Nichts sei aus ihnen selbst entsprungen lautete der Vorwurf. Die atmosphärische Enge, die düstere Stimme ihres Sängers und seine Intonation. All das verortete man im Kosmos anderer, vermeidlich größerer Bands. Heute, etwa fünf Jahre später, scheinen sie diesen Vorwürfen entwachsen und bringen ein drittes Album auf den Weg,dass erneut viele Kritiker auf den Plan ruft. Den Editors ist das egal, denn sie wissen, welche ureigene Energie durch ihre Stücke fließt.
Eine derartig tiefgreifende Polarisierung der Fans hat wohl niemand erwartet. Verschafft man sich einen raschen Überblick über die Bewertung zu ihrem neuen Album In this Light and On this Evening bei Amazon und Co., so tut sich eine Kluft zwischen Himmel und Hölle auf. Für die einen eine große Überraschung und das stärkste Album der Editors, für die anderen Depeche Mode für Arme. Und wieder der Vorwurf: Alles nur geklaut.
Tom Smith und seine drei Gefährten scheinen davon unberührt. Haben mit diesem Album vielleicht sogar bewusst diese Spaltung des Fan-Lagers provoziert, weil sie nun mal nicht die großen Heroen sein wollen, zu denen man sie nach ihrem zweiten Album hier und da avanciert hat.
Es ist viel geschehen in all der Zeit. Chris Urbanowicz hat sich zu einer Bubifrisur hinreissen lassen und ist nach New York umgesiedelt. Tom Smith, frisch gebackener Vater eines Sohnes, wirkt älter, unnahbarer und beinahe ungesund schlank. Noch immer aber reckt er mit von Verzweiflung beladenem Gesicht seine Arme zum Himmel empor, krümmt sich über den Tasteninstrumenten und setzt gesanglich eindrückliche Akzente, völlig ungewohnt für die, die seine Lieder rauf und runter hören. Vor allem für die der ersten beiden Alben der Editors. Das spürt man, denn die neuen Songs sind zum einem noch zu frisch. Manch einer misstraut ihnen sogar.
Der 20.11.09 ist für viele die erste Live-Bestandsaufnahme des neuen Materials. Wie werden sich die neuen elektronischen Stücke unter die alten gitarrenlastigen Songperlen mischen? Und vor allem: Wie wird das Publikum reagieren? In this Light and On this Evening eröffnet das Set und Smith beschwört : „I swear to God, I heard the Earth inhale.“ Es sind diese Vokabeln und Motive, die soviel zur Mystifizierung der Band beigetragen haben und sie manifestieren dieses Bild in unnachahmlicher Weise weiter. Nahezue bedrohlich baut sich In this Light and On this Evening über den Zuschauern auf und vertreibt offenbar selbst die voreingenommensten Gedanken. Der Titeltrack des neuen Albums ist ein sicherer Eisbrecher und fügt sich makellos in den Gesamtkontext der Band ein. Egal ob Munich, Blood oder Racing Rats. Immer wieder bringen die Editors alte und neue Songs zusammen. Und erst Live offenbaren sich die Potentiale der neuen, elektronischen Songs der Editors. Treibende Beats, querulante Synthimelodien und düster-melancholische Hymnen, die man, überrascht vom neuen Sound des Albums, durchaus unterschätzen durfte.
Live jedoch bergen die Songs tatsächlich viel Qualität, eine pulsierende Energie und vor allem neue Facette der Editors, die Abwechslung bringt. Nicht synthetisch wirken diese Songs, sondern organisch, ganz anders, als es auf manchen Momenten des Albums selbst wirkt. Selbst die von vielen kritisierte Single Papillon zündet völlig überraschend und verwandelt den Ringlokschuppen in einen großen Dancefloor.
Was an diesem Abend bleibt ist die Erkenntnis, dass die Editors mit ihrem dritten Album mehr in die Waagschale gelegt haben, als beispielsweise die immer in Vergleichen bemühten Interpol. Emotionaler, den Spagat zwischen Traurigkeit und Hoffnung immer punktgenau schlagend und textlich sehr nah an den Schattenseiten des alltäglichen Lebens. Ohne Tom Smith, mittlerweile absoluter Dreh- und Angelpunkt der Editors, wäre diese Band nur die Hälfte wert. Bezeichnend dafür die Situation, als ein Fan auf die Bühne gelangt, um eine Umarmung mit Smith zu ergattern, der er sich professioneller Weise nicht entzieht und sich offenbar ganz und gar nicht gestört fühlt. Unbeirrt und mit einem Lächeln auf den Lippen fährt er fort und mag sich denken, dass die Editors in Dimensionen gelangt sind, bei denen man die Worte „Pop-Startum“ in den Mund nehmen darf, dem sich ihr neues Album entziehen dürfte.
In this Light, On this Evening ist nicht das starke Überraschungsalbum geworden, dass sich alle erhofft haben. Live und umgeben von den Songs ihrer anderen Alben machen Songs wie The Boxer jedoch plötzlich Sinn, denn welche neue Facette hätte ein drittes waviges Gitarrenalbum den Editors noch bescheren sollen? Wie viel gewinnbringender in der Summe ist die Weiterentwicklung für ihre Livesituation. Und das ist nun eine Feststellung!
Andererseits bleibt In this Light and On this Evening das an zu vielen Stellen etwas überschaubare Hörerlebnis auf Platte. Aber es wird den Editors Luft verschaffen und viele Fans werden diese Entwicklung mittragen. Euphorisiert waren an diesem Abend jedenfalls die meisten, wenn auch kritische Stimmen nicht ausbleiben, die den Editors ihre Entwicklung beinahe persönlich übel nehmen. Aber wenn wundert das, bei solch emotionalisierender Musik.