Ende November brachte die Kölner Band Locas In Love ihr famoses Konzeptalbum „Winter“ auf den Markt.Nachdem das geplante Interview vor dem Konzert im Grünen Jäger leider abgesagt werden musste, wurde es nun per E-Mail nachgeholt. Gesprochen (oder besser geschrieben) wurde über eben dieses Album, den Winter und über ein Teleshop-Werbevideo als Mittel zum Erwartungsbruch.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen ein Konzeptalbum über den Winter zu schreiben?
Anfang des Jahres im Kölner Plattenladen ‚Parallel‘, umgeben von den unterschiedlichsten Weihnachtsalben der Popgeschichte, die dort alljährlich im Dezember das Schaufenster dekorieren war es eine spontane Idee, auch mal zu diesem Thema eine Single oder ein Album zu machen. Das ‚Weihnachtsalbum‘ ist eine alte und lange Tradition in der Popmusik: Johnny Cash, Elvis, Beach Boys, Beatles bis zu Aimee Mann, Sufjan Stevens und Low, aber ansonsten wagen sich Indiebands nicht an das Thema ran, besonders nicht in Deutschland, da ist der Winter und besonders Weihnachten fest in der Hand von Schlager und Wham. Was uns daran reizte – außer sich einzureihen in diese große Tradition der Weihnachtsalben – war aber auch die Einschränkung: der normale Prozeß, Platten zu machen, geht so daß über den Zeitraum von 1, 2, 3 Jahren Songs geschrieben und gesammelt werden, dann geht man ins Studio und macht die Platte, die dann die seit dem letzten Album vergangene Zeit zusammenfaßt. Wir haben uns inhaltlich, ästhetisch und sogar terminlich eingeschränkt und in ganz kurzer Zeit alle Stücke geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht. Sich selber einzuschränken und absichtlich Grenzen zu setzen ist manchmal eine Herausforderung, die gut tut und Spaß macht, so wie zB das Dogma 95. Strikte Grenzen kreativ auszufüllen kann manchmal spannender sein als ein ‚anything goes‘.
Welche Bedeutung hat Weihnachten für euch?
Als christliches Fest keine große, wir sind eine sehr säkularisierte Band. Natürlich sind aber auch wir nicht frei davon, daß wir an Weihnachten die Reise zur Familie antreten und damit in die eigene Vergangenheit, zurück an den Ort, wo man zur Schule gegangen ist, wo man (egal wie man sich in der Stadt neu erfunden hat) immer wieder Kind ist, eine feste Rolle erfüllt, wo die Zeit wie eingefroren ist und alles immer wieder genau so ist, wie es immer war; was schön sein kann, Harmonie, Beständigkeit oder Sicherheit bedeuten kann, aber auch oft Scham, Schuld, Schmerz, Demut, Peinlichkeit. Die eigene Geschichte ist voller Ambivalenz und man ist ihr selten so intensiv ausgesetzt, wie man es regelmäßig in der Weihnachtszeit ist. Damit kommen wir unterschiedlich gut zurecht.
Was gefällt euch so am Winter? Was ist mit anderen Jahreszeiten?
Man kann nicht sagen, daß wir den Winter besonders mögen oder ihm ein Denkmal setzen wollten, weil wir ihn so lieben. Es ist auch nicht wirklich eine Platte über den Winter, es ist eine Platte FÜR den Winter, wenn es kalt ist, man zB ausgebrannt, leer und desillusioniert ist. Es ist die Jahreszeit, die einen am ehesten ins Schneckenhaus zwingt: weil es kalt ist und die Tage schon am Nachmittag vorbei sind, ist es eher eine Jahreszeit, wo man sich nach innen zurückzieht, wörtlich und im übertragenen Sinn. Und das ist ja eher ein Anfang, ein Ansatzpunkt, um Stücke zu schreiben als zB im Sommer an den Baggersee zu fahren.
Gibt es auch etwas was ihr am Winter überhaupt nicht abkönnt?
Eine ganze Menge. Wir haben ein ganzes Album zu dem Thema gemacht, auf dem das meiste gesagt wird, was wir dazu zu sagen hatten. Er hat erhabene, wunderschöne Seiten und Schattenseiten, beide sind deutlicher und offensichtlicher als bei jeder anderen Jahreszeit.
Wie waren bisher die Reaktionen auf euer neues Album?
Wir hatten mehr Skepsis erwartet, weil es so ein Wagnis war, eine solche Platte auf diese Weise zu machen und ein Schritt, den so niemand erwartet hat. Oft kommt es schlecht an, wenn man nicht bereitwillig die gestellten Erwartungen erfüllt und nicht einfach immer wieder dieselbe Platte macht – und so rechneten wir durchaus damit, daß viele Leute richtig enttäuscht sein werden, daß wir nicht einfach nochmal SAURUS raushauen wollten, nochmal Lieder wie ‚Sachen‘ usw. Aber nahezu alle haben verstanden, was wir mit WINTER im Sinn hatten und haben das Album mit offenen Armen empfangen, es verschenkt oder sogar mit ihrer Familie angehört. Es wurde auch viel mehr davon verkauft, als wir je erwartet hätten, wir glaubten als wir anfingen, über das Album nachzudenken, daß wir ein paar hundert Alben in Heimarbeit herstellen und es eher ein gebasteltes Fans-only-Ding wird, aber wir sind jetzt einen Monat nach Veröffentlichung schon in der dritten Auflage. Auch auf der Tour hatten wir den Eindruck, daß die Leute, die sich überhaupt für Locas In Love interessieren, zu einem ganz großen Teil sehr feine Menschen sind, die verstehen können, wie wir als Band und Menschen funktionieren (und auch wie nicht) und deshalb nachvollziehen konnten, warum wir WINTER gemacht haben; und auch, daß sie das Album sehr mögen.
