So unkonventionell wie Bandname und Betitelung des Debüts, erweisen sich auch die Kompositionen des Duos aus San Francisco. Vergleiche mit den Lo-Fi Übervätern The Velvet Underground wurden angestrengt, angebliche Paralellen zu Buddy Holly und den Beach Boys wurden herausgestellt. Letztendlich sind Girls eine verquere Band, deren nostalgische Anleihen offenkundig nicht von der Hand zu weisen sind.
Extravagant gestaltet sich auch der soziale Hintergrund des Songschreibers und Sängers Christopher Owens, der lange Jahre der Children of God-Bewegung angehörte. Eine in den 60er-Jahren entstandene, religiöse Hippie-Gruppierung, die sich vor allem an der amerikanischen Ostküste wachsender Beliebtheit erfreute. Die Zugehörigkeit Owens zu diesem kultischen Verbund verbot ihm jeglichen, herkömmlichen Musikkonsum. Sein musikalisches Wissen gewann der Musiker angeblich anhand von Filmen.
Eine dermaßen bunte Hintergrundgeschichte schürt selbstverständlich die Erwartungen an Owens, aber natürlich auch an seinen Mitstreiter Chet White ein extravagantes Produkt vorzulegen. Und tatsächlich ist der Erstling von Girls, der schlicht als „Album“ betitelt wurde, alles andere als ein schnöder Tonträger, was bereits bei der Gestaltung des Begleitheftchens seinen Lauf nimmt. Anstelle von Liedtexten sind dort einhergehend mit jedem Songtitel Frauen oder vielmehr Mädchen abgebildet, die jeweils eines der insgesamt 12 Stücke reperäsentieren. Dabei bleibt zu hoffen, dass die Zuordnung der Fotos zu einigen eninschlägigen Titeln nicht durch persönliche Sympathie gefärbt war. So etwa bei „Big Bad Mean Mother Fucker“ , einem der gleichermaßen kürzesten und dennoch stärksten Songs auf diesem Langspieler. Ein pulsierender, pumpender Blues-Rock, der tatsächlich ein wenig an die Beach Boys erinnert. Ein mehstimmiger Choral untermalt melodisch, während die Bassläufe eindeutige Spuren von Surf aufweisen und die verzerrte Gitarre die Illusion einer Zeitreise in längst vergangene Tage der kalifornischen Musikszene perfektioniert.
Das die Produktion des Albums laut Medien starkem Drogeneinfluss unterlag, bedarf zum einen fast keiner expliziten Erwähnung mehr und wurde zum anderen durch Owens während eines Interviews lapidar entkräftet. Demnach sei es ausschließlich zum gelegentlichen Genuss von Betäubungsmitteln gekommen. So singt er etwa in „Hellhole Ratrace“ von der Müdigkeit seine Situation betreffend. „I´m sick and tired of the way that feel/ I´m all alone with my deep thoughts/And I don´t wanna cry my whole life through/Sometimes you have to make it for yourself. Im Dunst leiernder Gitarren, wabernder Synthesizer und einem schwächlich geschlagenem Tambourin. Eine Pose, die Affinität zu einem betrukenen Ryan Adams aufweist. Die stoische Wiederholung der Zeilen, bis sich die übersteuerte Gitarre Bahn bricht und der klare Bass zu ordnen versucht. Ein Kernstück, wenn nicht sogar das Kernstück des Langspielers.
Offen gestanden bietet „Album“ kein musikalisches Novum, sonder tatsächlich eine Rückbesinnung auf die alten Tugenden der 60er-Jahre. Nicht nur Lo-Fi oder Surf, sondern auch Fuzz. Gelegentlich ein Schuss verwaschener Folk. Etwa in „God Damned“, das sich minimalistisch aus Akustik-Gitarre und nervös geschlagenen Bongos zusammensetzt. Owens nörgelt nicht wie der junge Bob Dylan. Es ist eher eher ein atem- und rastloses Wimmern, das die Melodie jedoch nie aufgibt oder gar in die bloße Sprechartikulation abgleitet.
„Headache“ schwelgt einfach dahin, während „Summertime“ das Tempo forciert. Es erklingt eine von Hall nahezu unkenntlich gemachte Stimme und lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf die treibende Rhythmik, als auf den Gehalt des Textes. Bass und Schlagzeug spielen ihr Intervall. Explosive Gitarren-Salven werden abgefeuert, bis zur nahezu kompletten Stille. Der oftmals fundamentale Synthesizer verbindet die Sequenzen. „Summertime soak up the sunshine with you.“
Nahezu jede Zeile wirkt gebrochen und dennoch vollkommen in ihrer Aussage. „What is life without a dream/Even I know that dreams can become true/O Lauren Marie I might never get my arms around you but that doesn´t mean that I won´t try/O Lauren Marie you migt never want me but that doesn´t mean that you won´t get me high.“ Die Aufnahme knackt und die Stimme klagt ihr Leid. Ambivalenz der Gefühlswelt , untermalt durch einen Sumpf aus Moll. Und so ist sie abgebildet: Lauren Marie. Eine Kerze in Händen haltend, die einen schwachen roten Lichtschimmer spendet. Spätesten in diesem Moment lässt sich erahnen, warum die Band ausgerechnet Girls heißt. Emotionalität und Melancholie markieren die Leitmotive. Die Intensität eines Moments wiegt stärker als alles Sonstige.
Wie erwähnt, musikalisch wartet „Album“ mit wenigen Neuerungen auf, vielmehr ehrlich gestanden mit keiner einzigen. Aber die Art des Arrangements und die Lyrik verdienen Anerkennung und dürfen durchaus als innovativ bezeichnet werden. Die Songs leben vor allem durch das Textliche, für dessen Verständnis es einem hohen Grad an Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit bedarf. Sofern gewünscht fließen die Stücke einfach nur so dahin, aber die Intetion erschließt sich erst durch intensive Identifikation. Daher eignet sich das Debüt der Ostküstler eher zum alleinigen Genuss in Ruhe, kann jedoch ebenfalls zur Untermalung eines lauen Sommerabends am Stand zum Einsatz gebracht werden. Die Intensität des Moments.
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„Album“ erschien am 13. Nov. 2009 bei Pias.
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Girls auf Deutschland-Tour
08. Mrz. 10 Hamburg – Molotow
13. Mrz. 10 Berlin – Bang Bang Club
14. Mrz. 10 Köln – Werkstatt