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Joey Burns (Calexico) im Interview

Seit mehr als zehn Jahren reisen Calexico durch die Weltgeschichte. Ihr besonderer Stilmix irgendwo zwischen staubigem Wüstenrock und Mariachi-Klängen, zu denen die Vielzahl von Gastmusikern und gesammelten Eindrücken beitragen, vereint weltweit junge und alte Musikliebhaber. Im Rahmen ihrer „Carried to Dust“-Tour nahm sich Sänger Joey Burns vor dem ausverkauften Konzert im Frankfurter Mousonturm trotz verspäteter Bahnen Zeit für ein Gespräch über seine besondere Beziehung zu Deutschland, unterwegs zu sein, Inspiration, Internet und seine Heimat Amerika.

Mainstage: Hallo Joey, wie geht es dir? Wie hast du den Tag bisher verbracht?

Joey Burns: Danke, mir gehts richtig gut! Ich bin glücklich, auf Tour zu sein und wir haben eine tolle Zeit hier in Europa. Ich konnte heute endlich mal wieder ausschlafen. Neun Stunden – das ist ziemlich ungewöhnlich. Unterwegs ist es immer schwierig zur Ruhe zu kommen, du hast ja unsere Betten gesehen… Ein paar Freunde sind her gekommen, um heute Abend mit uns zu spielen. Einer ist aus Spanien und war schon in den Staaten und bei der ersten Hälfte der Europa-Tour mit dabei. Er heißt Jairo Zavala und heute ist sein letzter Tag mit uns, deshalb hängen wir viel zusammen ab, waren nochmal zusammen essen und haben zwei Songs seiner Band Depedro für heute Abend einstudiert. Eine weitere Freundin, Teresa Freund aus Mannheim, spielt Violine. Wir haben sie über die Band Get Well Soon kennen gelern, mit denen wir letzte Woche getourt haben und haben sie gefragt, ob sie nicht heute ein paar Lieder mit uns spielen will. Dann ist da noch Chris Cacavas, ein guter Freund aus Tucson, der hier in der Nähe wohnt und Keyboard und Akkordeon spielt- den bekommen wir heute wahrscheinlich auch noch auf die Bühne. (lacht) [die Setlist des Abends]

Joey Burns beim Southside 2008
Joey Burns beim Southside 2008

Ihr kommt ziemlich viel herum. Gibt es jenseits von Autobahnen und Backstageräumen etwas, das du versuchst von jedem Ort zu sehen?

Auf jeden Fall, aber das ist schwierig, weil wir meistens nachts wach sind – wir schlafen normalerweise so ab 4 oder 5 Uhr morgens – das ruiniert die meisten Gelegenheiten, noch etwas von einer Stadt zu sehen. In den meisten Orten waren wir mittlerweile schon ein paar Mal, deshalb geht es uns mehr darum, Freunde zu sehen und neue Leute zu treffen. Gestern in Mailand hätte ich wirklich gerne den Bisazza Mosaik Ausstellungsraum gesehen, aber dazu hatten wir keine Zeit. Wir versuchen schon etwas von den Orten mitzubekommen. Manchmal reicht es schon, einfach mal aus dem Club rauszukommen und den Kopf frei zu kriegen. Den ganzen Tag drinnen zu verbringen kann ganz schön aufs Gemüt schlagen. Heute haben wir es nicht mal richtig aus dem Gebäude geschafft – dabei wollte ich doch endlich Postkarten verschicken… Aber normalerweise laufe ich schon ein bisschen rum, schaue mir die Umgebung an, gehe in Museen und Instrumentenläden.

Wie kam eigentlich euer besonderes Verhältnis zu Deutschland zustande?

Musikalisch hat es damit angefangen, dass wir das Label City Slang sehr mochten und ihnen unsere ersten Aufnahmen anboten, auch wenn die anfangs nicht besonderes interessiert an unserer Musik waren. Zur etwa gleichen Zeit entdeckten wir auch dieses großartige Label namens Hausmusik aus München, das es leider nicht mehr gibt. Die veröffentlichten unsere erste Schallplatte und als wir weiter aufnahmen, zeigte City Slang auch endlich Interesse. John Convertino und ich wollten zu dem Zeitpunkt zu zweit hier mit Lambchop und Vic Chesnutt touren, doch das Label meinte, dass wir doch unmöglich die vielen Instrumente rauslassen könnten. Daraufhin arbeiteten wir mit dem Schwager des Labelchefs Christof Ellinghaus, Martin Wenk, und seinem Freunden Volker Zander und Michael Lambach zusammen in Kassel. Mit denen spielten wir dann zusammen und hatten sehr viel Spaß. Seitdem haben wir immer mit Martin und Volker gespielt. In der Zwischenzeit nahmen wir auch noch Jacob Valenzuela, der als einziger von uns in Tucson geboren und aufgewachsen ist, auf und trafen auf der Tour außerdem Paul Niehaus – und seit zehn Jahren spielen wir zusammen. Das ist fantastisch! Jedenfalls haben wir damals viel Zeit in Kassel verbracht, geprobt, aufgetreten, haben Fußballspiele geschaut – und auch später Teile der Weltmeisterschaft. Es ist eine nette Stadt mit einer sehr entspannten Atmosphäre und irgendwie unser deutsches Tucson, unser Heimat, auch wenn Volker und Martin nicht mehr dort leben. Wir kommen trotzdem immer noch zu Beginn und Ende jeder Tour dort hin.