Ihr habt eure Lieder ja sowohl in Köln als auch in New York aufgenommen.War es nicht ziemlich schwierig den Kontrast zwischen diesen beiden Städten auszugleichen? Vor allem da New York ja nicht wirklich für Ruhe und Besinnlichkeit steht.
Nein. Wo ein Raum ist, in dem man Aufnahmen macht, ist nicht wirklich maßgeblich.
Ihr habt ja auch in Amerika Konzerte gegeben. Gab es Unterschiede zum deutschen Publikum?
In der Weise, wie ein Publikum uns wahrnimmt, ja. Wenn man in einer Sprache singt, die kaum einer versteht, verlieren die Texte an Bedeutung, die Musik und wie die Band sie spielt rücken in den Vordergrund. So ganzheitlich wahrgenommen zu werden ist für eine Band als Kollektiv schön, weil es ihrem Selbstverständnis entspricht. Auch dadurch, daß mit Sam ein New Yorker als Teilzeitmitglied bei den Locas spielt, der kein Deutsch spricht, aber dennoch die Stücke verstehen will und einen eigenen, nicht textbasierten Zugang zum Gesungenen und der Musik findet, verändert die Perspektive, die wir selber zu unseren Sachen haben. In Deutschland fällt es uns viel schwerer, zu sagen, worum es in Stücken geht, weil wir dem Publikum mit einer Erklärung keinen bestimmten Zugang vorschreiben möchten. In den USA fiel es uns leichter, weil wir dem Publikum dadurch lediglich etwas an die Hand gaben, was es dann aber nicht im Text, sondern im kompletten Musikklumpen suchen konnte, wenn es wollte.
Wie seid ihr auf die tolle Idee mit dem Werbevideo gekommen?
Wir hatten Lust darauf und die Möglichkeit, diese Sendung zu drehen und Spaß daran, etwas zu machen, was über ’normale‘ Videos, Anzeigen oder andere Promomaßnahmen hinausgeht.
Dabei entstand etwas, das genauso unerwartet ist wie ein Weihnachts- oder Winteralbum. Es bereitet uns Vergnügen, mit Erwartungen oder Konventionen zu spielen und sich einen Dreck darum zu scheren, was ‚man darf‘ und was tabu ist, wenn man eine Indieband sein möchte; diese spießigen Regeln, wie man sich zu verhalten hat. Teleshop als eigenes Medium anzuerkennen und sich künstlerisch zueigen zu machen ist interessanter, als Teleshop zu veralbern und eine ironische Persiflage darauf zu machen, bei der jeder Depp merkt, daß man sich darüber lustig macht. Vielen ist völlig unklar, ob diese Sendung ‚echt‘ ist und wirklich im Fernsehen lief (die meisten ahnen oder wissen es natürlich, ob oder ob nicht). Bei einer Band, wie wir sie sein wollen, geht es nicht darum, wie man von außen wahrgenommen wird, sondern vielmehr darum, Dinge zu tun, die man selber gut findet, die uns Freude machen, uns unterhalten, uns wichtig sind – und das ist dann das Angebot, das wir machen, die Einladung, die wir aussprechen: daran teilzunehmen.
Ihr besteht ja immer darauf, dass „Winter“ nicht euer drittes Album ist. Gibt es schon Planungen für das „richtige“ dritte Album?
Wie schon kurz angesprochen sind die meisten Bands in einem dauerhaften Prozeß, in dem ein Album abgeschlossen wird und das nächste in einem fließenden Übergang begonnen. Alben machen und auf Tour gehen ist ja ein großer Teil dessen, woraus Bands ihre Existenzberechtigung ableiten. Und so sind wir auch dabei, an Album Nr. 3 zu arbeiten, müssen aber noch sehen, wie sich alles entwickelt. Wenn alles nach Plan läuft, sind wir etwa im Sommer bereit, ins Studio zu gehen. Uns selber wäre es am liebsten, Ende des Jahres das Album herauszubringen. Mehr können wir dazu noch nicht sagen. Wir wollen natürlich wieder etwas machen, was unerwartet ist – oder Erwartungen übertrifft. Das beinhaltet aber eben auch, daß wir es nicht planen KÖNNEN, denn um etwas Überraschendes zu machen muß man erstmal sich selber überraschen. Und das kann auch bedeuten, daß wir wieder Anflüge von Wahn bekommen, alles verwerfen und erst in fünf oder zehn Jahren ein drittes Album haben. Es gibt Pläne, Hoffnungen und Idealvorstellungen, aber es gibt eben auch die Wirklichkeit. Und die ist nicht so in Bahnen zu lenken wie die eigene Phantasie.