Neues Jahr, neues Glück. Mit neuem Konzept verwandelte das Berlin Festival 2011 das majestätische Gelände des Flughafen Tempelhof endlich wieder in ein urbanes Freudenfest!
Freitag, 09.09.2011
Es war James Blake, der am frühen Nachmittag, zu einer für ein Festival eigentlich unwürdigen Zeit, die Bühne entweihte. Doch mit seinen frickelnden Post-Dubstep-Klängen gelang es dem Londoner Jungspunt seine Zuhörer in ein psychedelisches, bestens arrangiertes Set einzuwickeln, das vor Entzücken die Haare im Nacken zu Berge stehen ließ. Die metallische, noch schlafende Umbegung des Flughafengeländes schien sich als besten Ort für Blake’s Beschallungskünste und den Auftakt in ein Fest der Freuden herauszustellen.
Es folgten AUSTRA, die in ihrer frauenlastigen Formation der psychedelischen Stimmung mit Synthie- und Drumbeats, auf die es zuvor Blake angelegt hatte, nachtaten. Ihr Auftritt und dabei vor allem die Stimme der Sängerin, bei der es kein Vorbei an einem Vergleich mit der von Florence and the Machine-Sängerin Florence Welsh gibt, artete in einen sphärischen Trip aus, den die Festivalbesucher aber mehr als dankend annahmen.
Nach diesen ersten, doch eher seichten Tönen des Berlin Festivals 2011, brachten dann The Rapture das ein oder andere der 15.000 Tanzbeine und jeden einzelnen Stahlträger über ihren Köpfen zum Schwingen. Vor allem gab es Songs ihrer neuen Platte „The Grace of Your Love“ auf die Ohren, die die Jungs mit einer Engelsgeduld an den Mann brachten, gab es doch ab und an einige technische Schwierigekeiten, die sowohl die Stimme Luke Jenners, als auch das Saxophon verstummen ließen.
Während man sich auch hätte vor der Intro-Stage tummeln können, um dem Indiegespann von The Drums zu lauschen, verbrachte eine beträchtliche Anzahl von Krachliebenden ihre Zeit doch lieber auf einem der Hangar, die in diesem Jahr in ihrem vollen Glanz geöffnet erstrahlten. Anders hätte man wohl auch kaum den ohrenbetäubenden Auftritt der Electro-Noise-Band HEALTH genießen können. Vor der Kulisse des sich anbahnendem Berliner Nachthimmels gab die Band ihr einzigartiges Können zum Besten, die Elektrospuren in Bass und Drums in Altrockermanier zu vereinen – ohne Rücksicht auf tinnitusartige Ausfälle des Hörvermögens. Da kann der Name der Band nur als Witz gemeint sein.
Eines der Highlights des diesjährigen Berlin Festival muss auch gewesen sein, den Urgesteinen von Suede oder Primal Scream zu lauschen, zu denen es die Großstädter in Strömen zog. Nicht weniger Menschen vergnügten sich aber bei dem Kontrastprogramm, um das sich das Amazonen-Gespann Hercules and Love Affair kümmerten. Das House-Quartett sorgte für beste, erotisch leicht aufgeladene Stimmung unter dem immer dunkler werdenden Himmel vor Hangar 5. In verrückten Beinkleidern, Mini-Shorts und unter wild gewickelten Turbanen sorgten Hercules and Love Affair dafür, auch den letzten aus seiner Lethargie zu reißen, sollte er sich fragwürdigerweise immer noch in einer solchen befunden haben.
Im Anschluss sollten die paradiesischen Klänge von Santigold das Berlin Festival verzaubern. Die Gute ließ sich aber gehörig Zeit, denn auch der Hangar 5 hatte zuweilen mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die weder die flippige Santigold noch ihre bezaubernden Backgroundtanzfeen mit ihren durchaus synchronen Tanzeinlagen wett machen konnten.
Darum zog es weiter, und wer nicht weiter vor den Bühnen weilte, oder in der (allseitsbeliebten, atemberaubenden!) Silent Disco lauthals Diskokracher schmetterte, den zog es mit Bus und Bahn in den Club XBerg. Dafür zeigte sich die Arena Berlin von ihrer besten Seite, während in der Halle der Arena Kruder & Dorfmeister, Diplo oder A-Trak die tanzhungrigen Festivalbesucher zum Schwitzen brachten, lud auch das Glashaus zu wildem Tanz ein, für den sich eigens Boy George für ein DJ-Set die Ehre gab. Ein besonderes Highlight allerdings war die Bühne am Badeschiff, die mit dem Blick auf die Spree endgültig aus den Socken gehauen haben dürfte.
Samstag, 10.09.2011
Gleich so wie schon der Freitag startete, ging es auch am Samstagvormittag los. Mit ruhigeren, auf den Tag einstimmenden Acts sorgte das Berlin Festival Line-Up vor, und verzückte für den Anfang mit Schönheiten wie Florrie oder Firefox AK.