Martin Wenk live in Frankfurt
Martin Wenk & Jairo Zavala live in Frankfurt

Haben Martin und Volker auch musikalische deutsche Einflüsse in die Band gebracht?

Definitiv. Sie haben beide einen sehr charakteristischen Style und auch Musikgeschmack, die ich sehr mag. Auch ihre Persönlichkeiten sind so unverkennbar verschieden und machen unsere Band zu etwas ungewöhnlichem. Ich war immer ein großer Fan von Projekten wie Can oder Nick Cave & The Bad Seeds, die Charaktere von den unterschiedlichsten Orten zusammen bringen. Das trägt erheblich zu der Magie und Rätselhaftigkeit einer Band bei – wo kommt diese Musik her? Martin erinnert sich zum Beispiel, in einer Art Biergarten-Blasskapelle groß geworden zu sein und das ist nur ein paar Schritte von unseren Einflüssen entfernt. Das sind ganz ähnliche aufeinander treffende Traditionen, die sich im Laufe der Jahre verändern. Unsere Band zerrt eher aus der Inspiration des Geistes dieser Traditionen als aus den Traditionen an sich. Das wird von vielen falsch verstanden. Aber okay, Leute generalisieren eben.

Auf Konzerten beeindruckst du ja auch gerne mal mit deinen Deutschkenntnissen..

Du meinst meine außergewöhnliche Fähigkeit, hier und da aus Versehen ein paar richtige Wörter zu kombinieren? (lacht) In nahezu perfektem Deutsch: Ich wünschte, dass ich könnte mehr Deutsch lesen, verstehen, sprechen, schreiben. Vielleicht ich sollte mehr Zeit hier in Deutschland machen… äh, verbringen.

Hast du deutsche Lieblingsworte?

Jaa! „Lecker“ finde ich total klasse und „Sehnsucht“ ist ein wirklich wichtiges Wort, weil da so viel Melancholie mitschwingt, die auch in unserer Musik eine große Rolle spielt. Außerdem mag ich aus dem Deutschen übernommene Ausdrücke wie „doppelganger“ oder diese ganze „VW-Fahrvergnügen“-Sache, die einem an jeder Ecke begegnen. In unserem Band-Alltag gibt es auch so ein paar Phrasen. „Um die Ecke bringen“ ist großartig. John sagt immer: „Das bringt mich ganz schön runter“. Das wiederholt er immer und immer wieder… zu lustig.

Momentan findet ja in Frankfurt die Buchmesse statt – liest du viel auf Tour und inspiriert dich Literatur beim Songschreiben?

Oh ja. Ich habe am Flughafen ein paar Bücher gekauft. Ich wollte unbedingt mehr über die Zeit der Eroberer und Hernán Cortés wissen und habe auch noch ein Buch über das Leben in der verschiedenen Teilen Amerikas bevor Kolumbus kam mitgebracht. Ich finde Geschichte faszinierend, da gibt es einfach alles. Ich mag vor allem die etwas dunkleren Themen, aber natürlich auch Neues. Literatur inspiriert mich sehr, auch wenn ich bei Weitem nicht so viel lesen kann, wie ich gerne würde. Die Musik und ihre sozialen Aspekte halten mich ganz schön beschäftigt. Wenn ich auf Tour bin, will ich einfach so viel Zeit wie möglich mit allen verbringen. Wir haben echt Glück, dass wir schon so lange mit unserer Musik unterwegs sein können, aber niemand weiß, wie lange das noch anhalten wird. Umso mehr versuchen wir diese Momente zu genießen und die Zeit mit netten Leuten zu verbringen.

Jacob Valenzuela & Martin Wenk live in Frankfurt
Jacob Valenzuela & Martin Wenk live in Frankfurt

Kommen wir mal zum neuen Album. Dort habt ihr ja auch wieder mit vielen Gastmusikern zusammen gearbeitet. Wie koordiniert kann man sich die Aufnahmen vorstellen?

Ganz unterschiedlich. Die meisten sind bei uns im Studio vorbei gekommen, was logistisch schon nicht immer so einfach ist. Da muss man viel organisieren und mit anderen Projekten und Touren abstimmen. Jairo fanden wir so toll, dass wir ihn wieder einfliegen mussten, um mit ihm aufzunehmen. Mit ihm ist es wirklich besonders, mit ihm fühle ich mich auf einer persönlichen und musikalischen Ebene sehr verbunden. Wir fordern uns gegenseitig heraus und wissen, dass wir uns vertrauen können. Ähnlich super hat es auch wieder mit Sam Beam von Iron & Wine geklappt, der einfach seinen Teil direkt bei sich zuhause aufgenommen und uns dann geschickt hat. Diesmal wollte ich den ganzen Prozess öffnen und habe jede Menge talentierter Musiker eingeladen, mit denen wir gerade in Verbindung standen oder die gerade vorbei kamen und ich finde, sie haben der Platte jede Menge Gefühl gegeben.

