Es ist zum Verzweifeln mit Phillip Boa. Nach einem gefühlten Jahr veröffentlicht der einstmalige Independent-Avantgarde der Bundesrepublik wieder ein Album. Man zittert schon vor dem Erscheinen der Platte „Diamonds Fall“ angesichts der letzten Veröffentlichungen mehr um dessen künstlerische Relevanz als dass man sich über neue Songs freut.
Ähnlich wie etwa die Einstürzenden Neubauten kämpft Phillip Boa & The Voodooclub seit Mitte der Neunziger Jahre gegen das Damoklesschwert seines vergangenen Ruhms an. (Es ist jedoch zugegeben kein Kampf, den er selbst begonnen hätte, sondern ein Kampf, in den man den Musiker Boa „hinein liest“.) Da waren einst Weg weisende gefeierte Alben wie „Copperfield“ oder „Hair„, gefüllte Konzerthallen, internationale Beachtung. Heute ist bei Phillip Boa die Luft raus – eher noch als der Wurm drin. Nach der Wiedervereinigung, dem zeitweiligen Weggang der Sängerin Pia Lund, dem Aushauchen eines markanten Achtziger-Sounds folgten viele Alben, die in puncto Qualität und Relevanz an die vorherigen Werke nicht heran zu reichen vermochten. Im Unterschied zu den Berliner Anarcho-Kollegen ist es Phillip Boa im Laufe seiner musikalischen Karriere nicht gelungen, diese Lücke zu füllen und sich so einen neuen Kreis an Fans zu erschließen.
Das eine Rezension einer neuen Platte nicht um diesen Fakt herum kommen kann, liegt wohl darin begründet, dass Boa selbst immer wieder dieses ihm vorgeworfene Scheitern, den Fluch der Vergangenheit und ebenso die Liebe zu jener in seinen Liedern thematisiert. Dieses Mal heißt dieser ironische Song „60’s 70’s 80’s 90’s„. Es ist gleichzeitig das erste Stück auf der neuen Platte, bei dem ich nicht halb gelangweilt dachte: „Schade – schon wieder eine Chance vergeben.“ (Und mit dem folgenden nervösen „DJ Baron Cabdriver“ leider auch das einzige.) In „60’s 70’s 80’s 90’s“ blitzt noch einmal etwas von jener Heterogenität auf, für die man den Avantgarden schätzte: Jene Kaltschnäuzigkeit, die in seinem Sprechgesang liegt, die von Pia Lund harmonisch umsäuselt wird.
Es wäre jedoch unvernünftig eine Kritik zu äußern, die mit dem Vorschlag endete, dass es ewig hätte so weiter gehen sollen. (Es hätte nicht ewig so weiter gehen können!) Mit dieser Kritik ist keine Abneigung gegen Veränderungen gemeint. Offensichtlich ist nur, dass bei Boa keine Veränderung eines musikalischen Stils, sondern lediglich eine Abschaffung eines Stils stattgefunden hat, an den letztlich aber nichts „Neuartiges“, Eigenes oder zumindest Markantes getreten ist. Selbst bei den Jahr ums Jahr neu aufgelegten – nebenbei bemerkt wunderschönen – Pressefotos zitiert sich Boa ins seiner Inszenierungsweise konsequent selbst: Haare werden ins Bild geschüttelt, Hände verquer stellt, es wird sich gewendet und gewindet. Habe ich dieses Bild nicht schon vor zehn Jahren gesehen?
Leider gelang es auch nicht durch die Mitwirkung der Schlagzeuger-Legende Jaki Liebezeits von CAN, dieses altersmilde Album zu retten. Selten hat man mit „Lord Have Mercy With The 1-Eyed“ so eine mittelmäßige und weich gespülte Single gehört. Ist dies etwa der umjubelte Einfluss von Klez.e-Kopf Tobias Siebert, der seit dem letzten Album als Produzent fungiert? Als jemand der Phillip Boa wirklich schätzt, ertappe ich mich mit jedem neuen Album immer wieder dabei, eben jenes relativ schnell in der Plattensammlung verschwinden zu lassen und zu Platten alter Tage zu greifen. Diese Wolke scheint Boa zu verfolgen. Ironischerweise hat er zu Recht dennoch seinen Platz in der hiesigen Musiklandschaft.
„Diamonds Fall“ erschien am 13. Februar 2009