Vorbei an Hangar 5, auf dem sich die Jungs von Kraftklub die Chemnitzer Füße wund hüpften (und auch mit ihrer eigens komponierten Berlin Festival-Hymne prahlten, von der allerdings vorher nie etwas gehört hatte), ging es bis ans andere Ende des Geländes, um dem Londoner Duo Mount Kimbie und ihrem präziösen, verzauberndem Elektroset zu lauschen.
Diejenigen, die ihrem elektronischen Herzschlag nachgeben wollten, und nicht zu Yuksek pilgerten, sammelten sich vor der Intro-Stage, um The Naked und Famous auf den Leim zu gehen. Genau das entpuppte sich allemal eine gute Entscheidung, denn während die Neuseeländer schon auf dem diesjährigen Melt!-Festival alle Skeptiker beeindruckt haben mögen, ist das, nennt man das, was sie unter der nachmittäglichen Sonne des Berlin Festivals ablieferten wohl ein Brett. Mit
Doch nur eine halbe Stunde später war all das vergessen, als Zack Condon mit seinem Folkgespann Beirut die Bühne betrat. Vor der rot erleuchteten, beinahe romantisierten Hauptbühne kamen all die jenigen Indiehüpfer auf ihre Kosten, in denen der Klassikfan schlummert, immerhin ertönten Horn, Trompete und Saxophon zu der engelsgleichen Stimme Condons. Dank „Nantes“ oder „Sunday Smile“ wäre so auch für Gänsehautstimmung zurück, die am Vortag James Blake verbreitete.
Nach Gänsehautstimmung sucht man bei Boys Noize dagegen vergebens. Der bekennende Monobrauen-Träger Alex Ridha sorgt stattdessen mit Vorliebe für schwitznasse, nackte Oberkörper, gummiweiche Beine und in Ekstase zu seinen Elektro-und Technosounds brüllende Menschenmassen. Auf dem Berlin Festival gelang ihm das mit Bravour, immerhin schien es als hätten sich alle 15.000 Großstadtkinder vor ihm in der ersten Reihe versammelt. Wer sich das volle Boys Noize-Programm liefern wollte, der ließ sich in den ersten Reihen bei Ridha’s Feuergetöse den letzten Schweißtropfen aus dem Gesicht fackeln, zu gewagten Mosh Pits hinreißen, um sich unglaubliche anderthalb Stunden später zu fragen, wie man diesen Auftritt überlebt haben konnte.
Überlebene und scheinbar unerbittliche, nicht Tod zu kriegende Technojünger fanden sich aber dennoch bei Bloody Beetroots vs. Death Crew 77 ein, um sich bei den Maskierten den letzten Lebensatem auszuhauchen. Auch diese Formation legte auf dem Hangar
Zugegebenermaßen müssen es weniger als 15.000 Menschen gewesen sein, die sich Boys Noize hingegeben haben, denn es fanden sich immer noch genügende, die nach diesem kräfteraubenden Act den Elan hatten, die Reunion der Beginner zu zelebrieren. Vor einer Horde Alt-Hip Hoppern gaben Denyo, DJ Mad und Jan Delay ein beklatschenswertes Comeback, ließen sich aber dennoch, vorschriftsgemäß, nicht zu einer lautstark verlangten Zugabe hinreißen.
Mit den letzten Klängen von Mogwai und der über das Gelände fegenden Mobile Disko endete das Berlin Festival 2011 auf, schloss die wuchtigen Flughafentüren hinter der in die Arena strömenden Menschenmasse. Dort tummelten sich in der Samstagnacht weitaus mehr Berliner, wohl wegen Acts wie Public Enemy (oder vielmehr seinem Uhrenfanatiker Flavour Flav), Skrillex, Mr. Oizo, Brodinski, Bag Raiders oder Gesaffelstein.
Ein wundervolles Wochenende endete malerisch unter dem Nachthimmel Berlins, tanzend, mit dem Blick auf die Spree.
Der ein oder andere, dem die frühen Stagezeiten sauer aufgestoßen haben mögen, für die es nur ein Grund mehr war, nach den Eskapaden des letzten Jahres das Berlin Festival auf Lebzeit zu boykottieren, dürfte sich nun gehörig ärgern, nicht über seinen Schatten gesprungen zu sein. Das diesjährige Berlin Festival machte allen Argwohn des vergangenen Jahres mit neuem, bestens durchdachtem Konzept wieder wett, sorgte für Freiheit auf dem Gelände des Tempelhofer Flughafens, karrte die besten Live-Acts der letzten beiden Jahre in die Hauptstadt, schaffte die denkbar eindrucksvollste Afterhour mit dem Club Xberg in der Arena Berlin, und sorgte für ein unvergessliches Wochenende.
Das Berlin Festival ist ein einzigartiges, eindrucksvolles Festival, das nach diesem Jahr auch ohne verregneten Zeltplatz und Dosenfras das Prädikat Festival ein für alle Mal verdient hat.
Bis zum nächsten Jahr, wir fangen schon mal die Tage am Kalender anzustreichen!
Mehr Fotos vom Berlin Festival 2011 gibt’s hier zu sehen!