Die Single „Two Silver Trees“ habt ihr ja vorab als kostenlosen Download auf eure Homepage gestellt und mittlerweile veröffentlichen viele Künstler ganze Alben im Netz um einem illegalen „leak“ vorzubeugen – wie denkst du über diese ganze Internet-Download-Sache?

Die Welt da draßen ist ziemlich groß und man kann nicht leugnen, dass sich das Musikgeschäft unheimlich verändert hat. Das kann man nicht mehr rückgängig machen und auch wenn Musik erstmal im Internet steht, kann man sie halt nicht mehr zurück holen. Andererseits sind wir keine übermäßig populäre Mainstream-Band und wollen das auch gar nicht werden und ich finde es großartig, den Fans ab und zu etwas zurück zu geben. Seien es einzelne Album-Tracks, Liveaufnahmen oder digitale Streams von Konzerten, wie zum Beispiel auf archive.org. Unser Konzert in Amsterdam von ein paar Tagen soll bald auf fabchannel.com zu streamen sein. Ich mag den Fakt, dass Sachen verfügbar sind und liebe Bibliotheken. Wenn ich nun nach einer Band suche, schaue ich mir ihre Internetprofile an und kann so viel zusammen tragen, was früher so viel mühsamer war. Myspace ist schon toll für sowas, darüber haben wir auch Bodies of Water, die gerade mit uns touren, und einige unserer Musiker-Freunde entdeckt. Außerdem sind wir wohl eine Band, deren Verkäufe immer noch hauptsählich im Bereich CD und Vinyl liegen. Gerade in den USA kaufen immer mehr Leute Vinyl, das ist toll und liegt vielleicht auch in der Art unserer Musik. MP3s klingen nunmal schlecht. Aber ich denke, dass man, egal welchen Job man macht, kreativ sein und etwas Einzigartiges schaffen sollte, dann kann das auch zu Erfolg führen. Es ist gut und schlecht, dass es mittlerweile so einfach ist, Platten aufzunehmen und verfügbar zu machen. Es gibt viel zu viel Dreck, aber auch mehr Gutes und das wird sich immer durchsetzen und wenn es nur im kleinen Kreis ist. Die Plattenfirmen waren vielleicht einfach zu gierig und bekommen das nun zurück. Umso froher bin ich, dass das Touren bei uns so gut läuft…

Zum Abschluss: Die Präsidentschaftswahlen in den USA stehen bevor. Was erwartest und erhoffst du dir davon?

Ich erwarte noch mehr sensationalisierende Nachrichten, aber was ich wirklich hoffe, ist dass viele Leute wählen gehen. Schon allein eine hohe Wahlbeteiligung würde mich glücklich machen. Ich würde Obama gerne gewinnen sehen – von den zwei Auswahlmöglichkeiten ist er für mich viel, viel besser. Aber egal, wer gewinnt: Die Leute in Amerika und in der ganzen Welt müssen einfach mehr Verantwortung für ihre eigenen Handlungen übernehmen und sich für Dinge einsetzen, die gut für sie sind. Lokal lässt sich so viel bewegen und ich glaube, dass das im Gegenzug einen positiven Effekt auf globaler Ebene haben wird. Wir sehen das ja unterwegs; in Deutschland oder auch in Japan legt man viel mehr Wert auf Recycling und Mülltrennung und ich denke mir: wow! In Amerika ist das so anders. In Amerika würden dieser Tourbus hier die ganze Zeit über durchlaufen und nicht mit Strom aufgeladen werden. Ich hoffe auch auf mehr gegenseitigen Respekt ohne jegliche Grenzen, so dass eines jeden Stimme gehört werden kann. Ich glaube, dass wird immer wichtiger, weil die Welt immer kleiner wird und sich immer mehr Menschen darauf herumtreiben. Es ist wichtig, über solche Dinge und seine Umwelt nachzudenken; in Frage zu stellen, wie Dinge funktionieren und sich mit alternativen erneuerbaren Energiequellen auseinanderzusetzten. Das Problem ist, dass die meisten Amerikaner keine Pässe haben und das Land niemals verlassen und damit auch keine anderen Perspektiven bekommen. Es ist so großartig, unterwegs diese ganzen Unterschiede festzustellen. Ich hoffe, dass Amerika durch diese Wahl ein bisschen seiner Glaubhaftigkeit wiederherstellen kann.

Vielen Dank für das Gespräch, Joey!

Ich habe dir zu danken!

Calexico live in Hamburg
Calexico live in Hamburg

Mehr Fotos vom Konzert in Hamburg gibt es hier.

Calexico kommen im Januar für folgende Termine zurück in den deutschsprachigen Raum:

  • 27. Januar 2009, Ulm/Roxy
  • 28. Januar 2009, Leipzig/Conne Island
  • 29. Januar 2009, Salzburg/Republic Saal (Szene)
  • 30. Januar 2009, Innsbruck/Treibhaus

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