Zehn Jahre Immergut-Festival. Was im Jahr 2000 an der Mecklenburger Seenplatte als, wie es in der Pressemitteilung heißt, „Gegentwurf zu Massenveranstaltungen“ startete, feierte am vergangenen Pfingstwochenende Jubiläum. Zu dieser Festlichkeit präsentierte man ein hochkarätiges Line-Up, das nur wenige Verschnaufpausen zuließ.
Das Immergut-Festival wird seit seiner Gründung jährlich von rund fünfzig jungen Menschen, die sich in Form eines gemeinnützigen Vereins zusammenschlossen, auf die Beine gestellt. Mit der Zahl von 5000 Besuchern, die man, auch wenn die Nachfrage größer ist, nicht überschreiten will, ist es im Vergleich zu anderen Festivals weiterhin eines der kleineren Sorte. Auch deshalb wohl hält sich der Mythos aufrecht, hier herrsche eine „intime Atmosphäre“. Mir persönlich scheint diese Glorifizierung irgendwie befremdlich: Dicht an dicht stehen über tausend Zelte auf einem Zeltplatz. Intim sieht anders aus. Im einem solchen Kontext sind Kategorien dieser Art gänzlich unbrauchbar. Ein Festival kann von Natur aus nicht intim sein – und es ist natürlich immer eine Massenveranstaltung.
Nach zehn Jahren lässt sich konstatieren: Das Immergut ist längst im Festivalbetrieb des Landes angekommen. Und dennoch – dieses Festival bleibt weiterhin etwas Besonderes: Es kann sich rühmen, dass Künstler wie Adam Green, Beatsteaks oder Maximo Park, lange bevor diese Erfolge feierten, hier auf der Bünde standen. Indiepop – eine Kategorie, die vor zehn Jahren noch nicht so etabliert wie heute, bekam hier ein Podium. Dass diese Stilzuschreibung heute ebenso wie vieles Andere zur kommerziellen Marke „verkommen“ ist, bleibt nicht zu leugnen. Doch mit dieser Kritik ist man bei den Veranstaltern wohl an der falschen Stelle. Die Festivalmacher bemühen sich außerdem übermäßige Werbung, die auf Musikfestivals, hinter denen eine Agentur steht, doch oft massiv ist, in geringem Maße zu halten. Ebenso sind Bühnengestalung und Rahmenprogramm jedes Jahr ein Beweis für Liebe zum Detail. Dies und vieles Weitere sind Gründe, die man zum Sonderstatus dieses Festivals anführen kann.
Zum Jubiläum des Immerguts spielten fast ausschließlich namenhafte Künstler. Einige meinten im Vorhinein, in diesem jahr würden nur Altbekannte und erwartbare Acts auftreten. Doch für mich war dies vielmehr ein Line-Up, dass der Feierlichkeit gerecht wurde: auf einem Festival viele jener Bands versammelt, die man mag, die man liebt. Wahrlich, um Neuentdeckungen auszuspähen, war dieses Jahr wenig Raum zur Verfügung. Bis auf die gewohnt stiefmütterlich behandelten Nachmittags-Bands, waren im Line-Up wirklich nur Klassiker und etablierte Bands vertreten.
Nachdem man die ersten Acts leider verpasste, da sich das Ankommen doch etwas schwieriger gestaltete als erwartet, waren Virginia Jetzt!, die erste Band, von der ich etwas mitbekam. Leider nur von weitem, zur Untermalungsmusik beim Aufbau des Zeltes. Schade. Zum ersten Mal in Schwung im Immergut-Zelt konnte man dann allerdings mit Timid Tiger kommen: Ein Frontman ohne Hose, Glitzer en masse und gute Laune. Die Kölner Musiker begeisterten das Publikum mit ihrer Mischung aus Pop-Klängen, Electro-Sound und Rap-ähnlichen Einlagen. Vielen Zuhörern und Zuhörerinnen dürften sie vorher unbekannt gewesen sein. (Wir führten mit der Band vor dem Auftritt ein Interview, das ihr bald hier nachlesen könnt.)
Ein erster Höhepunkt war sicherlich Olli Schulz. Der Hamburger, den man mit Der Hund Marie von Platte wohl eher als stillen Melancholiker kennt, entpuppt sich live als purer Entertainer. Dementsprechend war auch die Setlist: Hier war wenig Platz für ruhigere Nummern – Gitarrenpop pur. In diesem Sinne: „Mach den Bibo!“ Kommissar Ärmchen, ein befreundeter Detektiv der Band, wurde während des Auftritts den unvorsichtigen Händen der Masse überlassen. Zu allem Überfluss riss Olli Schulz beim rocktertypischen Sprung in die Luft die Hose. Er nahm’s gelassen und spielte die letzten Songs unter luftigen Bedingungen.
