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"Wie Nudeln mit Parmesan"

Die Woche vor Pfingsten. Anruf bei Grand Hotel van Cleef, dem Label von Tomte. Der Meister höchstselbst meldet sich am Telefon. ?Hallo, hier ist Thees.? ?Äh, hallo, hier ist mainstage. Hättet ihr nicht Lust auf ein Interview bei Rock am Ring?? Gegenfrage: ?Um wie viel Uhr spielen wir da überhaupt?? ?Um Viertel vor sieben auf der Alternastage.? ?OK, geht klar, aber ruf mich kurz vorher noch mal auf dem Handy an, ich weiß ja jetzt noch nicht, wie aufgeregt ich dann bin.? ?Wird gemacht, bis dann.? ? So einfach kann das manchmal gehen.
Eine Woche später trafen wir Thees (Gesang, Gitarre) und Timo (Schlagzeug) kurz vor ihrem Auftritt auf der Alternastage. Und auch wenn eine gewisse Grundnervosität nicht zu verleugnen war, von echter Anspannung keine Spur?

<b> Euer neues Album ?Hinter all diesen Fenstern? wird gerade überall gelobt und als Riesenschritt nach vorn gefeiert. Weg vom Indie, hin zum ausgefeilten, aufwendig produzierten Gitarren-Pop. Seht ihr das auch so? </b>
<b> Thees: </b> Wenn man in einer Band spielt, ist einem das gar nicht so bewusst. Man kann die Entwicklung von den drei Platten nicht so abstrakt machen. Ich kann das gar nicht so sagen, ob das poppiger geworden ist. Für mich als Textschreiber ist es sogar eher die härteste Platte, weil sie am nächsten an meinem Leben dran ist. Von der Produktion her ist sie natürlich besser geworden. Das haben wir uns geleistet. Beim letzten Album war viel weniger Geld da. Da haben wir schon ein bisschen was riskiert, aber wenn man das ernsthaft machen will, kann man ja auch nicht so ein Geschrammel aufnehmen. Jedenfalls nicht so, wie wir das machen wollen würden?

<b> Wenn die Entwicklung so weiter geht, wie sieht dann die nächste Platte aus? </b>
<b> Thees: </b> Da ziehen wir uns musikalisch ganz zurück! Ich stelle mir das so vor, dass ich ganz allein singe und die anderen nur dirigieren. (lacht) Im Ernst: Das kann ich so nicht sagen. Was ich in fünf Jahren mache, weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht mal, ob ich in drei Monaten noch lebe. Diese Platte ist state of the art. Das ist Tomte 2003!

<b> Im Internet wird mehr über deine Texte diskutiert als über deine Musik. Stört dich das? </b>
<b> Thees: </b> Das ist halt das Schicksal wenn man deutsch singt. Auf Englisch ist die Stimme erstmal nur das fünfte Instrument. Vielleicht sind die Texte aber auch einfach so gut, dass man da so viel drüber reden kann. Oder sie bieten eine große Projektionsfläche. Es ergänzt sich halt wundervoll mit der Musik. Wenn man so Texte schreibt wie ich ? warum soll ich mich darüber aufregen? Dann könnte ich ja andere Texte schreiben.

<b> Im Booklet stehen Linernotes, also Erläuterungen zu jedem Text. Bleibt da noch genügend Interpretationsspielraum? </b>
<b> Thees: </b> Da wird mehr beschrieben, wie ein Song entstanden ist. Ich erzähl dir ja nicht, wie jede Zeile zu verstehen ist. Ich erkläre mehr einzelne Situationen und was ich damit verbinde. Da kann sich jeder seine eigene Welt zusammenbasteln. Es bringt Spaß, Sachen zu machen, die andere noch nicht gemacht haben. Wir wollten die CD so weit wie möglich weg vom Produkt bringen, deshalb ist es auch alles relativ aufwendig geworden.

<b> Trotzdem tappe ich bei manchen Texten im Dunkeln. Du bist wahrscheinlich der einzige, der alles versteht, oder? </b>
<b> Thees: </b> Ich weiß genau, was bei jeder Textzeile gemeint ist und in welcher Situation sie entstanden ist. Alle anderen müssen sich da ihren eigenen Reim drauf machen. Das macht es ja auch interessant, und ich habe auch schon viel gelernt, wie andere Leute das sehen und was die Texte für sie bedeuten.

<b> Was mich wundert: du schreibst sehr persönliche Texte, gibst viel von dir Preis, in den Linernotes wird der Fan aber gesiezt?</b>
<b> Thees: </b> Nur wer sich siezt kann sich später auch duzen!

<b> Wenn jemand nur deine Musik mag und sich für deine Texte überhaupt nicht interessiert ? was sagst du dem? </b>
<b> Thees: </b> Das ist völlig ok. Jeder kann mit Tomte machen, was er will! Wir leben ja angeblich in einer Demokratie ? da kann man wegen mir auch mit einem Panzer über die CD fahren! Wer wäre ich denn, wenn ich den Leuten sage, sie müssen sich die Texte durchlesen. Diesen Ansatz finde ich zu elitär!

<b> Es gibt ja viele Bands, die sagen, sie hätten anspruchsvolle Texte und deshalb auch verlangen, dass sich die Fans damit auseinandersetzen?</b>
<b> Thees: </b> Aber ich empfinde die Texte noch nicht einmal als anspruchsvoll. Das ist so wie? (überlegt) ?Nudeln mit Parmesan ? das ist kein anspruchsvolles Gericht, es ist halt irgendwas, was man jeden Tag essen kann.

<b> Aber kann denn jeder so schreiben wie du? </b>
<b> Thees: </b> Nein. Eine Band wie Tomte kann es nicht zweimal geben!

<b> Wenn in den nächsten Jahren ein Major bei euch anklopfen würde, hättet ihr da Interesse? </b>
<b> Thees: </b> Ich will da nichts ausschließen. Wenn ich bei einem Major unterschreiben würde, hätte das nur etwas mit Geld zu tun. Und zwar Geld, das ich sofort auf die Hand bekomme. Andere Gründe gibt es nicht!
<b> Timo: </b> Wir müssen uns nicht mehr verkaufen. Wir wissen, dass wir das über unser Label selbst machen können, und das wissen die Majors auch. Von daher müsste es dann ein wirklich annehmbares Angebot sein, bei dem wir wissen, dass wir gut damit fahren.
<b> Thees: </b> Es wäre halt mal eine Erfahrung eine Platte zu machen, wo man nicht bei allen Prozessen von Kopf bis Fuß drin steckt. Ich kann mir vorstellen, dass es extrem relaxed ist, wenn man einer großen Plattenfirma sagen kann: ?wir haben alles erreicht, kommen jetzt nicht weiter, macht ihr das mal!? Einfach, um sich selbst auch mal ein bisschen zu unterhalten?
<b> Timo: </b> Das Schlimmste ist, wenn man als junge Band einen Major-Deal macht und dann so richtig verheizt wird. Aber das kann uns ja nicht mehr passieren?
<b> Thees: </b> Wir wissen halt, wie das Geschäft läuft?

<b> Thema Hamburger Schule. Ihr seid ja sehr gut mit Tocotronic befreundet. Würdet ihr euch mit denen in einem Atemzug nennen, oder seht ihr euch schon mehr als zweite Generation? </b>
<b> Thees: </b> Nee, ich sehe mich da eher in einer Richtung mit Bands wie Kettcar oder Marr. Hamburger Schule bedeutet mir gar nichts. Ich sehe halt nur, dass seit Jahrzehnten schon die beste Musik Deutschlands immer aus Hamburg kommt. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Dabei sind Künstler aus Hamburg oft ein bisschen zu elitär und nicht so die people?s men. Mich persönlich spricht das auch gar nicht so an, was aus Hamburg kommt.

<b> Nebenbei schreibst du als Musikredakteur für das Magazin Intro. Kommst du da noch regelmäßig zu? </b>
<b> Thees: </b> Mir werden immer so Bonbons zugeschanzt! Ich habe jetzt Turbonegro, Richard Ashcroft und Liam Gallagher interviewt. Das macht halt Spaß, die Leute Sachen zu fragen, die ich selber schon auf Platte gehört hab.

