäre Gefühl, die Nähe zu den Veranstaltern. All diese Dinge werden diesem Festival schon ganz pauschal und automatisch positiv angerechnet. Doch was davon trifft tatsächlich noch zu? Ist das Immergut tatsächlich noch das, was es einst war? Auch dieses Mal waren wir wieder dort. Und kamen mit gemischten Gefühlen zurück.
Am ersten Juniwochenende, eine Woche später als es der traditionelle Besucher gewohnt ist, fand das Immergut zum inzwischen achten Mal am Neustrelitzer Bürgerseeweg statt. Obwohl es im Vorfeld schon etwaige Diskussionen über den bis zum Festivalbeginn unverkündeten Freitagsheadliner, den Auftritt von Virginia Jetzt! sowie die Absagen von Jens Lekman und den Postrockern von Explosions in The Sky gab, versprach es, einiges zu bieten. Man freute sich auf gewohnt ausgelassene Stimmung, auf ein wie immer spannendes Immergutzocken-Fußballturnier und natürlich auf Tocotronic als gelungenen Abschluss eines immer guten Festivals. Letzten Endes wurde leider nicht alles bestätigt, wobei schon hier klar zu sagen ist, dass keine der folgenden Meckereien den Veranstaltern zuzuschieben sind!
Schon bei der Ankunft am Donnerstagabend wird klar, dass der Eindruck des vergangenen Jahres, manche Menschen hätten sich aus unersichtlichen Gründen auf das Immergut verirrt, keine Ausnahme bleiben sollte: Große Zeltgruppen, die es anscheinend als etwas Positives empfanden, riesige Banner eines großen Fastfood-Unternehmens, das nicht weit unten in Toprankings der Regenwaldzerstörung und weiteren moralisch unvertretbaren Handlungen stünde, über ihren Zelten aufzuhängen. Menschen, die schon nach den ersten Stunden riesige Müllmengen durch die Gegend feuerten und parallel dazu etwa sechs Mal hintereinander Remmidemmi mitgröhlten. T-Shirt-Aufschriften, die besagen, man trinke nicht am Limit, solange man nicht kotze. Eigentlich alles Dinge, mit denen man eher auf Festivals des ganz großen Kalibers rechnete. Leider verschwindet dadurch eben jene erwähnte “einzigartige Atmosphäre”, die diesem Festival eigentlich zugerechnet wird. Und das liegt nicht einmal an den immerguten Organisatoren, die nach wie vor unbeschreiblich viel Herz in dieses Wochenende stecken.
Doch nun genug gemeckert. Natürlich bot auch das diesjährige Festival wieder jede Menge einzigartiger Momente, die zumindest indirekt sehr wohl auf das Konto der Veranstalter gehen: Freundlichste Menschen an den Ständen und im Labelzelt, zwei mit viel Liebe zum Detail dekorierte Bühnen und vor allem natürlich großartige Künstler.
Den Anfang machten A Hawk And A Hacksaw auf der Hauptbühne: Zwei Menschen auf einer großen Fläche, die sich deutlich überrascht von der Anwesenheit derart vieler Menschen zeigten und denen es vor allem gelang, mit ihrer sympathischen Weltmusik einen sehr positiven Eindruck zu hinterlassen.
Im direkten Anschluss betraten die ganz und gar nicht kühl wirkenden Jungs von Polarkreis 18 die Zeltbühne, die dieses Mal wesentlich kürzer, dafür aber auch breiter ausfiel (eine durchaus wichtige Randbemerkung, oder?). Schon mit dem ersten Lied legte sich eine begeisterte Stimmung über das Publikum, das vor allem bei Dreamdancer genüsslich und mit geschlossenen Augen das Tanzbein schwang. Als die Band der sehr früh eintreffenden Aufforderung der Verantwortlichen nachkam und ihr Set um eine unbekannte Anzahl an Liedern verkürzte, machten laute Buh-Rufe deutlich, dass man hier gerne noch weiter geträumt hätte.
Was macht man nun mit einem frühen Abend, wenn man die letzten Reste Sonne und Wärme abbekommt (bzw. abbekommen könnte)? Genau, man gibt ihn Tele. Tele, die so gerne balancieren auf dem dünnen Faden zwischen Pop und Schlager, können live immer wieder beweisen, dass ihre Lieder so rein gar nichts mit Kitsch zu tun haben. Und dazu brauchen sie auch nicht die Dunkelheit der Nacht oder die Behaglichkeit des Clubs, Sänger Francesco lief auch schon am frühen Abend zu Hochform auf und brachte ein kleines Stück Fröhlichkeit unter die geneigten Zuhörer. Auch wenn es noch nicht den ganzen Platz füllte und wenn die alten Lieder auch irgendwie stimmiger rüberkamen: eine nette Vorbereitung für das, was da noch kommen sollte.
