So ein Best-Of-Album ist gar keine leichte Angelegenheit. Zumal wenn man eine Indie-Band ist – oder zumindest immer mit diesem erdrückenden Begriff zugekleistert wird. Es passiert nicht selten, dass die Sympathiepunkte eingefleischter Fans durch eine solche Veröffentlichung empfindlich angekratzt werden. (Fast so schlimm wie durch einen Labelwechsel.) Oder aber die Gefahr ist groß, dass all jene, welche der Musik sowieso abgeneigt waren, sich plötzlich als Marktstrategen entpuppen und die große Verschwörung wittern.
Aber, so viel kann versichert werden: Tocotronic sind wohl auf. Und so viele Fans dürften sie durch ihr 2006 erschienenes Best-Of-Album dann doch nicht verloren haben. Eben jenes wurde im Zuge der zweiten Wiederveröffentlichungswelle vergangene Woche – getreu dem Motto „Alles muss im Überfluss vorhanden sein“ – gemeinsam mit dem eskapistischen „Pure Vernunft darf niemals siegen“ und „10th Anniversary“ als Re-Release auf den Markt gebracht. Man veröffentlichte es auf dem bandeigenen Label Rock-o-Tronic Records. Ähnlich wie beim selbst betitelten, so genannten „Weißen Album“ dient der erneute Release wohl mehr dazu, die ganze Platte erstmal wieder allgemein verfügbar zu machen.
Laut der Band selbst, sei „The Best Of Tocotronic“ eine Ansammlung ihrer größten Triumphe und erscheint wohl auch deshalb stilgerecht in goldenem Glanz. Ist es ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass Tocotronics Debüt „Digital ist besser“ mit fünf von 21 Songs vergleichsweise überrepräsentiert ist? Wird hier die Einstellung „Die waren cool, aber nur die alten Sachen“ etwa durch die Band selbst bestätigt? Am Ende kann man nichts weiter als darüber spekulieren.
Oder einfach mit Staunen erleben, wie sich diese Band seit 1994 gewandelt hat. Verdeutlicht doch diese Zusammenstellung am besten, welch wundersame Wendungen und Entwicklungen auf dem Weg zwischen dem von schrammeligen Gitarren begleitetem Hass auf Tanztheater und dem pompös arrangierten „Hi Freaks“ liegen. Von alt gedienten Gassenhauern wie „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ mit dem einfachsten und zugleich unglaublichsten Gitarrensolo, das selbst Nirvana nicht besser hinbekommen hätten, über musikalische Exkursionen des Schlagzeugers Arne Zank und eingängigen Hits wie „Jackpot“, bis hin zum antipatriotischen Discosong „Aber hier leben, nein danke“ sind alle Phasen der Band vertreten. Mit einer fulminanten Spielzeit von 79 Minuten endet die CD bis an den Rand bepackt mit dem träumerischen Lawrence-Remix des Stückes „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Natürlich, für Fans ist das nicht ausreichend und es fehlen lieb gewonnene Stücke, aber die Aufgabe einer Best Of – nämlich die Lieder, die wohl am konsensfähigsten sind in einer stimmigen Anordnung zu präsentieren – wurde sehr wohl erfüllt.
Dazu erhält der interessierte Hörer noch ein 28-seitiges Booklet mit Linernotes. Die Bonus-CD der limitierten Erstauflage mit einer Vielzahl an rarem Material wurde nicht neu aufgelegt, das ist zu bedauern und auch unverständlich. Die CD erscheint nicht im Digipak und auch das Booklet enthält nicht alle schalkhaften Fotos der Erstedition. Neue Bonustracks gibt es ebenfalls nicht. Schade drum. Aber man muss ja auch nicht immer alles schmackhafter machen wollen als es sowieso schon ist.
Letztendlich bleibt es ein Best Of. Und Best Of-Alben, auch die guten, sind bis zuletzt immer fragwürdige Angelegenheiten, über die man vortrefflich streiten kann – aber nicht muss. Die man kaufen kann – aber nicht muss. Ein Angebot für alle, welche die Musik der Band Tocotronic noch nicht kennen, aber kennen lernen wollen. Alles für alle.