Sobald im Musikjournalismus hochtrabend von Klangbildern oder sogar -teppichen die Rede ist, freut sich normalerweise die Stilblütenkasse. Manchmal geht’s aber einfach nicht anders. Zum Beispiel wenn Yann Tiersen, der Mann hinter der Musik von Filmen wie „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und „Goodbye, Lenin!“ steckt, wieder einen Soundtrack mit Harmonien schmückt, für die bisher einfach zu wenige Worte erfunden wurden.
So war auch keiner wirklich scharf darauf, diese Rezension zu schreiben. „Nee, lass mal. Das ist ja richtige Musik!“ lautete der Tenor in der Mainstage-Redaktion. Aber was ich daran bitte so schlimm? Und ist alles andere jenseits klassischer Kompositionen dann keine richtige Musik und warum sollte man darüber besser schreiben können?
Zugegeben, Textzitate fallen bei Herrn Tiersens instrumentalen Kleinoden schon mal kategorisch flach. Eingeflochtene Referenzen und Zitate aus dem musikalischen Bereich und eventuelle Einflüsse kann man als sonst schon fast Klassikbanause, der sich sonntags vielleicht mal zufällig dabei ertappt, gerade einem Radiokonzert auf hr2 zu lauschen, nicht mal vermuten. Was bleibt ist der Klang und die Emotion, die er hervor ruft. Des Musik-Pudels Kern, dem man sich, wie bei jeder anderen Platte auch, allein durch subjektive Assoziationen annähern kann.
Bei „Tabarly“ handelt es sich um dem Soundtrack zur gleichnamigen Dokumentation über den in der Bretagne geborenen Hochseesegler und Regattayachtenkonstrukteur Éric Tabarly, der 1998 in der stürmischen Irischen See ums Leben kam. Der Film von Jaques Perrin beschreibt zehn Jahre nach Tabarlys tragischem Tod dessen Leben und Leistungen, zu denen unter anderem ein Rekord in der Überquerung des Nordatlantiks 1980 gehörte. Es überrascht nicht, dass für die musikalische Untermalung der französische Landsmann Yann Tiersen beauftragt wurde. Wie nur wenige Komponisten schaffte der es, dass man während man sich in die fabelhafte Welt der Amélie Poulain verliebte, vielleicht gar nicht merkte, wie einen Streicher, Akkordeon und Klavier einlullten, im Unterbewusstsein nach Paris entführten und noch viel verliebter machten in die bizarren Kleinigkeiten rund um Café, Metro-Passbildautomat und Mietshaustreiben in Montmartre, hasenförmige Wolken und verreisende Gartenzwerge.
Auf „Tabarly“ sticht man mit einem gleichzeitig schwermütig und ungeduldig klimpernden Titelstück in See, gleitet mit „Naval“ sanft über die tänzelnden Wellen, vom „Point Zero“ die lange Route zum „Point Mort“, weiter über den „Atlantique Nord“ und schließlich zum schicksalshaften „Eire“ – stets mit einer Prise Fernweh und Sehnsucht in der rauschenden Brandung. Besonders deutlich ist das in dem eindringlichen und leicht beschwingten Stück „Au-Dessous Du Volcan“ zu hören. Der Höhepunkt, auch auf der Platte, als Tabarly „1976“ dramatisch mit Streichern angereichert zum zweiten Mal den Einzelwettkampf Transat gewinnt. Das kurze fünfte Stück „.IV“ klingt beinahe folkig mit Gitarren- und Banjopicking, „Yellow“ besticht mit einem fröhlichem Zusammenspiel aus Akkordeon, Streichern und Xylophon, das sich auch bei Amélie zuhause gefühlt hätte.
Das schöne an Tiersens Soundtracks ist, dass sie auch wunderbar ohne den Film funktionieren, ja sogar ohne den Film überhaupt zu kennen. Aus dem Beipackzettel:
Die Songs erzeugen Stimmungsbilder von der endlosen Weite des Meeres. Man riecht förmlich das Meer, spürt den Wind und lässt sich treiben…
So einfach ist das.
VÖ: 25.07.2008