Im Anschluss gelang es dann Friska Viljor als erste Band, das Zelt so richtig auseinander zu nehmen. Insbesondere mit zum Tanzen auffordernden Hits wie Monday und Oh Oh gelang es, sowohl Luftfeuchtigkeit als auch Temperatur auf ein Unermessliches zu steigern und den Crowdsurfing-Begeisterten eine gute Möglichkeit zu geben, sich auszutoben und damit vor allem (zu Recht) genervten Securitymenschen den Spaß zu verderben.
Die Top Old Boys aka Superpunk aus dem schönen Hamburg nahmen danach den schwierigen Abendslot, wo es prinzipiell noch nicht so wirklich dunkel ist, aber auch nicht mehr wirklich hell, und man sowieso eigentlich lieber grillen würde. Das aber, meine verehrten Damen und Herren, kam nun gar nicht in Frage. Denn diese sympathischen nicht-mehr-ganz-so-jungen Herren kamen, um die Menschen zum Tanzen zu bringen, und das mit Bravour. Es gibt wohl wenige deutsch singende Bands, die einem einen Mitwippdrang in derartigen Ausmaßen bescheren. Dabei auch viele neue Songs, unter denen sich schon jetzt zukünftige Lieblingslieder erkennen ließen („Baby, ich bin zu alt!„).
Für überraschte Gesichter sorgte das Erscheinen von Muff Potter auf der Zeltbühne, zu einem Zeitpunkt, als die anwesenden Besucher eher mit Jeans Team rechneten. Sänger Nagel befand sich laut eigener Aussage gerade auf dem Weg gen Heiligendamm, als das Handy die spontane Einladung vermittelte, Jeans Team könnten nicht auftreten. Erfreut zeigte sich darüber nicht nur die Band, sondern auch ein Publikum, das den Eindruck machte, als wüsste man seit jeher, dass die Elektropper vom Jeans Team nicht auftauchen würden. Und als sei man damit auch mehr als einverstanden.
Am späten Abend war es dann soweit: Seidenmatt begannen, das Immergut in eine kleine Traumwelt zu verwandeln. Trotz im Voraus geäußerter Unzufriedenheit über die Wahl einer derart “kleinen” Band als Headliner seitens einiger Besucher, gelang es den Berlinern, zumindest die Anwesenden (die sich tatsächlich in Grenzen hielten) zu überzeugen. Mitsamt einer wunderschönen Lichtshow und Gastauftritten von Polarkreis 18-Sänger Felix bei Bergen und Architecture In Helsinki wurde der erste Festivaltag auf der Hauptbühne mehr als erfolgreich beendet und man verabschiedete sich letztlich mit dem beeindruckenden Thuwe Pt. 2 von den Besuchern.
Der Samstag begann angenehm. Mit Sir Simon Battle. Sir Simon Battle? Da war doch mal was mit Tomte-Support und sehr überzeugend und so..? Also lieber mal nicht gleich wieder zum Zelt, sondern vor die Hauptbühne und mal anschauen, wer eben jene am Samstag eröffnen durfte. Erster Eindruck: zurückhaltende Band mit einem überdrehten Kauz als Sänger, die sich aufmachten, Popsongs zu spielen, in einer Schönheit wie man es lange nicht mehr gehört hat. Das klingt ein bisschen wie die Weakerthans, meint da einer. Ja, ein bisschen vielleicht. Aber im guten Sinne. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich aus, und: Sympathie! Sympathie für diesen Simon, der sich selbst nicht sicher war, ob es der Wein oder der Kaffee war, der seine Nervosität noch steigerte, der beinahe jede zweite Ansage verhaspelte nur, um gleich danach diese herrlich ruhigen Songs zu spielen („..all the blueprints of my letters your never going to read“).
Nach einem sehr angenehmen Auftritt der Band mit dem ausgefallenen Namen Someone Still Loves You Boris Yeltsin folgten Tied & Tickled Trio, die von den einen als DIE Überraschung, von anderen allerdings auch als eher langweilig bezeichnet wurden. Zumindest gelang es der Band rund um die Acher-Brüder, (wohl bekannt von The Notwist) hier mit wenigen Worten und einer guten Mischung aus Indietronica, Electrojazz und Dub die Besucher für eine Weile träumen zu lassen, was sich vor allem an einer vielzahl von mit geschlossenen Augen genießenden Menschen zeigte.
Im Anschluss an die vielfach als “Samstagheadliner der Herzen” betitelten Shout Out Louds, denen es gelang, eine unbändige Tanzlust über die Festivalbesucher zu mischen, stand Sophia auf dem grünen Zeitplan. Dieses Jahr sollte die letzte Band im Zelt also einen ganz besonderen Abschluss bilden: extra angereist kam Robin Proper-Sheppard, im Gepäck nur die Akustikgitarre sowie ein Streicherquartett.
