Startseite » Hjaltalín – Sleepdrunk Seasons

Hjaltalín – Sleepdrunk Seasons

hjaltalin_coverIsland geht es nicht gut. Die Finanzkrise greift dort stärker um sich, als in den meisten anderen Ländern der Welt und viele Einwohner haben Angst vor einem Staatsbankrott, der ihre gesamten Ersparnisse zwischen den Händen zerfließen lässt. Doch aufgeben will niemand und so kehrt man zurück zu den eigenen Wurzeln. Island als das Land der Elfen und Feen lässt sich nicht unterkriegen und schickt mit Hjaltalín eine musikalische Vertretung in die Welt, die zeigt, dass noch nichts verloren ist – im Gegenteil.

Das EuroSonic Festival in Groningen ist jedes Jahr das Trendbarometer für Newcomer-Bands, die in den darauf folgenden zwölf Monaten in aller Munde sein werden. Wer sich in den Clubs und Bars dieser relativ kleinen Stadt in den Niederlanden bereits im Januar vor dem versammelten Publikum aus Journalisten, Booking-Agenturen und sonstigen Medienvertretern aus der Musikbranche beweisen kann, hat schon die erste Hürde erfolgreich genommen. Hjaltalín aus Reykjavík gehörten dieses Jahr zu den Festivalentdeckungen und wahrscheinlich sah man während des Auftrittes der isländischen Band in der Nähe der Bar einige lächelnde Herren (vielleicht auch Damen) aus Haldern am Niederrhein mit einem Bier in der Hand stehen. Denn zu dieser Zeit hatte das Label Haldern Pop Recordings bereits längst zugegriffen und die Isländer unter ihre schützenden niederrheinischen Mäntel genommen. Knapp zwei Monate später steht nun mit „Sleepdrunk Seasons“ die erste Veröffentlichung von Hjaltalín in Deutschland an und man merkt, dass die Halderner mit dieser musikalischen Verpflichtung wieder einmal alles richtig gemacht haben.

Beginnend mit einem Intro aus Hörnern und Posaunen bewegt sich das komplette Album auf der Ebene dieser von der Norm abweichenden breit gefächerten Instrumentenpalette, die dank der acht Mitglieder – mal mehr, mal weniger – auch ohne Probleme bedient werden kann. Von den üblichen Verdächtigen wie Gitarre, Bass, Klavier über Geige und Cello bis hin zu Banjo und Klarinette ist beinahe alles vertreten, was normalerweise einem ganzen Orchester zur Verfügung steht. Eine Masse, die man nicht spürt, denn Hjaltalín ziehen hier mit einer Leichtigkeit und Freude durch ihre Songs, dass dieses Stimmungsbild auch auf den Hörer abfärbt. Manchmal schließt man beim Hören sogar die Augen, überhört den Gesang und kommt aufgrund der vielschichtigen und gleichzeitig gefühlvollen Kompositionen nicht drum herum, an eine romantische Sinfonie von Schubert oder ein impressionistisches Werk von Debussy erinnert zu werden. Da ist es dann auch nur passend, wenn Letzterer sogar Einzug auf „Sleepdrunk Seasons“ durch die Benennung des gleichnamigen Stückes „Debussy“ erhält und man in diesem mit leisen Klavierklängen nach dem Abklingen der anfänglichen Instrumentenstürme belohnt wird.

Der eigentliche (subjektive) Höhepunkt des Albums offenbart sich mit „The trees don’t like the smoke„. Hinter dem Gedanken dieses Songs versteckt sich eine kleine Geschichte, die Óskar Arnórsson als ein guter Freund der Band in San Francisco erlebte und diese in den Lyrics für den Song niederschrieb: Im Sommer saß er bei kalifornischem Sonnenschein in einem Café und zeichnete zwei junge Chinesen, die auf einer gegenüberliegenden Wiese unter einem Baum saßen und einige Zigaretten rauchten. Neben ihnen stand ein Landstreicher in entsprechender zerrissener Kleidung, der anfing um diese beiden Männer mit besorgter Miene herumzukreisen, bis er auf einmal auf die Knie sank und anfing zu weinen mit den Worten „The trees don’t like the smoke! The trees don’t like the smoke!„. Hjaltalín formten aus diesem romantischen Naturgedanken ein Lied, das nicht nur durch Óskars Worten, sondern auch mithilfe der musikalischen Umsetzung überzeugt. Neben einem Chor sind ebenso Holzbläser, Streicher und Blechbläser zu hören, sodass insgesamt 30 Musiker an diesem Stück beteiligt sind und den aufopfernden Sätzen des Vagabunden zu einer entsprechenden repräsentativen Größe verhelfen.

each time you think nobody’s looking
somebody somewhere’s looking
the birds and the bees and the flower and the trees
they’re always looking
the trees don’t like the smoke
the trees don’t like to choke
so come on you two, give it a try, put that cigarette out
for the trees

Hjaltalín schaffen es auf „Sleepdrunk Seasons“ aus den kleinen Etüden des Alltags, berührende Sinfonien des Lebens zu machen, ohne dabei auch nur ansatzweise überheblich, unsympathisch oder gar aufgesetzt zu wirken. Hier lässt man sich nach dem ausgiebigen Familientreffen gemeinsam vor dem Kamin im Wohnzimmer zu einer Tasse Tee oder Kaffee nieder und weiß, dass gerade nicht versucht wird, einen dieser – von zu vielen Menschen gewollten und unbedingt erzwungenen – einzigartigen Momente zu erzeugen. Stattdessen lebt man einfach und genießt die spannenden Geschichten der Großeltern, in denen Elfen und Feen in ihre eigene Welt einladen und in der Faktoren wie Geld oder Wirtschaft keine Rolle spielen. Vielleicht sollten wir alle einfach anfangen, viel mehr von den Isländern zu lernen.

foto: rafael pinho


„Sleepdrunk Seasons“ erscheint am 06. März 2009 auf Haldern Pop Recordings.

Wir freuen uns über deinen Kommentar: