Das Ballhaus Berlin wirkt wie ein Überbleibsel aus den Goldenen Zwanzigern, versteckt im Hinterhof, rot beleuchtet und schummerig drinnen. Die antiken Telefone an den Plätzen mit den kugeligen Laternen zeugen aus einer Zeit, in der man genauso scheu vor direkter Kommunikation war wie heute. Eine enge Wendeltreppe führt auf einen Balkon mit separater Bar und winzigen Tischen. Von da oben hat man den besten Blick auf das illustre Geschehen unten. Für das Konzert heute sind die Tische weggerückt, die Telefone abgedeckt und die Bühne allein für die Band reserviert. Man braucht den Platz. Die Gästeliste ist so lang, dass ich mich frage, ob es überhaupt zahlende Gäste gibt. An der Tür prangt mit großen Lettern das Wort „Ausverkauft“.
Tom Schilling & The Jazz Kids spielen heute ihr Abschlußkonzert ihrer kleinen Tour. Tom Schilling macht eigentlich schon länger Musik, nur so richtig öffentlich wurde das erst im letzten Jahr. Im Juni 2015 gibt es einen Geheim-Gig in der Bar des Deutschen Theaters, von dem letztendlich so viele Leute wissen, dass man sich reindrängeln muss. Man ist neugierig. Tom ist aufgeregt. Das ist nachvollziehbar, aber unbegründet, denn wer hier hingekommen ist, ist ihm wohlgesonnen. Es wird ein Erfolg. Die Musiker um ihn herum hat er bei den Dreharbeiten zu „Oh, Boy“ kennengelernt, der Soundtrack zum Film stammt u.a. aus deren Feder. Jan-Ole Gerster, der Regisseur, singt auf der Schallplatte, die nur zwei Songs auf den Rillen transportiert, im Chor mit. Es folgen Supports für Calexico und Element of Crime und schließlich in Berlin das erste Konzert von Tom Schilling&The Jazz Kids vor zahlendem Publikum im Roten Salon der Volksbühne. Auch da ist er noch nervös. Eigene Lieder singen ist halt etwas sehr Persönliches. Es ist der Tag, nachdem durch die Medien ging, dass die Pop-Ikone Prince unsere Welt verlassen hat. Mit hastiger Hand ist der Text von „When Doves Cry“ an den Rand der Setlist gekritzelt, Tom Schilling wird die Zeilen ins Programm einbauen, so wie vermutlich Hunderte von anderen Musikern auch, die gerade irgendwo live auf einer Bühne stehen. Ein paar Zeilen, die die Musikwelt verbinden. Eine schöne Geste.
Heute Abend,an diesem Herbsttag im Oktober,sind er und seine Musiker im Ballhaus Berlin zu Gast. In der erste Reihe stehen ein paar Film-Groupies, die ihn mit leuchtenden Augen anhimmeln. So ganz kriegt man den Schauspieler nicht aus dem Musiker heraus. Tom hat seine Nervosität abgelegt, die vergangenen Tour-Termine in diversen anderen Städten haben wohl dazu beigetragen. Routine macht sicher, obwohl damit auch ein wenig der Charme verloren geht. Die Aufgeregtheit hatte etwas sehr Symphatisches. Es geht los mit dem Song „In dieser Stadt“ und kein Opener passt wohl besser zu Berlin und zu diesem Ballhaus -mit Zeilen wie „Zwischen verdunkelten Laternen…“ und „In dieser Stadt kenne ich mich aus“. Er erzählt von seiner Jugend am John-Lennon-Gymnasium, das nur einen Steinwurf von hier entfernt liegt und von den Dreharbeiten, zu „Unsere Mütter, unsere Väter“ und seiner Inspiration zum Song „Rasteryjaev und Du“.
Seine Lieder gleichen melodischen Pop-Songs oder Chansons, besonders „Julie“, das eines der schönsten ist und daher auch einen Platz auf oben genanntem Vinyl gefunden hat. Schon das Intro malt das Bild eines Frühlingstages, mit vom Wind zerstreuten Blütenblättern in der Luft und einem leicht tanzenden wunderschönem Klavierspiel. Die Melodie setzt eine Schaukel in Bewegung, die das ganze Lied über nicht still stehen wird, mit einem Mädchen darauf-mit Julie.
Viele Lieder sind Liebeslieder, davon eines ein Schlaflied, dass er seinen Sohn widmet, der heute beim Konzert dabei sein darf. Es folgen „Kein Liebeslied“, Genug“, „In diesem Jahr“, Die Ballade von René“, „Draußen am See“ und „Kalt ist der Abendhauch“, mittlerweile genug Lieder für ein Album, das es demnächst auch geben wird, produziert von Moses Schneider (u.a. Beatsteaks, Tocotronic, K.I.Z.).
Als Zugabe gibt es den Song „Schwer dich zu vergessen“, ein sehr ehrliches und persönliches Liebeslied, das er seiner Frau widmet. Diesen Song haben später übrigens sehr gute Jazzmusiker aus Berlin gecovert und eine herausragende Jazzballade daraus gezaubert. Das nur am Rande. Mit „C2H6O“, eines der wenigen schnellen und tanzbaren Songs, wird dann der Partyteil des Abends eingeläutet. Als das Publikum immer noch nicht genug hat, gibt es noch eine Akustik-Zugabe. Die fünf Musiker stellen sich dicht nebeneinander ganz vorne an den Rand der Bühne und singen mit Inbrunst und sichtbarem Spaß „Fischer´s Song“– das Lied aus dem Film „Oh, Boy“. Was für ein Finale.