Startseite » Bernd Begemann im Interview

Bernd Begemann im Interview

Nach dem Konzert in der Leipziger Moritzbastei am 9. Dezember trafen wir uns mit Bernd Begemann am nächsten Morgen zu einem entspannten Frühstücksgespräch im Hotel. Man sprach unter anderem über Verstrickungen der Hamburger Schule, die Unzulänglichkeit deutscher Kulturmaschinerie und wie es ist als fahrender Sänger durch die Lande zu reisen. Dazu gibt es auch noch wundervolle Bilder vom Konzert.

Wie ist das Konzert gestern in der Moritzbastei bei dir angekommen? Du hast über drei Stunden gespielt. Ist das der Standard deiner Konzerte oder war es eher eine Ausnahme?

Das kann ich nicht so richtig beurteilen. Ich spiele wirklich gerne.

Ist es weniger von der Stimmung des Publikums abhängig und kommt viel mehr von dir selbst?

Die Stimmung war gestern auch schön. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute sehr aufmerksam waren… und dass es verfängt, was ich tue. Vielleicht sind drei Stunden zu lange. Einige Leute meinen, es wäre unprofessionell so lange zu spielen. Aber ich bin sehr angepisst von „professionellen“ Acts, die alles richtig machen. Viele britische Bands performen so schlecht: Die spielen fünfzig Minuten, geben keine Zugabe und verschwinden im Nightliner. Was soll das? Ich meine: Wir sind Musiker und der Tag hat 24 Stunden. Davon können sie nicht einmal eine Stunde musizieren? Was für’n Dreck. Das ist dann die „professionelle“ Herangehensweise. Manchmal spiele ich zu lange und Leute hauen ab. Ich habe visuell nicht so viel zu bieten: Ich habe keine Tänzerinnen, keine Tiere oder Feuerschlucker. Ich habe nur ein Herz aus Gold und ein grenzenlosen Verlangen, ein komplettes Bild abzuliefern.
Was ich bei den Liedern immer gefunden habe ist, dass sie sich zusammenfügen. Ich habe alberne und ernste Lieder. Jemand hat mir einmal gesagt, er geht nicht gerne auf meine Konzerte wegen dieser Kontraste. Er mag nicht so viele verschiedene Sachen fühlen – was ich respektiere. Aber aus diesen widersprüchlichen Impulsen besteht für mich das Leben und die menschliche Existenz. Und die möchte ich darstellen und feiern und beklagen und propagieren. Deshalb schreibe ich zum Beispiel anders als die anderen Vertreter der Hamburger Schule.

Was macht die Hamburger Schule heutzutage aus? Was macht diese typische Schreibweise aus?

Hamburger Schule ist heutzutage meiner Meinung nach alles – auch Xavier Naidoo und Rosenstolz. Alle schreiben auf eine Art wie Hamburger Schule. Dieser assoziative Cut-up-Stil. Hamburger Schule ist praktisch, dass du aus verschiedenen Perspektiven schreibst: Du schreibst aus einer privaten Perspektive und dann gibt es einen Schnitt und es kommt die übergeordnete Perspektive. Dieser Perspektivwechsel kann, wenn er gut angewendet wird, ein angemessenes Bild geben, eine angemessene Darstellung der Wirklichkeit. Wenn er schlecht angewendet wird – was zu 98 Prozent der Fall ist, bei den Songs, die ich so höre – ist es eine Dissoziation, die den Zuhörer verwirren und hinhalten soll, die nichts aufklärt, die nichts darstellt, die nur Wasser tritt. Wenn man klare Lieder schreibt, folgerichtige Lieder, die nicht dissoziativ sind, die mit anderen Liedern zusammen schneidet, dann habe ich an einem Abend das, was andere in einem Lied haben. Ich hab es kompletter und nachvollziehbarer. Das ist zumindest mein Gefühl. Ich kann nicht aufhören, bis ich das Gefühl habe, jetzt passt alles zusammen.

Im zweiten Teil deiner Konzerte spinnst du häufig die Songs ineinander, ein Lied geht nahtlos in das nächste über. Ist es das Prinzip, dass du damit meinst?

