Es sollte der Abend der Formkurven werden. Während Strike Anywhere mit ihren Songs mittlerweile ins Nirwana galoppieren und wenig, bis gar nichts Neues zu bieten haben, gehen Rise Against den umgekehrten Weg.
Vom Standard Punkakt zu einer Band mit musikalischer Klasse und kritischem Blick auf ihre Umwelt. Die Band um Sänger Tim MacIlrath vereint Punk und Hardcore mit eingängigen Melodien und verdanken dabei einen Großteil des Erfolgs der eigenen Glaubwürdigkeit und lösen sich mit Leichtigkeit aus dem Schatten der Against-Bush-Bewegung.
A propos Formkurven. Die zeigt auch beim Opener des Abends nach oben.
Rentokill aus Österreich haben die besondere Gabe des Einfallsreichtums zwar auch nicht für sich gepachtet, verstehen es aber sich mitreissend zu präsentieren. Da fließt viel Energie und Spielfreude auf der Bühne, die Posen stimmen und einige beachtliche Songmomente sind auch dabei. Prädikat: Mal auf Platte rein hören und im Auge behalten. Aus ganz anderen Gefilden kommen Strike Anywhere. Während die Band aus den Vereinigten Staaten routiniert auf der Bühne steht und ihr Sänger Thomas Barnett gefühlte 50 Mal zu einem gut gemeinten Hocksprung von einer Bühnenseite zur anderen ansetzt, fühlen sich die Songs nicht mehr so gut, nicht mehr so frisch, wie früher an. Natürlich hat die Bands ab dem Album Exit English tolle Hits produziert, die auch an diesem Abend eine tragende Rolle spielen, aber betrachtet man die Schnittmenge der Songs an diesem Abend, wird deutlich, dass Strike Anywhere mit ihrem Sound stagnieren. Diesbezüglich sei ausserdem die These aufgeworfen, ob die Regierung Bush nicht für die ein oder andere Band, trotz und gerade wegen der breiten Proteste gegen ihn, zum Katalysator für den Erfolg einiger Kombos wurde.
Viele Punkbands, Strike Anywhere vorne an, verschrieben sich 2003 dem Kampf gegen den amerikanischen Ex-Präsidenten und sprangen damit auf einen Zug auf, der weltweite Symphathie fand und vor allem junge Hörer lockte. Mit der Wiederwahl des Präsidenten im Jahre 2004 verlängert sich gleichzeitig die Lebzeit vieler dieser Bands. Rock-Against Bush Sampler hatten weiterhin Konjunktur und es fiel leicht Massen von Hörer unter einem Banner zu einen und den Soundtrack zu ihrem Protest zu schaffen. 2009 wurde nun Obama vereidigt und die Welle des Protestes gegen den Ex-Präsidenten, der sein Land in einen unübersichtlichen Krieg geführt hat, ist vorbei. Wie viele Bands gleichzeitig mit ihm in der Versenkung verschwinden werden gilt es zu beobachten. Die Posen und Ansagen von Strike Anywhere jedenfalls wirken blutarm und wenig variabel, der Sound leicht monoton. Als Sänger Thomas Barnett verkündet sie hätten noch drei weitere Songs in der Setlist ist jedem klar: In sechs Minuten ist das Gastspiel der Band in Bielefeld vorbei. Die aussergewöhnlichen politisch-kritischen Lyrics der Band dagegen werden hoffentlich nie zur Gänze verblassen. Auch Rise Against waren irgendwie Teil der Bewegung gegen George W. Bush, so veröffentliche die Band im Jahre 2003 ihr Album Revolutions per Minute auf dem Label des NoFX-Mitgliedes Fat Mike, der als einer der Vorreiter der „Against-Bush“ Kampagnen erachtet werden darf.
Doch Rise Against sind anders, entwickeln sich über die Dauer von zehn Jahren stetig und werden erst über die folgenden Alben zu der Band der sie heute sind. Die Kritik an Konsumgesellschaft, an Politik und Ausbeutung der Natur schleichen sich langsam in Tim MacIlrath Texte und sind mit ihrer Bebilderung vielseitiger als andere Kollegen des Genres. Was Rise Against an diesem Abend darbieten zeigt darüberhinaus, dass die Band musikalisch stetig zusammengewachsen ist. Was als einfacher Punkrock begonnen hat, ist heute komplexer, härter, melodiöser und wenn man genug Vorstellungskraft aufbringt sogar stadiontauglicher. Die Songs stehen an diesem Abend zumeist für sich. Nur einmal lässt sich MacIlrath zu einer längeren Ansage hinreissen und schwört das Publikum eindrucksvoll ein. „Wir alle zusammen sind mehr als die Wände aufhalten können“, lautete der ungefähre Credo. Ein Halten gibt es bei den meisten ohnehin nicht. Rise Against starten mit Under the Knife, und versetzen mit den großartigen Collapse und Re-Education das Publikum in Ekstase. Die auf der Bühne montierten Lichtmasten und die wechselnden Bühnenbanner wirken dabei etwas protzig, verfehlen aber ihre Wirkung nicht. Gänsehaut wird obendrauf serviert als Mac Ilrath die akustischen Hero of War und Swing Life Away zum Besten gibt. Sein Potential als Frontmann und Sänger ist mittlerweile unüberhörbar. Sowohl singender wie auch besonders schreiender Weise hat der Veganer mit den unterschiedlichen Augenfarben ein herrliches raues Organ, dass auch live die starken Melodien kraftvoll rüberbringen kann. Rise Against beschließen ihr Konzert mit Prayer for the Refugee, das so eindringlich gerät, dass es die Sinne schärft.