Draußen Gemunkel: „Meinst du, das ist wirklich bestuhlt? So wie im Theater?“, „Könnte ich mir schon vorstellen, weil tanzen.. bei der Musik? Ich weiß nicht..“, „Aber die ganze Zeit still sitzen? Das geht doch auch nicht – bei der Musik.“ So die Stimmung bevor man den großen Saal der Marburger Stadthalle betritt, wie zuletzt wahrscheinlich zu einer Theateraufführung zu Grundschulzeiten. Tatsächlich erwarten einen dort kuschelige Kinosessel in Reih und Glied und verlangen, dass man sich nun festlegt, von welchem Platz aus man José González den ganzen Abend über lauschen möchte.
Der Gong schlägt ein paar mal, der Saal wird dunkel. Ab und zu huschen kurze Lichtstrahlen über die Wände und Köpfe, wenn vereinzelte Nachzügler die Türen öffnen und überrascht nach einem Sitzplatz suchen. Der in Berlin geborene und unter dem Namen Death Vessel musizierende Amerikaner Joel Thibodeau betritt die Bühne, rüttelt am Verstärker, stimmt seine Gitarre und fängt an Lieder vorzutragen, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Einfache Lieder, die meist nur aus wenigen wiederholten Worten und netten Folk-Melodien bestehen, aus Gitarrenpicking, ein bisschen Fingerschnippen und Gesang allein und damit schon bestens auf den weiteren Abend vorbereiten. Stimmlich bewegt sich Joel, der schon für Beck oder Iron & Wine die Bühnen angewärmt hat, in etwas höheren und energischeren Gefilden als der Mann, auf den hier alle warten; kann sich durch sein freudiges Auftreten aber definitiv die Sympathien der Marburger erspielen. Viele haben sich entspannt zurück gelehnt und lauschen mit einem Lächeln im Gesicht.
Gong, Pause, wieder Gong. Praktisch eigentlich. Punkt neun Uhr nimmt Herr González von einem Spot von oben beleuchtet auf dem Bühnenpodest Platz und beginnt mit „Deadweight on Velveteen“ von seinem Debutalbum „Veneer“. Vom ersten Saitenanschlag an ist ihm das Publikum ergeben, teils gespannt nach vorne gereckt, teils genießend in die Sessel versunken – verblüfft wie viel Rhythmik, Dynamik und Stimmung man mit einer einzigen Gitarre erzeugen kann. Nach den ersten Songs stellt sich der Mann mit den magischen Fingern, dem ernsten Blick und der zarten starken Stimme auf Deutsch vor. Der zögernde Zusatz „aus Schweden“ erntet sowohl Lacher von denen, die das noch nicht wussten und für einen Scherz halten, als auch von denen, die nur zu gut wissen, wie oft man schon erklären musste, dass er eben kein richtiger Spanier oder Südamerikaner sei.
Bei der nächsten Hand voll Stücke lässt er sich von Joel Thibodeau und einem weiteren Gastmusiker mit Perscussions und Bongos unterstützen. Begleitet von Leinwandprojektionen von tanzenden Pferden, Überwachungskameras, wankenden Bäumen, funkelnden Sternen und Gorillaköpfen werden Lieder wie „Stay in the Shade“, „In our Nature“, „Lovestain“ oder „Remain“ ohne größere Ansagen hintereinander weg gespielt, als ob die drei alleine im Übungsraum sitzen würden. Man könnte sich auch gerade im Kino einen Konzertfilm anschauen. Wieder ganz alleine auf der Bühne entsinnt sich José wieder dem Publikum und sagt nochmal kurz „Hello“ bevor er seine bisher bekanntesten Stücke„Crosses“ und „Heartbeats“ nacheinander zum Besten gibt. Nur wenige trauen sich die magische Stille der andächtig Lauschenden im Saal durch leises Mitsingen zu durchbrechen. Umso tosender bricht im Anschluss der Applaus ein.
Nach dem großartigen „Cycling Trivialities“ und der Über-Coverversion „Teardrop“, die fast so frenetisch gefeiert wird wie im November in der Massive Attack-Heimatstadt Bristol, soll nach knapp einer Stunde schon Schluss sein mit diesem schon fast zu perfekten und etwas zu distanzierten Gitarrenkonzert erster Güte. Es folgen noch zwei Zugaben, einmal solo und ein weiteres Cover zu dritt („Hand on your Heart“ von Kylie Minogue?), dann wird es wieder hell im Saal. Mein Hintermann:„Schon rum? Ich glaub, Theater geht auch nie länger.“ Draußen werden Flyer für Kettcar verteilt – mit der Aufschrift „Unbestuhlt“ – zum Glück oder schade eigentlich?