Auch wenn ich absetze, habe ich das Gefühl, dass die Lieder sich reflektieren. Auch auf meinen CDs ist das so. Das zweite Lied spricht etwas an, was vielleicht im dreizehnten Lied erklärt wird. Die Lieder ergänzen sich. Ich versuche immer den Eindruck einer Vorführung zu zerstreuen. Das, was mich wirklich ankotzt, wenn ich auf Konzerte gehe ist, dass Leute ihre besten Lieder vorführen. Ich mag das mehr, wenn das beiläufig wie beim Plaudern geschieht. Diese Leichtigkeit vermisse ich bei den meisten Performern. Dann stellen sie uns ihr Lied aus und wir müssen das beklatschen – was für eine Scheiße. Sag was du zu sagen hast oder sag es nicht, himmelherrgott.

Sozusagen auch ein Antrieb für dich, es so zu machen, wie du es selbst gerne sehen würdest. Hast du in der gegenwärtigen Popmusik neben vielen Negativbeispielen, die du bei deinen Konzerten gerne thematisiert, auch Beispiele, wo du sagst: „Hier stimmt die Mischung“?

Ich kann nur von mir ausgehen. Ich bin kein Musikredakteur oder Kritiker. Es gibt nur unglaublich wenige Sachen, die ich genießen kann. Das meiste ist so beschissen: Deutsche Filme sind beschissen, deutsche Musik ist beschissen. Die meisten deutschen Bücher sind auch beschissen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Doch, ich weiß es natürlich… Bei deutschen Filmen liegt es zum Beispiel daran, dass Fernsehredakteure über alles entscheiden: über jeden Satz, der in einem Drehbuch steht. Deswegen sind die Sachen, die deutsche Schauspieler in deutschen Filmen sagen immer so beknackt. Da ist ein Fernsehredakteur dahinter, der sagt: „Oh, das können die Leute auf der schwäbischen Alp nicht verstehen.“ Ich höre viele Geschichten von Regisseuren, die mit Fernsehredakteuren kämpfen. Ein Regisseur berichtete mir über eine Szene, wo eine Frau einen Anruf bekommt und sie erfährt, dass ihr Mann gestorben ist und bricht dann zusammen. Da sagt der Fernsehredakteur: Das können wir so nicht stehen lassen, die Frau muss sagen „Oh Gott, mein Mann ist gestorben, wie furchtbar.“ Das ist eine Schauspielerin, die kann das darstellen! Nein, nein, das muss man verbalisieren. Wenn Leute nicht hinschauen, müssen sie es auch verstehen. Wenn Leute nebenbei bügeln, müssen sie der Sache folgen können. Da kann doch kein guter Film bei rauskommen.

Und wie ist es um die (deutsche) Popmusik bestellt?

Bei Musik läuft noch mehr falsch. Ganz selten kann ich Sachen genießen: Zum Beispiel Tilmann Rossmy. Als ich zum ersten Mal Lieder von Der Regierung gehört habe, konnte ich das genießen. Er hat zum Beispiel sehr Tocotronic beeinflusst, mehr als jemand sonst. Die haben das Gefühl von ihm, diese Knappheit, die Art Slogans zu benutzen, eine Art, wo man weniger sagt als man sagen könnte. Ich konnte nicht wirklich was von Tilmann Rossmy klauen, aber ich konnte es genießen. Er hat die meisten anderen Texte beschämt durch seine Sparsamkeit. Ein paar Funny van Dannen-Lieder finde ich sehr gut. Ich mag allgemein singbare Lieder. Deswegen mochte ich auch Lassie Singers und Britta. Meine alten Kampfgenossen aus Bad Salzuflen, also Die Sterne, Frank Spilker und Blumfeld, Jochen Distelmeyer, konnte ich immer sehr genießen. Das war aber nicht mein Weg. Ich fand das nicht richtig, so vage zu sein. Ich komme auch mit der Weltanschauung nicht klar. Wenn Jochen Distelmeyer singt „Nenn mich Opfer“, fand ich das grundlegend falsch. Die Wahrheit über die BRD und das spätere Deutschland ist doch, dass wir keine Opfer sind. Wir sind Nutznießer. Wir kriegen eine Menge Sachen in den Arsch gesteckt. Uns geht’s extrem gut, wir sind keine Opfer. Das ist eine Sache, die viele Leute hart finden, zu ertragen. Junge Leute sehen sich lieber als Opfer, was sie nicht sind. Generell diese ganze selbstmitleidige Musik – was soll das? Ich meine, ich weiß wie sie funktioniert, aber es ist Schwachsinn. Das ist lächerliches, eskapistisches Entertainment. Linkin Park oder Limp Bizkit oder so. „Alle hassen mich, alles ist so schlimm.“ Nein, ist es nicht. Die sollten mal an Orte in der Welt reisen, wo es wirklich schlimm ist. Sich hier ein Opfer zu nennen ist ein Hohn gegenüber von Leuten, die wirklich Opfer sind von Bürgerkriegen oder Verfolgungen. Wir haben eine Menge Möglichkeiten, aber wir machen nichts aus unseren Möglichkeiten. Das ist viel schlimmer. Wir nützen die Möglichkeit zur Gestaltung nicht. Eine gute Sache, die man als Performer machen könnte ist, die Leute auf ihre Möglichkeiten aufmerksam zu machen. Ich habe das Gefühl, alle suhlen sich in diesem Coldplay-Gefühl: Es ist schon irgendwie traurig, aber auch nicht wirklich schlimm. Das ekelt mich wirklich an.

Diese neue Melancholie in der Popmusik ist nicht dein Ding.

Es ist eine alte Melancholie, es ist eine lächerliche Melancholie. Es ist eine Melancholie unter Wert. Eine Emotion, die man nicht verdient hat. Offensichtlich macht das viele Leute glücklich und ich kann das nicht verbieten – was ich als Innenminister sofort tun würde. Deshalb ist es gut, dass ich kein öffentliches Amt bekleide. Es ist eine Art von, die scheinbar darauf ausgerichtet ist, die Leute in ihrem Elend zu belassen.

Was unterscheidet deine Liebeslieder von dieser Melancholie? Deine Songs haben ja auch eine gewisse Melancholie oder Schummrigkeit, in der man sich suhlen kann.

Ich sage, wie es ist. Wenn da Schmerz ist, kann man es Schmerz nennen. Aber, ich webe keinen Stoff der Vergeblichkeit. Wenn da ein Mangel ist, kann man ihn benennen. Du wirst aber in meinen Liedern nie Zeilen finden, die dir sagen: „Alles ist irgendwie so… Aber das ist eben so… Wir sind so schön, so jung und so traurig, aber so ist das Leben, tja“ Das würde ich nie sagen. Ich würde sogar noch weiter gehen: Einige von meinen Lieder sind nicht melancholisch, sie sind apokalyptisch (lacht), sie sind komplett zerstört. Zum Beispiel dieses Lied „Sie werden wahnsinnig in diesen Häusern“: Es geht praktisch um diesen „Schweiz-Zustand“. Du bist an einem Ort, an den jeder will, ein Ort, von dem aus es keine Verbesserung gibt. Wenn du an diesem Ort bist, ist da eine Ziellosigkeit in deinem Leben. Die ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Orientierungslosigkeit erforscht dieses Lied. Wir sind auf eine Art die Schweiz. Deutschland ist nicht ganz so reich wie die Schweiz, aber schon ziemlich nah dran. Das ist ein bisschen unser Zustand. Ich würde nicht sagen, dass das Melancholie ist. Ich habe diese Richtungslosigkeit benannt, die man hat, wenn man am Ziel angelangt ist oder noch schlimmer: am Ziel geboren wurde. Vielleicht sehe ich mich da nicht objektiv genug, aber für mich ist das ein Unterschied. Auch der Song „Die Verlassenen“, der wirklich düster ist, ist trotzdem kein anklagendes Lied. Das sagt nicht: „Du hast mir das angetan“. Es sagt ganz nüchtern: Ich bin jetzt hier und ich weiß nicht, wohin ich gehe.

Obwohl „Die Verlassenen“ doch einen sehr hymnischen Zug hat. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang daran dass du gestern während des Konzerts mehrmals von „falscher Verbundenheit“ gesprochen, die du heraufbeschwören willst.

Die finde ich auch gut. Ich finde es dann aber auch nur fair, es so auszustellen. Ich mag das an Konzerten: Da sind diese unglaublichen Abstände zwischen Menschen und für zwei, drei Stunden kann man das überwinden. Und wenn ich das gut hinbekommene, fühlen sich die Menschen mir oder einander nah. Die Dinge, die sie sich wünschen sind auf einmal in ihrer Nähe. Das ist ein toller Zustand. Es ist eine Art Illusion, aber dennoch eine nützliche Illusion. Es lässt uns Dinge klarer sehen, für einen Augenblick. Vielleicht führt es zu etwas und wenn nicht, dann war es ein angenehmer Abend, eine angenehme Erfahrung – was auch schon schön ist.