Das Verlassen der Shout Out Louds kurz vor der Zugabe wurde belohnt mit einem Platz vorne am Absperrgitter und mit Soundcheck beobachten. Sobald alles zumindest halbwegs in Ordnung zu sein schien, begann das Ganze mit einem fuliminanten Einstieg mit I left you. Spätestens jetzt wurde dem doch sehr stark vertretenen Publikum klar, dass es nicht die fröhlichste Veranstaltung werden sollte und man gefälligst das Reden und Rumschubsen einzustellen hatte. Glücklicherweise passierte das tatsächlich. Die Spannung und Emotionalität im Raum war fast zu spüren, durch die sorgfältige Instrumentierung erschienen die Songs dichter und stärker. Und vor allem unheimlich nah, was vor allem auch an Robin Proper-Sheppard lag, der offen mit seiner Nervösität kokketiert und – so scheint es zumindest – diesmal besonders den Kontakt zum Publikum sucht. Die Lieder bildeteten eine schöne Auswahl aus dem Vorhandenen (bei mittlerweile vier Alben doch recht viel): Pace, Oh my Love und Bastards durften natürlich nicht fehlen und als Zugabe gab es das wunderbare Another Trauma und Directionless. Na gut, wie er schon selbst meinte, gibt es eigentlich nur Sophia-Lieder, die von gebrochenen Herzen handeln, doch könnte es einen wunderbareren Abschluss geben als I`m losing my direction? Wahrscheinlich nicht. Leider verlor er die Richtung dann tatsächlich, allerdings gegen den Soundcheck der Tocos, und beendete damit zweifelsfrei ein Highlight des diesjährigen Immerguts.
Diese betraten also als tatsächlicher Headliner die Bühne. Nach dem bereits von allen Seiten diskutierten Majordeal bei Universal, der in der Tat nach einem Lied wie Sie wollen uns erzählen etwas merkwürdig scheint, galt es, zu beweisen, dass ein derartiger Wechsel keine Abstumpfung der Musik, der Band, bedeutet. Doch was dann kam, blieb leider enttäuschend: Die Ansagen des Herrn von Lowtzow wurden von mindestens zehn Leuten mitgesprochen, was nicht gerade für Individualität spricht. Und in der Tat wirkten die dankenden Worte nach den jeweiligen Liedern (aufs aller-, allerherzlichste, natürlich) inzwischen viel zu überaffektiert. Das klang vor zwei Jahren einfach schon genauso. Ansonsten blieb der Kontakt zwischen Band und Publikum leider sehr gering. Nichtsdestotrotz gelang es den jungen Männern, einen angenehmen Mix aus alten und neuen Stücken zu spielen. So gab es zur Vorfreude der Fans der ersten Stunde das großartige Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst, während andere mit den üblich verdächtigen Hits wie Hi Freaks und Gegen den Strich sowie mit ganz neuen Stücken in Form von Sag’ alles ab, Mein Ruin oder Imitation beglückt wurden. Ebenso positiv wie die Auswahl des Sets zeigte sich das hier anwesende Publikum, das keineswegs einem Angry, sondern vielmehr einem Friendly Mob entsprach. So wurden beim Crowdsurfen abstürzende oder beim Tanzen ausrutschende Besucher nicht liegen gelassen, sondern mit viel Herzlichkeit wieder hochgezogen. Gut so!
Und das war es dann auch schon wieder. Das Immergut. Dieses einzigartige Festival. Leider muss abschließend gesagt werden, dass es sich in gewissen Punkten immer mehr von dem entfernt, was es ursprünglich einmal war. Etwas, das eigentlich nicht schlimm ist, doch wünscht man sich heimlich wieder diese oft erwähnte einzigartige Atmosphäre, die es nur noch teilweise gibt. Und das ist, wie schon erwähnt, keineswegs auf ein Fehlverhalten der Veranstalter zurückzuführen, die sich nach wie vor unbeschreiblich viel Mühe mit diesem Wochenende machen. Die so viel Herzblut in dieses Festival stecken. Und genau deshalb bleibt es ein Wochenende im Jahr, das man auch für 2008 schon jetzt rot markiert. Ein passendes Zitat für den Abschluss dieses Berichts drang aus einem Nachbarzelt und klang in etwa so: „Scheiße. Jetzt ist es wieder vorbei und wir müssen ein ganzes Jahr lang warten.“ Aber, trotz allem, mit Vorfreude.
Persönlich abrunden kann man sich diese vielen, von Alex und Christian verfassten Worte durch das Bestaunen der zugegeben wenigen Bilder, die wir dieses Jahr geknipst haben. Zur Galerie geht es also hier entlang.