Es gibt bestimmt so einige, die sich in einem ruhigen Moment des Zuhörens fragen: Was verdient der- oder diejenige, der oder die da gerade meinen Top-Lieblingssong abliefert denn so?
Das ich jetzt nicht von Robbie Williams rede, sollte klar sein. Wen aber interessiert, wovon z.B. die Gruppe Sport oder Nagel von Muff Potter so leben, der sollte mal in Wovon lebst du eigentlich? reinschauen.
Wovon lebst du eigentlich ist ein kleines Taschenbuch, das sich genau mit der titelgebenden Frage beschäftigt – ausschließlich und in Interview-Form. Gefragt werden dies u.a. Musiker, aber auch andere „freie Kulturschaffende“: Fotografen, Galeristen, Journalisten, Autoren, Schauspieler undsoweiterundsofort. Alles in allem Menschen, die – zumindest wenn man es erst einmal einseitig-naiv betrachtet – Traumjobs haben. Seit den 80ern setzte sich der „Beruf“ Künstler immer mehr als Wunschvorstellung vieler durch, dass dann oft mehr Berufung denn Beruf ist wird im vorliegenden Interviewband mehr als deutlich.
Wer träumte nicht schon mal davon, als Musiker mit seiner Musik Geld zu verdienen, durchs Land zu reisen und zu spielen. Oder als Maler in Galerien auszustellen und damit über die Runden zu kommen. Oder als Fotograf coole Bands für IntroSpexVisionsMusikexpress abzulichten. Oder gar ein eigenes Buch schreiben. Das selbst das „über die Runden kommen“ damit zum Abenteuer werden kann verdrängt man zunächst, und nur in Einzelfällen dringt es bis zur Wahrnehmungsgrenze vor – wie in Nagels Buch Wo die wilden Maden graben teilweise schon deutlich wurde.
Aushilfs- oder Minijobs, oder vielfach Dauerbeschäftigung, um die Miete zahlen zu können und den Traum der eigenen Kunst leben zu können. Was man hier erfährt ist also zu allererst vor allem eins: ernüchternd. Und dann: interessant und fesselnd. Interessant vor allem, wenn man selbst (zumindest wahrscheinlich) irgendwann mal in dieser Situation landen wird, eine Situation über die sonst trotz des umfangreichen „Kulturbetriebs“ so gut wie niemand spricht. Interessant auch zu sehen, wen dies alles betrifft (z.B. dass Sibylle Fendt die ja auch für die bekannten Musikjournallie fotografiert und von der Neon zu den 100 wichtigsten Deutschen gezählt wurde, danach quasi keine Aufträge mehr bekam und zeitweise vom Kredit ihrer Eltern gelebt hat), und wie damit umgegangen wird.
Fesselnd wird es dann im Einzelnen. Dass Die Gruppe Sport Sänger Felix Müller noch bei Kante spielt weiß man, auch dass Bassist Christian Smukal nebenbei einen Musikalienverleih führt, dass Schlagzeuger Martin Boeters neben einem mehr-oder-weniger Herzjob als Soundmensch in der Astrastube vor allem Pizza ausfährt dann schon eher nicht. Wer sich schon immer gefragt hat, wie man sowas Verrücktes wie Die Reise ins Glück fabrizieren kann, Wenzel Storch erzählt schonungslos die fast zehnjährige Entstehungsgeschichte des Trashmeisterwerks. Oder dass Bejamin Quabeck (fame of Nichts bereuen und Verschwende deine Jugend) zwar einen Sportwagen hat (Lotus Esprit), den aber am liebstens nachts allein über die Landstrassen jagt, weil es ihm peinlich wäre zu protzen und vor allem über 5 Jahre weder Urlaub noch Wochenende hatte.
Man kann es den Autoren Jörg Morisse und Rasmus Engler danken, meistens die richtigen Interviewpartner gefunden zu haben, die nur an wenigen Stellen langweilen. Englers Einfluss wird vor allem dann sichtbar, wenn man merkt, dass die meisten Befragten (und wenn nur nebenbei) auch noch Musik machen oder mit Musik zu tun haben, was nicht verwundert ist er doch seines Zeichens sowohl freier Mitarbeiter bei Intro und anderen als auch und Musiker bei Herrenmagazin, das Bierbeben und weiteren.
Es wird deutlich: Kulturschaffend sein kann ein Leben am oder Existenzminimum nach sich ziehen, bietet andererseits sehr viel Freiheit und Inspiration. Oft funktionieren soziale Netze jenseits der Bürgerlichkeit als Auffangsysteme, die meisten finden es gut, selbstbestimmt arbeiten zu können – „keinen Chef vor der Nase zu haben“. Dass das letztlich oft zur Selbstausbeutung führt, wird einkalkuliert. Oder, wie Nic Koskowski es auf den Punkt bringt, eingeschränkt empfehlenswert.
Jörn Morisse, Rasmus Engler
Wovon lebst du eigentlich?
Vom Überleben in prekären Zeiten
Piper 2007
ISBN 978-3-492-25065-8