In diesem Sinne arbeitet man an einer Illusion, aber man benennt diese gleich als eine solche.

Ich finde die fairen Zauberer sind die, die sagen: Das sind Tricks, die ihr hier zu sehen bekommt. Die gefährlichen Zauber sind die, die in der „Uri Geller Show“ aufgetreten sind. Diese wirklich gefährlichen Wichser, die behaupten sie würden mit den Toten oder Außerirdischen sprechen oder so ein Dreck. Und dann gibt es Leute, die das wirklich glauben. Ich finde das echt gefährlich und es ist nur fair, dass man das ausstellt, was man tut und erklärt, was man tut, während man es tut. Das zerstört vielleicht etwas vom Mysterium, aber es ist eine demokratische Sache, die man tun sollte.

Du ziehst ja nun schon seit vielen Jahren mehr oder weniger regelmäßig allein durch die Lande. Gibt dir ein Auftritt noch ein besonderes Gefühl oder fühlt es sich mehr wie ein Job an? Gibt es noch Aufregung oder Befriedigung?

Es gibt eine angenehme Art von Aufregung und Befriedigung. Jeden Abend probiere ich irgendwelche Sachen aus. Ich spiele etwas, was ich noch nie gespielt habe und so.

So wie gestern „Du bist mein Niveau“?

Das ist noch nicht fertig. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich aufnehmen sollte. Das Lied hat kein Niveau. (lacht) Es funktioniert aber irgendwie live gut. Das ist bei einigen Songs so, die bühnenwirksam sind, dass sie sich nicht gut aufnehmen lassen. Generell wirken auf der Bühne Songs besser, die einen Appellcharakter haben, wo ein „du“ vorkommt. Alle Lieder, die so einen lipsistischen Charakter besitzen, in denen es nur um den eigenen Arsch geht, sind nicht so bühnenwirksam. Eine einfache Faustregel. „Du bist mein Niveau“ ist nicht genial, aber es ist so lustig. Ich amüsiere mich. Das ist ein toller Satz, den ich gerne ganz vielen Leuten sagen würde. (lacht)

Dein letztes Studioalbum „Glanz“ bestand aus Neuinterpretationen alter Songs. Hast du eine Dringlichkeit verspürt, die Lieder zu verbessern? Manche waren doch in ihrer Form auf eine Art und Weise schon perfekt. Warum gab es da den Willen, einige Songs neu aufzunehmen?

Ich finde wir haben die meisten verbessert. Mir hat zum Beispiel nie die Originalversion von „Judith, mach deinen Abschluss“ gefallen. Ich finde diese neue Version echt brillant. Diese Mischung aus der Charlie-Brown-Musik und Jackson Five – grandios. „Unten am Hafen“ ist das einzige Lied, wo ich sage, wir haben nicht ganz den Überschwang der 1987er Version erreicht. Aber sonst würde ich sagen, die neuen Versionen sind komplett andere Versionen. Ich hatte die Vision von einem Party-Album. Die Originalversionen sind doch eher folkig oder im Singer/Songwriter-Stil. Ich wollte eine Samstagabend-Platte machen, mit all meinen Hits, die man auflegen kann, bevor man ausgeht. Das hatte ich im Hinterkopf. Ich wollte zusammenfassen, was für viele tolle Songs ich habe – und man kann dazu tanzen. „Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“ von „Rezession, Baby“ ist prima für eine Kassettenrecorder-Aufnahme, aber die neue Version kannst du auf Parties spielen und dazu tanzen. Das sollte es beides geben.

Also den Verdacht, dass „Glanz“ veröffentlicht, weil lange kein reguläres Album erschient, würdest du zerstreuen wollen?