<b> Im Internet gibt es viele Tomte-Seiten, darunter auch eine von Christian Stemman, der vorher bei euch Gitarre und Bass gespielt hat. Angeblich ist er ja ausgestiegen, weil er kein Popstar werden wollte. Wenn man sich jetzt aber seine Seite ansieht, klingt es so, als wenn er jetzt doch gern noch dabei wäre?</b>
<b> Thees: </b> Ich glaube nicht, dass Stemmi ausgestiegen ist, weil er kein Popstar werden wollte. Er wollte nicht das Leben führen, das wir führen. Mit Popstar hat das nichts zu tun! Wir haben ja auch nicht irgendwann gesagt, dass wir jetzt Popstars werden. Bei mir war es halt so, dass ich die Musik so sehr liebe, dass ich das nicht nur am Wochenende sondern 24-7 machen wollte. Und das konnte Stemmi nicht, weil er einen Topjob beim Radio hat. Das ist ja auch bei weitem nicht im Zwist auseinander gegangen! Timo und ich haben gemerkt, dass wir das jetzt richtig machen wollen und dass wir auf Festivals wie diesen hier spielen wollen, und daher ging das dann nicht mehr.

<b> Rock am Ring ist bisher wahrscheinlich das größte, was ihr gespielt habt. </b>
<b> Thees: </b> Ja. Vom Aufwand her schon. Aber wir wissen ja nicht, wie viele Leute dann nachher vor der Bühne stehen werden.
<b> Timo: </b> Das ist heute schon der größte Auftritt in unserer Geschichte.
<b> Thees: </b> Erstmal abwarten! (grinst)

<b> Ihr spielt ja jetzt noch eine ganze Reihe an Festivals. Zwischendurch mal ein paar Clubs. Was ist euch lieber? </b>
<b> Timo: </b> Schon lieber die Clubs, weil das mehr ein eigenes Ding ist. Bei einem Festival wie diesem kommt ja keiner nur wegen uns. Die Leute kommen wegen des Events, weil man ganz viel mitkriegen kann, und wir geben ihnen dann auch das, was wir ihnen geben können. Aber wenn die Leute wegen uns in die Clubs kommen, dann ist das schon geiler!

<b> Durch die Auftritte auf den Festivals kommen dann ja vielleicht mehr Leute in die Clubs. </b>
<b> Timo: </b> Ja. Festivals sind eine schöne Abwechslung. Wenn man ein paar Clubs spielt und dann ein paar Festivals ? das ergänzt sich gut und man bekommt von allem die guten Sachen mit. Ansonsten sind Festivals einfach so ein Sommerding. Und man verdient ja auch ganz gut. Natürlich ist es auch geil, dass man andere Bands kennen lernt. Letztes Mal haben wir z.B. Coby von Papa Roach kennen gelernt.

<b> Mit wem würdet ihr gerne mal touren? </b>
<b> Timo: </b> Mit Travis. Als Support, das wäre ?ne schöne Sache.
<b> Thees: </b> Mit Kettcar mal wieder!!!
<b> Timo: </b> Ooohh! Naja, das ist doch schon so ein eingefahrenes Ding!
<b> Thees: </b> Ich kann nur träumen von Sachen, die ich auch erreichen kann, sonst kriege ich Depressionen! Ich würde gern mal ? (überlegt) ?mit Tomte auf Tour gehen. (grinst)
<b> Timo: </b> Ja, als Tourbetreuer, als persönlicher Betreuer von dir selbst!

<b> Was schaut ihr euch hier noch so an? </b>
<b> Timo: </b> Emil Bulls, Badly Drawn Boy?
<b> Thees: </b> Stereophonics spielen ja heute auch noch! Britpop, Britpop, Britpop!!! (klatscht in die Hände)
<b> Timo: </b> Ich finde das ganz furchtbar, dass Linkin Park hier abgesagt haben. Das hätte ich so gern gesehen. Es gibt keine Musik, die hier besser hingepasst hätte!
<b> Thees: </b> Ich wurde neulich gefragt, wie mein Traum-Line-up für ein Festival aussehen würde: Boxhamsters und Linkin Park. Und Leonard Cohen ? als Rausschmeißer!

<b> Erwartungen an die übrigen Festivals? </b>
<b> Thees: </b> Ich habe eigentlich keine Erwartungen, weil das alles immer so gewachsen ist. In uns ist ja kein Geld investiert worden, dass wir heute Abend hier spielen. Das ist eine logische Konsequenz unseres Schaffens! Von daher habe ich auch keine Erwartungshaltung.
<b> Timo: </b> Kennt man ein Festival, kennt man alle. Ich wüsste nicht, was uns da noch groß passieren sollte.
<b> Thees: </b> Richtig. Ein Verstärker ist ein Verstärker ist ein Verstärker!

Das Interview führten Oliver und Emrah

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