Nach Olli Schulz spielten dann bereits Polarkreis 18. Sie wurden vom Veranstalter zum Glück trotz ihres Hiterfolges nicht als Headliner positioniert. Zur Freunde mancher spielten sie auch viele Songs vom ersten Album. Viele meinen ja zwischen der ersten und aktuellen Platte die fundamentale Verfallsentwicklung zu entdecken: Oh, oh, böser Kommerz, böser Kommerz. Darin zumindest waren sich alle angesichts fehlender Relexion irgendwie einig. Deshalb hörte man den Hit „Allein, Allein“ vor, nach und während des Auftritts (und am ganzen Wochenende), meist nur halb gekonnt, aus allen Ecken von Leuten gesungen. Mindestens einmal davon kam es von der Bühne. (Und es waren nicht Modern Talking – auch wenn es sich bei diesem Song manchmal so anhört.) Polarkreis 18 setzen auf viel Nebel, Lichtspielereien und ihr bekanntes, elegantes Weiß, das im Vergleich zu den weißen Fetzen zwei Jahre zuvor richtig schnike wirkte. Große Gesten pur, Coldplay-Melancholie light.
Die drei Herren von Bodi Bill hatten es da schon leichter. Was sich auf Platte oft als ausgetüfteltes, elektronisches Gefrickel präsentiert, mutierte hier – ungeachtet der ruhigeren Geigeneinlagen – oft zu einem tanzbaren Mix aus Electro und House. Spätestens ab der Hälfte des Konzerts nahmen die Einlagen a la DJ-Set mehr und mehr zu. Diese Differenz zwischen Platte und Live-Show war für mich persönlich sehr angenehm und spannend. Und die Anzüge allemal besser als jene von Polarkreis 18.
The Whitest Boy Alive, denen der Freitagabend wohl am meisten gehörte, spielten wie gewohnt solide und chillig. Mehr und mehr verbergen sie live die Melancholie ihrer ersten Platte und geben sich verzückigter Sommerlaune hin. Erlend Øye flirtete mit dem Publikum und Funk-Meister Daniel Nentwig brachte mit seinen Rhodes-Tasten die Hüften des Publikums zum Schwingen. Eine wahnsinnig gute Band, zu einer perfekten, gelassenen Nachtstimmung.
Im Zelt wurde es danach sehr eng. Wer sich hier nicht schon früh einen Platz gesichert hatte, musste das Konzert von draußen erspähen. Mit Die Sterne waren die Haudegen des Abends angetreten. Leider war das Konzert relativ enttäuschend. Man spielte eine paar alte Hits und drei neue Songs, die allesamt schlecht waren. Ich bekam angesichts der hohlen Texte wie „Gib mir die Kraft“ und der unsouveränen Electro-Anleihen regelrecht Angst vor dem neuen Album, das für den Herbst angekündigt wurde. Das Konzert wurde auch mit Gastmusiker Nentwig von The Whitest Boy Alive nicht besser, der einen der letzten Songs mit Funkeinlagen aufbesserte. Schade.
Wer nach dem vollgepackten Freitag noch immer genügend Energie besaß konnte gegen drei Uhr mit den zu Zugpferden avancierten Ravern von Audiolith, Frittenbude, das Zelt kaputt stampfen. Für mich war es das bereits dritte Konzert der Band. Und trotz der Tatsache, dass ich die Songs sehr mag und Frittenbude regelmäßig gegen alle Leute verteidige, die gerne behaupten: „Die klauen ja nur bei Deichkind“, stellte ich fest, dass sie bei Konzerten nachlassen: Sie ruhen sich auf ihrem Hype aus, spielen eigentlich wenig live, feiern sich selbst und lehnen sich zurück. Zumindest schien das so. Ein bisschen mehr Elan hätte geholfen.
Nach einer kalten und kurzen Nacht fielen die Nachmittagbands Hundreds, Silvester, Telekinesis und Luke für mich aufgrund eines spontanen Stadtbesuchs leider aus dem Programm. Mit dem Auslassen von Telekinesis soll, wie man im Nachhinein so hörte, einiges an guter Musik verpasst worden sein. Eine empfehlenswerte Newcomerband sei hier am Start gewesen, hörte man mehrere Leute munkeln.
Das Sextett Friska Viljor, das auch vor zwei Jahren schon aufspielte, war dann wieder gefühlte Pflicht. Allerdings merkte ich, dass ich von nordischem Indierock langsam genug habe. Wer hier die verspielt anmutenden Refrains mitsingen wollte, sollte dies gerne tun. Ich verließ, trotz solider Live-Show und -Musik das Konzert vorzeitig.