Das stimmt nicht, dass lange kein Album erschien. „Ich werde sie finden“ ist ja ein gutes Jahr alt. Ich bin auch oft pleite gewesen. Heute macht man nicht mehr wirklich Alben, sondern macht Aufnahmen. Selbst ziemlich erfolgreiche Acts haben es schwer ohne eine Medienhype-Maschine im Hintergrund. Bei diesen Umständen ist es oft schon schwierig bei einer CD-Veröffentlichung auf plus minus null zu kommen. Von dem Material an Songs, das ich gerade habe, könnte ich fünf Studioalben machen, aber ich bin froh, wenn ich ein Album kriege im Laufe des nächsten Jahres. Die „Glanz“-Platte wollte ich sowieso machen. Ich dachte, es wäre eine leichte Platte geworden, aber es war im Aufnahmeprozess die schwierigste. Für jedes Lied musste ein komplett neuer Ansatz gefunden werden. Man muss zu jedem Song einen Weg finden als würde man ihn zum ersten Mal aufnehmen, auch wenn man es nicht getan hat. Es soll klingen als würde es jetzt passieren. Das Geheimnis von Pop: das Geheimnis des Jetzt. Das Geheimnis der Gegenwart. Pop schafft Gegenwart. Du musst einen Moment des Jetzt erschaffen – schwierig. Daran scheitern schon einmal 97 Prozent der so genannten Konkurrenz.

Glanz“ ist somit keinesfalls ein Endpunkt?

Gestern habe ich ungefähr acht, neun Lieder gespielt, die ich noch nicht aufgenommen habe. Und wo die herkommen, da ist noch viel mehr… Ich sehe mich immer als Gegenwartskünstler. Die Lieder, die ich mache, sollen unsere Umgebung in den Griff kriegen. Sie sollen das 21. Jahrhundert bei der Gurgel packen. Ein fahrender Sänger zu sein, ist ja etwas anderes als ein Schriftsteller zu sein. Ein Schriftsteller haut sein Buch raus, macht eine Lesereise und dann ist es vorbei. Deine Lieder musst du Jahrzehnte lang mit dir herumtragen. Das ist eine Bürde – was auch schön ist. Aber es ist etwas völlig anderes als Bücher zu schreiben. Du musst deine Lieder tragen können. Das werden immer mehr, das wird eine immer größere Last und eine immer größere Last. Manchmal komme ich mir vor wie Dietrich Fischer-Dieskau, der herumreist und die deutsche Romantik vertritt. So als wäre mein eigener Backkatalog meine eigenen Schumann- und Schubert-Lieder. Ich denke ich bin Dietrich Fischer-Dieskau und singe diese wundervollen Schumann-Lieder. Es sind aber meine Lieder und ich bin Bernd Begemann, mmmh. (Stimmt an:) Die launische Forelle… Oh, das ist mein berühmtes Forellen-Lied (lacht).

Dieses ständige Unterwegs sein, dieses Bild des fahrenden Sängers, ist dir das persönlich wichtig? Beschreibt das deinen Lebensstil?

So habe ich mir mein Leben vorgestellt als ich zwölf war. Das ist mein Leben. Ich finde das toll, nicht an einem Ort festzustecken. Andererseits mag ich aber auch keine Fernreisen. Ich habe keine Lust irgendwie nach Costa Rica, Bali oder Thailand zu reisen. Ich war mal pauschal auf anderen Kontinenten und fand das auch sehr interessant, aber ich möchte nicht dahin. Insofern beschwere ich mich nicht.

Als einen Hauptvertreter der Ohrensessel-Filmlounge eine abschließende Frage an dich: Gibt es einen momentanen persönlichen Filmtipp? Oder: Was sieht Bernd Begemann als nächstes im Kino?

Ich habe neulich in München als wir freie Zeit hatten „WALL-E“ gesehen und war einfach schockiert darüber wie gut dieser Film ist. Ich habe letztens auch „Im Winter ein Jahr“ von Caroline Link gesehen. Das ist auch ein guter Film, aber du kannst es immer vorhersehen, du weißt genau was läuft. Da ist diese Grundkonstellation… Da muss der Maler dieses Kind, das tot ist, malen und dann werden Familiengeheimnisse und Lebenslügen aufgedeckt, dann kommen die vorhersagbaren Zusammenbrüche. In solchen Momenten denke ich: Gott, „WALL-E“ ist das Licht und deutsches Kino ist das Dunkel. Ich bin für das Licht, ich bin für das Gute. Scheiße, ich bin amerikanophil, was soll ich dagegen tun… Himmelherrgott, „WALL-E“ ist nur ein Kinderfilm und der ist so clever und ernst und so lehrreich und amüsant. Scheiße (lacht).

Diesem Stil der neuen „Kinderfilme“, dass mehr Erwachsene in das Fan sein hineingeraten, bist du also auch auf den Leim gegangen?

