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Johnny Cash – American VI: Ain’t No Grave

American VI: Ain't No GraveDie letzten Zeilen des Buches wurden geschrieben, die finalen Sekunden des Abspanns sind vorbei gezogen und nur noch der graue Himmel der herannahenden Dämmerung bietet einen letzten Blick auf die Szenerie. Mit American VI: Ain’t No Grave erscheint dieser Tage das letzte Album der American Recordings von Johnny Cash und bittet damit zu einem verabschiedenden Salut auf einen musikalischen Helden.

Was soll man noch über Johnny Cash schreiben? Er war eine Legende und wird es weiterhin bleiben. Die Worte zu seinem Leben und seinem bisherigen musikalischen Schaffen wurden bereits überall niedergeschrieben und verbreitet. Nun gibt es jedoch noch ein kleines Kapitel, das besprochen werden muss, bevor Herr Cash sich schlussendlich in den Musikolymp begeben darf: 1994 begab er sich auf eine Reise namens American Recordings, auf die ihn der amerikanische Produzent Rick Rubin einlud. Cash sollte ein letztes Mal in der Zeit der 90er Jahre versuchen, seinen Sound zu finden und das alles mit einer Mischung aus alten Gospel- und Folksongs, eigenen Liedern und Covern von anderen Helden wie Leonard Cohen, Tom Waits oder Kris Kristofferson. Bereits das erste Album dieser Serie gewann einen Grammy Award, wurde 2003 vom Rolling Stone auf Platz 364 der berühmten Liste der „500 Greatest Albums Of All Time“ gewählt und zeigte, dass Johnny Cash doch noch einiges zur Musikwelt beizutragen hatte. Drei weitere Alben folgten, bis einige Monate nach der Veröffentlichung von American IV: The Man Comes Around ein tragisches Ereignis den Fortgang bestimmen sollte: Johnny Cashs Ehefrau June starb im Mai 2003 und trieb den zurückgelassenen Ehemann voller Trauer in das Aufnahmestudio, wo er bis zum September 2003 mit Rick Rubin zusammen seine letzten Stücke aufnahm. Das Ergebnis dieser letzten Sessions sind das 2006 erschienene American V: A Hundred Highways und das nun folgende letzte Kapitel American VI: Ain’t No Grave.

Dennoch ist American VI: Ain’t No Grave keineswegs nur eine Sammlung postum zusammengewürfelter Songs, die man noch zufällig in den Tonstudioschränken gefunden hat. Rick Rubin behält den Stolz der American Recordings Reihe bei und zeigt mit diesem Album ein letztes Mal den gebrochenen Cash. Zu Boden geworfen vom Tod seiner Frau June und seiner Krankheit ist die Stimme dabei brüchig, beinahe schon resignierend und zurückhaltend. Nur ab und zu hebt er noch einmal den alten Bassbariton an und lässt damit ansatzweise den jungen Cash in ihm erkennen, der noch nicht verstummt ist. So ist bereits die erste Interpretation des alten Gospelblues „Ain’t No Grave“ das von Rick Rubin weise ausgewählte Ausrufezeichen, das den Kanon dieser letzten Reise klarmacht: Ketten rasseln, ein altes Klavier gibt den Marschtakt, in der Ferne hört man vereinzelt die Kirchenglocke schlagen, ein Banjo hält die Melodie und John R. Cash sitzt im Vordergrund, um jede Zeilen des Textes in Stein zu meißeln. „There ain’t no grave / Can hold my body down„. Die mystifizierte Auferstehung eines musikalischen Helden, der mit seinen letzten Songs anscheinend noch einmal alles bereinigen und Frieden finden will. Sei es mit „For The Good Times“ des frühen Kris Kristofferson, dem zurückblickende Folk-Song „Can’t Help But Wonder Where I’m Bound“ von Tom Paxton oder dem Country-Klassiker „Cool Water“ von Bob Nolan, hier geben sich Vergangenheit und Resignation die Hand und klingen beinahe schon wie das Ausklingen einer Gute-Nacht-Geschichte eines alten Mannes.

I Corinthians 15:55“ ist dabei der einzige Song, der noch aus der eigenen Feder Cashs stammt. Ein letztes Gebet des gläubigen Baptisten mit einem direkten Bezug auf den ersten Korintherbrief (15,55) des Paulus: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Aber der Stachel des Todes ist die Sünde; die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.“ Und so faltet der „Outlaw“ mit diesem Abgesang auf das weltliche Gesetz ein letztes Mal die Hände und verabschiedet sich mit dem Abschiedssong „Aloha Oe“ der letzten Hawaiianischen Königin Lili’uokalani aus diesem Album und zum Teil auch aus dieser Welt. Wieviel Absicht und Vorausschauung bei der Auswahl der Songs für seine letzten Aufnahmesessions Johnny Cash im Sinn hatte, sei einmal dahingestellt. Wichtig ist viel mehr, dass Rubin es geschafft hat, die American Recordings zu einem versöhnlichen, spirituell fordernden und gleichzeitig auch hoffnungsvollen Ende zu führen, ohne dabei auf die Schiene einer überflüssigen postumen kommerziellen B-Seiten-Sammlung zu geraten. Dies ist viel mehr das Geschenk an einen alten Freund, mit dem Rubin nach einer Aussage die glücklichste und schönste Zeit in seinem Leben verbracht hat. Nach dem Genuss dieses Albums und der kompletten American Recordings kann man sich dies lebhaft vorstellen. John R. Cash, Aloha ‚oe.


„American VI: Ain’t No Grave“ erscheint am 26.02.2010 bei Universal Music.

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