Tomte und Kettcar! Eine nie existierende und konstruierte Fehde wird mit den zwei nacheinander folgenden Auftritten symbolisch beendet. Eine witzige und schöne Geste im Line-Up. Erstere waren gewohnt ein Highlight, selbst wenn Thees Uhlmann an diesem Abend ein wenig erschöpft und griesgrämig wirkte. Ich erlebte zum ersten Mal, dass Tomte nicht „Die Schönheit der Chance“ als letzten Song spielte. Kettcar erfuhr dann noch einmal mehr Zuspruch. Die Nacht brach herein, während die Landungsbrücken raus gefahren wurden. Ich unterlasse an dieser Stelle stümperhafte Versuche, zu entscheiden, ob Tomte oder Kettcar ein besseres Konzert spielten. :-)
Ein persönliches, und irgendwie ungeahntes Highlight war definitiv der Auftritt von Jeans Team. Es war die Party des Festivals! Hier hätten Frittenbude noch etwas lernen können. Live verwandeln die Berliner selbst ihre reservierteren Songs in pure Disconummern. Der Zeltboden wackelte bei diversen Rave-Einlagen und auch auf der Bühne sprang man umher. Kein Hit durfte fehlen: Vom „Waffenladen“ über „Oh, Bauer“ bis zum neuesten Streich, der Lieblingshymne diverser Autonomer: „Das Zelt„, dürfte kein Gassenhauer fehlen. Und alle wurden live irgendwie verändert, umgemodelt, verbunden und in ein wunderbares Elektro-Konzert gegossen. Zum Abschluss hieß es: 1, 2, 3, 4 und danach war ich nass wie ein begossener Pudel. Definitiv der Höhepunkt! (Wir sprachen am Samstagnachmittag mit Jeans Team. Ein Interview mit zwei der drei Berliner Musiker wird in Kürze auf Mainstage.de folgen!)
Bevor The Soundtrack Of Our Lives den Festivalabschluss bildeten, gaben Pale im Rahmen ihrer Abschiedstour ihr definitiv letztes Konzert. Ein wenig Wehmut machte sich bei einigen Fans, mit denen man ins Gespräch kam, breit. Lässt sich nur hoffen, dass die Herren, wie bereits angekündigt, nicht gänzlich aufhören werden mit der Musik. (Näheres dazu erfahrt ihr im Interview, was wir mit Pale vor einige Tagen führten.) The Soundtracks Of Our Lives bildeten dann auf der Hauptbühne einen soliden Ausklang des diesjährigen Immerguts mit vielen Momenten, die Potential zu Gänsehautfeeling hatten. Fulminanter Sound, große Lichtshow. Für mich aber doch ein irgendwie unspektakulärer Ausklang. Nun ja, Meinungen können auseinander gehen – das kennt man ja. Die nächtlichen Parties vor und auf diversen Bussen, die auch am Sonntagmittag noch liefen, durften danach nicht fehlen.
Sofern ein irgendwie knappes Fazit möglich sein soll, müsste es wohl in etwa so lauten: Ein wie erwartet gutes Programm, eine im Vergleich zu anderen Festivals immer noch sehr entspannte Stimmung, zum Baden dieses Jahr leider zu kalte Temperaturen. Viele Bands, die man hätte noch sehen wollen, konnte man angesichts des Prall gefüllten Programms einfach nicht mehr mitnehmen. Augenzwinkernder Nachtrag: Speed und Gras, alle lieben das. (Plus Koks im Redbull.) Hoffen wir, dass die anrückenden Polizeistreifen am Sonntagmittag nicht allzu Viele rausgezogen haben. Na ja, in Meckenburg hat man ja sonst nix zutun. Ernstgemeint sei allerdings dies: Wir freuen uns auf die nächsten zehn Jahre Immergut!
Eine Bildergalerie darf natürlich nicht fehlen. Das Ganze von Kollegin Chrissie hier
PS: Das mit diesem Bericht nur EIN subjektiver Blick vorliegt und viele Besucher die Höhepunkte sicherlich bei anderen Auftritten sehen, dürfte verständlich sein.
netter, ehrlicher bericht. :)
http://www.roteraupe.de/neues/1828/immergut-festival-ein-interview.html
danke für den Bericht, ist gut zu lesen, hinterlässt einen guten Eindruck, find ich.
oh gott, möchtegern-journalisten auf festivals müssten verboten werden.
Weder Journalist noch Möchtegern-Journalist