Es sind gute Filme. „The Incredibles“ war auch so toll und so sozialkritisch. Die Pixar-Filme sind toll. Das ist nicht unbedingt der Stil, das liegt daran, dass dort intelligente Leute schreiben und daran, dass ihre Visionen bewahrt werden, vom ersten Augenblick bis zum letzten. Das sind Harvard-Absolventen, das sind Yale-Absolventen, die haben Czechow studiert, die haben Dostojewski und Balzac studiert, die wissen wie man eine lange Geschichte spinnt. Das sind sehr intelligente Leute, die gute Dialoge schreiben und ein Garn spinnen können. Ich kenne ein paar Leute, die in Deutschland Drehbücher schreiben. Die sind nicht so gut, die haben nicht diesen Hintergrund. Ich habe immer das Gefühl, dass wir kulturell ein bisschen im Windschatten sind. Ich war mit meiner dreijährigen Tochter in „Highschool-Musical“ und sie hat es so genossen. Ich wusste genau, dass das der richtige Film für sie ist: singen und tanzen und es passiert nichts Schlimmes. Ich hab mich umgeguckt und da waren all diese pubertierenden Mädchen im Kino. Ich dachte: Die wollen an ihrer Schule bestimmt auch so ein Musical aufführen. Aber wenn das ihre Schule erreicht, wird es so scheiße sein. Alles was hier lebendig war, wird dann entkernt, gesäubert und gebrochen sein durch ihre typisch deutsche „Wir-müssen-alles-richtig-machen“-Einstellung. Wir sind kulturell gesehen fast immer das Ende der Nahrungsmittelkette. Jeder, der etwas anderes sagt, begreift nicht ganz die Situation. Die deutschen Theaterbühnen denken wirklich, sie wären auf der Höhe der Zeit. Ich war in dreißig Theaterstücken und die waren alle scheiße, die waren irgendwelchen Zeitungsberichten immer zehn Monate hinterher. Das ist aber jetzt ziemlich dumm von mir, da kriege ich keinen Job mehr beim Theater und da ist soviel Geld zu holen. Scheiße.

Würdest du gerne Auftragsarbeiten für das Theater bekommen?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe mal Theater gemacht, sogar mit einem richtig guten Regisseur. Das war in Mannheim mit Armin Petras… Bei allem Respekt, aber die Leute, die ins Theater gehen, genießen nicht die Gedanken und die Sprache, die dort ausgedrückt werden. Sie genießen es, Teil dieser Kaste zu sein, die ins Theater geht. Das ist so eine heuchlerische Veranstaltung von vorne bis hinten. Es ist so bigott, ich bin echt angeekelt. Es ist wie Leute früher in die Kirche gegangen sind ohne zu glauben, nur um sich zu zeigen… Ich mag Theater sehr von den Räumen her. Theater sind die tollsten Gebäude überhaupt. Diese kleinen Geheimnisse, diese Falltüren, diese Tricks. Und die Schauspielerinnen, mmmh. Aber dieses bescheuerte Kindertheater, das die meisten Regisseure veranstalten ist so albern. Ich schäme mich im Publikum zu sitzen. Und das schlimmste ist: Die glauben wirklich immer noch an die Schillers Postulierung des Theaters als moralische Bildungsanstalt und denken deshalb, sie hätten das Recht, diese hohen Subventionen abgreifen zu dürfen. Das ist ein Eiertanz: Sie wollen immer ganz bissig sein, aber sie wollen auch nicht die Fleischtöpfe wegstoßen aus den sie sich nähren. Die proben auch so lange, das ist so ein Luxus. So Shakespeares Zeiten haben die zwei, drei Tage an einem Stück gefeilt und heute brauchen die ein halbes Jahr, das ist doch keine Relation. Wer braucht denn solange für so ein Scheißstück? Im vierten Monat sagt der Regisseur dann: „Pascal, ich fände es gut, wenn du dich an dieser Stelle ausziehen und Hänschenklein singen würdest“ Was für eine tolle Idee, Alter. Ich hasse Theater.

Also heute doch eher Kino?

Mal schauen. Ich habe auch ein Buch dabei, insofern.

Die Bilder zum Konzert vom 9. Dezember in der Leipziger Moritzbastei findet ihr hier.
Eine Rezension des letzten Studioalbums „Glanz“ findet ihr hier.

2 comments

Wir freuen uns über deinen Kommentar: